Dass sein Vater nicht mehr Herr seiner Sinne war, begünstigte Maximilians Pläne. Nachdem seine und Johanns Mutter gestorben war, verlor sein Vater nicht nur jegliches Interesse an den Geschäften, sondern auch seinen Verstand. Es war nicht schwer, ihm einzureden, dass Johann nichts mehr mit ihm zu tun haben wollte. Der Alte enterbte seinen jüngeren Sohn und überschrieb alles seinem Ältesten.
Als Johann zur Beerdigung seines Vaters anreiste, brachte er seine wunderschöne junge Frau mit. Maximilian konnte den Blick nicht von ihr wenden. Die gerade Nase, ihre schön geschwungenen Lippen. Das streng zurückgebundene Haar schimmerte. Er hatte viele Frauen gekannt. Diese wollte er, auch, weil sie die Frau seines Bruders war.
Maja war eine wunderbare Köchin. Und sie liebte Amalia. Das Mädchen rührte sie.
Amalia war so zierlich, viel zu dünn, und manchmal sah sie traurig aus. Als sie vor acht Jahren kam, sprach sie nicht. Maja schob es darauf, dass die Kleine kein Italienisch konnte. Aber das war es nicht. Auch, nachdem sie alles verstand, sprach sie nicht. Amalia sagte kein Wort. Umso mehr drückten ihre strahlenden Augen aus, wenn sie sich freute, die sich verschleierten, wenn sie traurig war.
Amalia schmiegte sich an Maja, wenn sie ihr einen Leckerbissen zusteckte, und sie lächelte so voller Dankbarkeit, dass das Herz der Köchin schmolz.
Die Familie traf sich zum Abendessen in der großen verglasten Veranda. Einem ganz in Frühlingsgrün und Weiß gehaltenen Raum mit Blick auf die sanften Hügel gegenüber.
Theresa bestand darauf, dass die Familie sooft wie möglich an einem Tisch zusammenkam. Frederico stand am Fenster und sah gelangweilt hinaus in die Dunkelheit. Seine Großmutter Maria betrat in diesem Moment das Zimmer.
»Wo ist Theresa? Kann meine Tochter nicht ein einziges Mal pünktlich sein?« Sie sah sich um.
Maximilian begrüßte seine Schwiegermutter. »Nein«, sagte er spöttisch, »das kann sie nicht. Ein eklatanter Erziehungsfehler.«
»Rede keinen Unsinn, ich habe sie anders erzogen.«
Die alte Dame ließ sich auf einem Stuhl am Tisch nieder. Sie war schlank und saß aufrecht, ohne die Rückenlehne in Anspruch zu nehmen.
»Du hast sie gar nicht erzogen.«
Maria schmunzelte. »Hat sie dir das erzählt?«
»Ja, hat sie.«
»Das stimmt, ich war zu häufig auf Reisen.«
Maria betrachtete ihren Schwiegersohn. Er sah gut aus und war ein sehr großzügiger Mann. Kaum jünger als sie selbst. Wenn sie Lust auf einen jüngeren Liebhaber gehabt hätte … dem Alter nach hätte er besser zu ihr gepasst. Aber er war zu alt, um sich eine noch ältere Geliebte zu nehmen, dachte sie zynisch.
»Wo ist Amalia?«
Frederico wandte sich endlich seiner Großmutter zu. »Der Stockfisch ist auch noch nicht da.«
Maria hob die Brauen. Ihr jüngster Enkel ließ keine Gelegenheit aus, sich über seine Cousine lustig zu machen. Die Tür öffnete sich, und Theresa trat ein.
»Endlich, Kind, du weißt, dass ich nicht gerne warte.«
»Ich weiß, Mama.« Sie begrüßte ihre Mutter mit einem flüchtigen Kuss. »Ich habe den Nachmittag im Stall verbracht und musste mich noch umziehen.«
Ihren Mann begrüßte sie mit einem Lächeln. Sie konnte ihm ansehen, was er dachte. Raffael, der junge Verwalter, war ein fähiger Mann und Maximilian ein Dorn im Auge.
