„Was aussagt?“, fiel Philipp prompt darauf herein. „Ach so. Äh. Worauf die Mädels so achten... Und was sagt dann was aus?“
„Die Füße. Große Füße sind sehr gut, hab ich gelesen.“ Philipp streckte prompt einen Fuß unter dem Tisch hervor, als wüsste er seine Schuhgröße nicht, und hätte beinahe die Kellnerin damit zu Fall gebracht.
„Sie -!“
„Tschuldigung, ich musste nur was überprüfen.“ Leicht rosig orderte er zwei Spezi und zwei Karten und erntete noch einen zornigen Blick. Ich gackerte vor mich hin. „Weiber!“, schnaufte er. Prima Vorlage!
„Du wirst deinem Vater auch immer ähnlicher“, tadelte ich.
„Nimm das zurück! Der Alte, der hat doch das Tourette-Syndrom oder wie das heißt, wo man zwanghaft rumpöbeln muss! Der hätte schon mit Tischen geschmissen, wenn du zu ihm so frech gewesen wärst wie jetzt zu mir!“
„Er schmeißt nicht, er brüllt und beleidigt. Sonst dürften wir Mama auf keinen Fall mit ihm allein lassen.“
„Wir sind schon arm dran, was?“
„Nein“, fand ich. „Erstens stehen wir doch schon ziemlich über der Sache, oder? Und zweitens gibt´s viel Ärmere. Sandra zum Beispiel.“
„Hör bloß mit dieser Sandra auf!“
„Ich will sie dir doch gar nicht mehr unterjubeln, die hat längst einen andern. Nein, aber die Eltern sind fast noch grausamer. Ich meine, wir können unsere doch wenigstens guten Gewissens nicht leiden – Papa wenigstens. Aber die trauern immer noch um diesen kleinen Bruder, der vor Urzeiten verunglückt ist, und die beiden Mädels werden völlig vernachlässigt und können nicht mal richtig sauer sein, weil die Eltern ja so arm dran sind. Wenn Sandra sich ärgert, kommt sie sich sofort schuftig vor. Das finde ich hart. Und einfach wegbleiben geht da ja auch nicht.“
Ich hatte mir wirklich mal überlegt, dass Philipp und Sandra ein schönes Paar sein müssten, aber die beiden hatten so gar nichts miteinander anfangen können. Sie war ihm zu kritisch, er war ihr zu machohaft und zu bindungsscheu – und überhaupt fanden sie sich gegenseitig saublöd. Schade.
„Ja, gut, das ist bitter. Aber – wie alt ist diese Sandra? Und die Schwester?“
„Sandra ist achtundzwanzig, so wie ich. Und Toni ein Jahr älter, glaube ich. Du meinst, die dürften nicht mehr um elterliche Liebe buhlen?“
„Genau. Du löst dich doch auch von Papas Fehlurteilen und sagst dir Scheiß drauf – und die beiden Frauen spielen die vernachlässigten Kleinkinder? Die waren doch schon um die zwanzig, als das passiert ist, oder war das noch früher?“
„Nein, stimmt so ungefähr. Ja, aber niemand hat sie in ihrer Trauer begleitet oder so. Und die Eltern interessieren sich für gar nichts mehr, und damit können sich die beiden nicht abfinden.“
„Sollten sie aber. Eltern kann man nicht mehr ändern, nur noch ertragen oder ignorieren. Hart, aber wahr. Ich glaub, ich nehm den Schweinebraten.“
Familie war soweit abgehakt, beschloss ich, als ich wieder zu Hause war. Mit Philipp würde ich mehr Kontakt halten und ab und zu Mama anrufen – aber sonst nichts. Nada, niente, nothing, rien . Ich würde meine Dissertation fertig schreiben, ein Summa kassieren – mindestens! – das Rigorosum mit Bravour absolvieren, einen Superjob in einem Verlag ergattern, zu gegebener Zeit toll heiraten und wunderbare Kinder in die Welt setzen, außerdem natürlich mit der anderen Hand den Verlag leiten und eine führende Rolle in der Leisenberger Gesellschaft spielen (äh, der Aspekt reizte mich nun weniger) – und Papa nie ein Wort davon erzählen. Die totale Superfrau wie aus dem Kitschroman oder dem FilmFilm .
Sehr realistisch. Na gut, Promotion, Verlagsjob, vielleicht ein Mann, vielleicht ein, zwei Kinder, ganz normale natürlich. Auch schon okay. Und dann ein Halbtagsjob, schließlich durfte seine Karriere ja nicht angetastet werden. Seien wir realistisch!
