1 ...7 8 9 11 12 13 ...25 Mittlerweile hatte ich die Sache aber im Griff, ganz bestimmt! Und was Papa von mir dachte, war mir wirklich völlig gleichgültig. Richtig scheißegal. Mit tat ja nur Mama Leid, aber die musste sich selbst aus ihrer Lage befreien, ich konnte nicht mehr tun als diskret zu stänkern, genau wie Philipp, der ihr mal angeboten hatte, sie bei einer Scheidung zu vertreten, aber da hatte sie ihn nur völlig konsterniert angestarrt.
Wenigstens hatte ich zurzeit keine Erdnussflips im Haus und auch kein besonderes Verlagen danach. Gut, wenn ich mit der Diss. überhaupt nicht von der Stelle kam... aber Sandra, Petra und dieser obskure Mordfall lieferten mir genug Ablenkung. Und für den Notfall gab es immer noch meinen voll gestopften Schrank, den ich seit zwei Jahren mal ausmisten wollte. Da mussten neben vielem überflüssigen Kram auch alle Klamotten stecken, die ich schon ewig nicht mehr gesehen hatte.
Das war ja überhaupt die Idee! Wenigstens ein Fach konnte ich doch... und danach würde ich auch wieder weiter schreiben, ganz bestimmt. Schließlich musste ich ja ziemlich bald referieren, und darauf, dass die anderen meine Ansätze zerpflückten, war ich nicht unbedingt scharf.
Ein Fach, nur eins! Aber wenigstens das große, das oben über die ganze Breite lief, das lohnte sich bestimmt. Ich fegte alles heraus und setzte mich dann gemütlich auf den Boden, um zu stöbern. Ach, der komische violette Samthaarreifen! Wegwerfen oder aufheben, für feierliche Anlässe? Für die Promotionsfeier vielleicht? Aber violett... das passte doch zu gar nichts! Ich sollte Petra fragen, die konnte so ungefähr alles brauchen, die reinste Elster.
Und der blassrosa Pulli. Eigentlich ganz schön, erinnerte ich mich. Und teuflisch warm, die Garnmischung enthielt doch etwas zu viele Kunstfasern. Bei näherer Betrachtung war er auch schon reichlich verfusselt, und ich schleuderte ihn auf den Gang hinaus. Ach, das Seidentuch! Das war was für die Promotionsfeier! Oder für Events an meinen diversen Arbeitsplätzen. Waschen sollte ich es allerdings mal, es roch ziemlich muffig.
Das graugestreifte Sweatshirt – da war es! Und ich hatte vor Urzeiten Petra beschuldigt, es nicht zurückgegeben zu haben! Peinlich. Sollte ich sie anrufen?
Nein, sie hatte das Ganze doch ohnehin längst vergessen. Überhaupt, sie war dermaßen vergesslich, deutete das nicht wirklich auf Alzheimer hin? Aber in so jungen Jahren? Und wieso vergaß sie dann nie, wo es die schönsten Schuhe und Taschen gab? Nein, erst wenn ihr Namen wie Gucci, Prada oder Manolo Blahnik nicht mehr einfielen, musste ich mir Sorgen machen. Dass sie regelmäßig verpennte, Aufträge vergaß und keinen Kalender lesen konnte, war anscheinend normal. Aber dieser ominöse Julius oder Julian hatte Recht – sie brauchte eine Therapie. Oder einen Kurs oder was auch immer.
Das Sweatshirt landete in der Schmutzwäsche, zusammen mit etlichen Socken, zwei verdrückten, aber guten T-Shirts und einer merkwürdigerweise eng zusammengerollten hellgrauen Cordjeans. Erfreut stopfte ich alles in einen Plastikkorb – eine ganze Maschine voller grauer Sachen, die ich schon fast vergessen hatte, das war ja fast so gut wie Einkaufen! Da hatte ich morgen wieder quasi neue Sachen anzuziehen! Okay, übermorgen, der Kram musste auch noch trocknen. Ich schleppte alles in den Keller, fand eine freie Maschine, füllte sie und freute mich. Wenn ich so weiter machte, hätte ich eines Tages tatsächlich den Überblick über all meinen Krempel! Und genug anzuziehen! Wenn ich noch mehr gute Sachen fand, konnte ich mir mindestens einen Stadtbummel schenken (schade eigentlich) und so wieder Geld sparen.