»Guten Abend, mein Lieber.«
Sie streifte die Wange ihres Mannes mit den Lippen. Verführerische Lippen, dachte er.
Amalia im Schlepptau enterte Madame Durand den Raum. »Ich habe sie am See gefunden. Zum Umziehen war keine Zeit.«
»Wasser ist der natürliche Lebensraum eines Fisches.« Frederico formte den Mund zu einem runden Fischmaul.
»Frederico!« Theresas Augen wurden schmal.
Sie sah hinüber zu Amalia. Die stand aufrecht hinter ihrem Stuhl. Mit keiner Bewegung, keinem Blick gab sie zu erkennen, dass sie die höhnische Bemerkung ihres Cousins gehört hatte.
»Wollen wir heute noch essen? Ich will mich früh zurückziehen.« Marias Finger klopften ungeduldig auf die Tischplatte. Ihr Gesichtsausdruck sprach Bände. Als sie aufblickte, fing sie Amalias winziges Lächeln auf, das sofort wieder verschwand. Marias Lippen zuckten.
Theresa setzte sich. Maja kam mit einer Schüssel voll dampfender Spaghetti herein. Es roch nach Pilzen, dem erdigen Duft der Trüffel. Sie zwinkerte Amalia zu und stellte einen Teller Spaghetti Bolognese mit einer extra Portion Parmesan vor sie hin. Amalias Lächeln belohnte sie.
»Du könntest langsam mal anfangen, das zu essen, was wir alle essen.« Frederico stopfte sich eine übervolle Gabel in den Mund.
»Und du, mein Junge, könntest langsam mal anfangen, anständig zu essen.«
Überrascht sah Frederico seine Großmutter an. Sie mischte sich mit verblüffender Taktlosigkeit in alles ein, allerdings höchst selten in Erziehungsangelegenheiten. Frederico lief rot an.
»Hast du etwas von Konstantin gehört?« Maria wandte sich an ihre Tochter und beachtete ihren Enkel nicht weiter.
Theresa fragte sich, ob er wütend oder beschämt war. Ihr jüngster Sohn war so ganz anders als sein Stiefbruder. Sie hatte Konstantin mit in die Ehe gebracht. Maximilian war nicht sein biologischer Vater.
Sie hatte ihren ersten Mann geliebt und geglaubt, nie mehr einen Mann so sehr lieben zu können, mit dieser glühenden Leidenschaft und der Angst, ihn zu verlieren. Thomas hatte einige Kurzgeschichten veröffentlicht, ein paar Theaterstücke geschrieben, aber erst am Anfang seiner Karriere gestanden. Sie war dreiundzwanzig und praktisch mittellos, als er starb.
Theresa war ausgebildete Pferdewirtin. Auf eine Anzeige in einer Pferdezeitschrift hin, bewarb sie sich um die Stelle. Sie schnallte ihren damals vier Jahre alten Sohn in ihrem knallroten Mini an, setzte sich in ihr Auto und fuhr in die Toskana. Das Gut lag in der Nähe Grossetos inmitten der Maremma. Als sie ausstieg, kam ihr ein Mann entgegen. Sicher zwanzig Jahre älter als sie selbst. Gebräunt, attraktiv und selbstsicher.
»Theresa, ich habe dich etwas gefragt.«
»Entschuldige, Mutter.«
Maria wiederholte ihre Frage. Amalia zeigte zum ersten Mal an diesem Abend Interesse. Auch Frederico erwartete die Antwort seiner Mutter.
»Ich denke, er wird am Wochenende hier sein.«
Amalia bemühte sich, ihre Freude nicht allzu deutlich zu zeigen. Sie hatte gelernt, in Fredericos Gegenwart vorsichtig zu sein. Wenn er überhaupt an jemandem hing, so war das sein älterer Bruder. Dass Konstantin seine kleine Cousine liebte, schürte seine Eifersucht.
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