Wenigstens schafften die guten Vorsätze mich an den Schreibtisch, wo ich dann am Stift kaute und etwas ratlos in meinen Kopienstapeln wühlte. Nach schwerfälligem Anlauf gelang mir dann doch etwa ein halbes Kapitel zu Greiffs Umgang mit seinen Autoren und dem legendären Krach mit Johann Ehrenfried Wimberger, was das ewige Verlagsrecht betraf, komplett garniert mit Briefwechselauszügen und den Kommentaren anderer, ungleich berühmterer Autoren, teils zustimmend, teils vor den eigenen Verlagen im Staube kriechend. Besser als ich kröche um den Thron herum , fiel mir ein. Hatte Schiller seinen Verleger eigentlich auch mal zur Schnecke gemacht oder nur auf dem Papier so herumgetönt? Leider hatte Schiller nie etwas bei Greiff herausgebracht, so dass die Frage zwar menschlich interessant, für meine Zwecke aber eher irrelevant war.
Ich seufzte und quälte mir den nächsten Satz ab. Und gleich noch einen. Nebenan quäkten die Babys, und die kleine Jennifer rief schrill nach ihrer Mami. Wollte ich so was wirklich? Obwohl, die Kleinen waren schon nett, wenn man auf sie aufpasste. Warm und wohlduftend (wenn nicht gerade ein Unglück passiert war) und vertrauensvoll. So ein Zwerglein, wenn man den Vater liebte... eigentlich eine schöne Idee, ein Menschlein, aus zwei Menschen hervorgegangen...
Und so originell, das hatte sich vor mir sicher noch niemand überlegt!
Verflixt, weiter im Text. Nein, lieber auf dem Balkon erstmal eine rauchen. Hatte ich überhaupt noch Zigaretten? Toll, noch zwei Stück – einkaufen gehen? Oder standhaft bleiben und weiterschreiben? Morgen wollte ich doch in die Sprechstunde gehen. Und in zwei Vorlesungen. Und zu Weinzierl musste ich auch noch. Und übermorgen zu EventMachine , wo Edgar zurzeit unausstehlich war, anscheinend hatte ihn dieser Korinthenkacker von Anwalt doch verklagt. Mal einen richtigen Job, nicht nur anderer Leute Schreibtische aufräumen und Rechnungen zusammenklammern! So ging´s eben, wenn man nichts Rechtes gelernt hatte.
Bei den Maden heulte die Anlage auf, dann wurde es wieder still. Was dieser grässliche schleimige Olaf wohl für einen Job ergattert hatte? Wenn er jedem etwas anderes Peinliches erzählte, war die Wahrheit bestimmt noch viel peinlicher. Vielleicht musste er Potenzmittel testen. Oder in einer Medizinvorlesung als Versuchskarnickel bei einer Darmspiegelung dienen. Oder doch Pornos drehen. Nein, das wäre ihm bestimmt nicht peinlich, dem Schleimbatzen.
Vielleicht musste er ja auch bloß Essen auf Rädern ausfahren. Absolut uncool für einen wie ihn. Ach, was ging´s mich an. Immerhin überhaupt ein Job – wie Thilo das machte, war mir ein Rätsel. Der Typ war fünfundzwanzig oder so und hatte noch nie gejobbt – aber immer Geld. Sehr verdächtig. Und die Sache mit der Zeitung damals hatte ihn ehrlich erschreckt, er war sogar vorbeigekommen und hatte sich meine Zeitungsausschnittsammlung angesehen. Mitnehmen durfte er sie nicht, soweit kannte ich ihn schon. Stattdessen kopierte ich ihm alles gegen Vorauskasse, was ihn ehrlich kränkte. Als ob er jemals etwas nicht bezahlt hätte!
„Als ob du jemals etwas bezahlt hättest, wenn es auch anders ging“, korrigierte ich ihn freundlich. „Zwei Euro zehn oder keine Kopien. Such´s dir aus!“
Ich hatte lauter Fünfcentstücke bekommen und ihm ein hübsches Päckchen hergestellt. Lernte er die jetzt auswendig? Wollte er wissen, wer da an seiner Statt ins Gras gebissen hatte? Aber: an seiner Statt ? Das war doch das pure Melodrama! Schließlich gab es wirklich mehr rotblonde Hemden in Leisenberg als bloß ihn.
Es sei denn, er kannte jemanden, der Grund gehabt hätte, ihn umzulegen – aber nur wegen seines lästigen Getues und seiner Schmarotzereien? Er führte sich zwar auf wie ein kleiner Ganove, aber ich wusste von keinem konkreten Gaunerstück – und insgeheim hielt ich ihn auch für viel zu dämlich für eine kriminelle Karriere. Wahrscheinlich wollte er sich bloß interessant machen, aber da hatte er sich geschnitten. Ich hatte jedenfalls nicht vor, ihm als dem potentiellen Mordopfer das Händchen zu halten, dazu war ich viel zu beschäftigt, Karrierefrau, die ich war. Fast wenigstens.
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