Die nächsten Fundstücke stützten meinen Optimismus eher weniger – eine völlig verknautschte Seidenbluse, an der drei Knöpfe fehlten, die mir viel zu weit war und deren Farbe, ein düsteres Dunkelrot, ich abgrundtief scheußlich fand. Nein, außerdem konnte man sich an dem blöden Ding zu Tode bügeln, weg damit. Noch mehr T-Shirts, die nichts mehr taugten, verdrehte Nähte, dämliche Aufschriften, hässliche Farben, mehr breit als lang. Bestenfalls zum Schuheputzen zu verwenden, aber da genügte mir mein Schnellglanzschwamm.
Schließlich verlor ich die Lust; ein flüchtiges Herumwühlen verriet mir, dass keine besondere Beute mehr zu erwarten stand. Und außerdem wackelten mal wieder die Wände, weil die Maden Weißgottwas feierten. Anscheinend hatte Olaf seinen obskuren Job tatsächlich ergattert.
Und schon wieder diese Scheißmusik! Im Wohnzimmer war es geradezu unerträglich, die Bässe hämmerten auf eine Art, die einem Herzrhythmusstörungen bescheren konnte, und das dumpfe Gegröle im Hintergrund klang irgendwie nach Rammstein und die mochte ich schon gar nicht. Na, außer Steh auf, wenn du am Boden bist , das hatte was – sofern man das Gebrüll verstand. Aber irgendwie kamen die mir braun vor, und deshalb durfte man sie ja anstandshalber gar nicht mögen. Egal, das, was da jetzt lief, konnte man auch nicht mögen, das war einfach schlecht. Diese Maden! Kein Geld, kein Job, kein Hirn, kein Aussehen – und kein Musikgeschmack... eigentlich konnten sie sich genauso gut gleich erschießen.
Ich wütete eine Zeitlang vor mich hin, saugte Staub, um das Gegröle mit Gejaule zu übertönen, hämmerte an die Wand, holte die Wäsche wieder nach oben (hach, diese edle Stille im Keller, fast klösterlich!), hängte sie fluchend im Schlafzimmer auf, obwohl die Sachen alle wieder recht schön geworden waren, hämmerte an die Wand, spülte laut klappernd Geschirr, hämmerte an die Wand, drehte Irish Folk bis zum Anschlag auf und wieder runter, weil die Bässe wirklich das Haus vibrieren ließen und griff schließlich wutentbrannt zum Schlüssel.
Dieses Mal öffnete Olaf, nachdem ich mindestens zehn Minuten lang den Finger auf die Klingel gepresst hatte. Heute gefiel er sich in bestickter Baumwolle, bis zu Taille offen. Ich starrte uninteressiert auf seine weißliche Brust und schaute ihm dann so zornig wie möglich ins Gesicht. „Könnt ihr den Scheiß nicht mal halblaut hören? Das ganze Haus wackelt!“
„Hallo, Isi. Du bist ja richtig spießig geworden! Ist jetzt Ruhezeit oder was? Irgendwie niedlich...“ Er fasste mir mit einem Finger unters Kinn, und ich schlug seine Hand routiniert weg. „Lass den Quatsch. Das Zeug ist einfach scheußlich, und vielleicht möchten andere Leute auch mal was anderes hören.“
„Aber nicht dein Guinness-Gefiedel, das ist so was von unterirdisch. Süße, dein Musikgeschmack ist einfach zum Weinen.“
„Hör mal, Süßer“, begann ich drohend, aber da wurde Olaf von Thilo beiseite gedrängt, der sofort nörgelte: „Isi, jetzt lass uns doch mal in Ruhe! Das ist kaum Zimmerlautstärke, was willst du eigentlich?“
Das Flurfenster klirrte bestätigend von der Resonanz. „Ja, wie du sagst“, pöbelte ich. „Ich war ja ziemlich froh, dass dir nichts passiert ist, aber so wie ihr euch aufführt, würde ich euch allen dreien keine Träne nachweinen.“
„Was hätte mir denn passiert sein sollen?“, fragte Thilo mäßig interessiert. „Mensch, Olaf hat einen Job! Da soll man nicht feiern, oder was?“
„Was denn für einen?“, fragte ich, nun doch abgelenkt. Ob er die Pornorollen zugeben würde? Olaf lächelte diabolisch – oder was er wohl für diabolisch hielt. „Bisschen dealen“, säuselte er dann.
„Na toll“, reagierte ich kaum verwundert.
„Was?“, rief Thilo, „Mir hast du gesagt, du hilfst alten Damen über die Straße!“
„Blond und über achtzehn, was?“, giftete ich. Olaf grinste noch breiter. „Und Hubi glaubt, ich sei unter die Hacker gegangen. Schließlich wollte ich doch eure Erwartungen nicht enttäuschen. Aber Thilo, du bist wirklich am leichtesten reinzulegen.“
„Und was machst du jetzt wirklich?“, bohrte ich weiter.
Читать дальше