„Nicht aufs Sparbuch, Herr Drexler“, tadelte Katja in ihrem besten Lehrerinnenton, „kaufen Sie Fonds. Schön breit gestreut, da haben Sie mehr Profit und langfristig auch kaum Risiko. Was glauben Sie, woher ich das Geld für so eine Wohnung habe?“
„Dann wollen Sie sie nehmen?“
Katja wehrte ab. „Das weiß ich noch nicht. Erst mal fertig anschauen!“
Das Bad war weiß gekachelt, ohne irgendwelchen Schmuck, und ebenfalls recht angeschmuddelt, aber immerhin lagen keine Reste mehr im Klo. Der Spiegel über der breiten gekachelten Ablage war gesprungen, und das Fenster war mit einer Folie verklebt, die wohl als Sichtschutz gedacht war, aber schon so vergilbt war, dass sie ziemlich widerlich aussah.
Der Boden musste ebenfalls ungefähr hundertmal geschrubbt werden. Und vielleicht sollte man die Fugen nachweißen…
Nichts, was nicht machbar gewesen wäre.
Das Schlafzimmer war schwarz mit goldenen Sternen. Die Sterne waren so gleichmäßig, das Katja einen prüfenden Blick auf die Wand unmittelbar neben dem Türstock warf. Tatsächlich, eine Tapete. Umso besser, die musste ja herunterzureißen sein. Hier lag Teppichboden – und der war nicht mehr zu retten. Egal, so etwas mochte sie ohnehin nicht. Hier gehörte ein schöner dunkler Holzboden herein. Und strahlend weiße Wände. Klar, pur, minimalistisch.
Sie war schon entschlossen, die Wohnung zu nehmen, stellte sie fest.
„Hm…“, machte sie wieder. „Sagen Sie – könnte ich die Wohnung morgen noch einmal mit einer Bekannten besichtigen? Die hat den schärferen Blick.“
„Aber gerne. Wieder um vier?“
Das war Katja nach einem kurzen Telefonat mit Luise durchaus recht. Franz würde ihr wohl doch die Nummer seines Bruders geben müssen. „Einen Moment noch“, bat sie und strich prüfend über die Wand im Wohnzimmer. Tatsächlich, auch eine Tapete! Dann musste man ja eigentlich nur das Pink in der Küche überstreichen – und wenn das noch ein bisschen durchschimmerte, schadete es nichts. Es sah zu grau vielleicht sogar ganz nett aus.
„Die Geräte in der Küche funktionieren alle?“
Drexler zuckte die Achseln. „Wahrscheinlich schon. Putzen muss man sie halt.“
Katja nickte gedankenverloren.
„Also, ich denke drüber nach. Vorstellen könnte ich mir die Wohnung schon… Wie sind denn die Nachbarn so?“
„Harmlos, soweit ich weiß. Es ist ein sehr ruhiges Haus, von Ärger habe ich nichts gehört bei den Eigentümerversammlungen. Es gab nur einige Klagen über meine Mieter, und die waren ja durchaus berechtigt.“
„Weil sie so schmuddelig waren? Oder waren sie auch laut?“
„Laut, schmuddelig, es stank aus der Wohnung, wenn sie jemanden im Treppenhaus trafen, waren sie unverschämt…“
„Wieviele waren es denn?“
„Ein junges Paar. Naja, jung… so um die dreißig vielleicht.“
Na danke , dachte Katja. War sie dann auch nicht mehr wirklich jung?
Sie verabschiedete sich von Drexler und fuhr nach Hause, intensiv über diese Wohnung nachdenkend. Schlecht war sie nicht. Viel Arbeit, natürlich, aber der Grundriss war gut. Das Haus war zum großen Teil aus Ziegeln gebaut, wirkte solide, stand in der richtigen Gegend und hatte sogar eine Tiefgarage – nie mehr im Winter Scheiben kratzen! Und 110 000 – so billig kam sie an eine solche Wohnung nie mehr. Siebzig Quadratmeter… sie begann im Kopf zu rechnen und kam an der Ecke zur Nussbaumallee auf einen Quadratmeterpreis von rund 1600 Euro. Fast schon verdächtig billig. Zweifünf waren für Leisenberg normal, mal abgesehen von richtig schicken Gegenden. Und die Holbeinstraße war fast schon richtig schick. Bei Monopoly würde man sagen: die grünen Straßen direkt vor der Schlossallee.
Und dafür so günstig? Bloß wegen des Drecks und der finsteren Tapeten?
Mal schauen, was Luise morgen sagte. Und wenn sie die Wohnung billigte, würde sie sich so schnell wie möglich um den Notartermin bemühen, zahlen und ordentlich scharfe Reiniger kaufen. Und solche Kratzdinger zum Putzen.
Sie gelangte ungesehen in ihr Zimmer, packte ihre Tasche aus, schlüpfte aus den Straßenschuhen und dem Blazer, wusch sich die Hände und nahm sich das Ex vor. Halb sechs war es jetzt; da konnte sie noch etwas schaffen!
Sie ging die erste Frage durch (das war auch die leichteste, maximal fünf BE), die hatten eigentlich alle einigermaßen hingekriegt, im Schnitt mit vier Punkten. Danach streifte sie wieder einmal durch die Vorräte im Badezimmer, nutzte einen Rest Kirschblütenshampoo (widerwärtig süß!), um ihre drei Seidenschals durchzuwaschen, warf die Flasche weg und setzte sich wieder an den Schreibtisch.
Aufgabe 2, sechs BE. Das war schon ein bisschen schwieriger, und nicht alle hatten hier wirklich reüssiert. Sie arbeitete sich langsam durch, untermalt von leiser Radiomusik, und nahm sich dann die nächsten beiden Ordner vor. Die Altpapierkiste füllte sich, sie sollte nach dem Essen vielleicht noch ein bisschen spazieren gehen, am Containerplatz vorbei…
Die letzte Aufgabe war die schwierigste, es gab auch neun Punkte dafür. Hier zog sich die Korrektur entsprechend länger hin; um halb acht hatte sie etwas mehr als die Hälfte, mistete zwei weitere Ordner aus und beschloss, noch vor dem Essen das Altpapier wegzutragen. Am besten gleich! Sie stopfte das ganze Papier in eine große Tasche, schlüpfte wieder in Schuhe und Blazer und eilte den Gang entlang und zur Treppe. Dort blieb sie abrupt stehen.
„Björn – was machst du denn hier? Willst du doch mal deinen Sohn sehen?“
Björn winkte ab. „Ach, wozu. Ich kann mit so kleinen Kindern nichts anfangen. Nee, ich suche Nick. Wo ist er denn?“
„Weiß ich nicht. Ist der überhaupt schon zu Hause? Klopf halt mal an seine Tür, du weißt doch, wo das ist.“
Sie wollte an ihm vorbei, um rechtzeitig zum Container und wieder zurück zu kommen, aber er hielt sie Arm fest. „Wohin denn so eilig? Du wirst übrigens von Tag und Tag hübscher.“
„Lass den Quatsch. Außerdem bist du so oft nun auch nicht hier, dass du so etwas beurteilen könntest. Nicht, dass ich dich überhaupt für einen Fachmann hielte“, fügte sie nach kurzem Nachdenken hinzu und musterte seine perfekt herausgeputzte Erscheinung verächtlich.
„Was soll das denn heißen?“, fragte Björn, nun schon weniger charmant.
„Dass ich dich nicht mag“, fauchte Katja ihn an. „Und lass mich gefälligst los!“
Sein Daumen rieb werbend über ihren Ellbogen. „Aber Katjalein, sei doch nicht so zickig. Du willst es doch auch!“
„Wenn ich Bulimikerin wäre, vielleicht. Dann könnte ich dir jetzt so richtig schön auf deine Lacktreter reihern. Es kommt mir schon hoch!“
Björn ließ sie hastig los und schaute sich gehetzt um, als vom Absatz unter ihnen Alex kurz auflachte. „Gut gegeben, Katja. Bist ja doch zu was nütze. Björn, was willst du hier? Du weißt genau, dass du hier nichts mehr zu suchen hast!“
„Hab dich nicht so, alter Kumpel. Ich finde sowieso, dass du mir noch einiges schuldig bist.“
„Wohl vom Wahnsinn umjubelt? Ich schulde dir gar nichts, du kannst froh sein, dass ich dich nicht angezeigt habe.“
Katja hörte mit weit aufgerissenen Augen zu. Was man da alles erfuhr! Vielleicht sagte Alex auch noch, warum er Björn so plötzlich, Knall auf Fall, entlassen hatte? Wegen der Sache mit Lisa doch wohl kaum?
„Katja, verzieh dich“, blaffte Alex.
„Geh ja schon“, murrte Katja und sprang die Treppen hinunter. Schnell um die Ecke, zum Kinderspielplatz, der nachts als Treffpunkt der örtlichen Jugend diente (hier konnte man sich auch mal eine Tüte reinziehen) und eine Ansammlung von Unrat umkränzter Container aufwies. Sie kippte den Inhalt ihrer Riesentüte in den leersten aller Container und kehrte nach Hause zurück. Alex und Björn keiften sich immer noch halblaut im Treppenhaus an, aber noch während Katja möglichst unauffällig nach oben stieg, kam Mama unten aus dem Wohnzimmer. „Wer ist denn da? Mit wem sprichst du, Alexander?“
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