„Und wann soll ich kochen und waschen für Hamburg?“
„Beim Waschen musst du ja wohl nicht daneben sitzen, und statt kochen bestellst du euch einfach eine Riesenpizza. Oder dein Süßer kocht mal.“
Sabine seufzte. „Kannst du nicht…?“
„Was? Für euch kochen? Deine Klausur korrigieren? Sabine, spinnst du? Ich weiß doch nicht, was du deinen beigebracht hast – korrigieren muss man immer selbst.“
„Och Männo! Ich dachte, du hilfst mir!“
„So nicht. Hilfe zur Selbsthilfe. Ich helfe dir planen, aber mehr nicht. Sabine, du wirst das bis zur Pension auf die Reihe kriegen müssen. Das sind noch fast vierzig Jahre, willst du da immer jammern gehen? Heute die Questions, morgen früh sieben Essays, morgen Mittag noch mal sieben, und am Sonntagabend die letzten acht. Am Montag stehst du etwas früher auf und rechnest das Ding ab. Und sollte etwas dazwischen kommen, hättest du den Montagnachmittag noch als Puffer. Mehr geht nicht.“
Sabine wuchtete sich vom Stuhl hoch und stöhnte. „Trotzdem, vielen Dank.“
Zwanzig Kilo weniger und du würdest dich aktiver fühlen , dachte Katja, sagte aber lieber nichts. Das wäre dann doch zu persönlich.
Sollte sie heute vielleicht noch ein Ex schreiben? In der Q 12, drei fiese Fragen zu Much Ado About Nothing ? Das wäre eigentlich schnell gemacht. Im zweiten Nebenraum standen zehn Rechner, und alle waren heute mal leer. Klausuren standen heute bei denen auch nicht an – also gesagt, getan. Sie tippte den Kopf, die drei Fragen und Leerzeilen bis zum Ende, speicherte, druckte und machte dreiundzwanzig Kopien, kopierte sich schnell noch ein paar Mal die Kursliste, füllte eine überschüssige Angabe mit Stichworten zur Lösung aus, packte alles in ihre E 12-Mappe und war ganz zufrieden. Die würden jammern, das war mal klar („Wo wir doch am Freitag Mathe schreiben! Wo wir doch gerade Referate in Kunst halten müssen! Wo es heute doch so kalt ist! Wo doch letzte Woche noch Ferien waren! Frau Herzberger, Sie sind echt gemein!“ ), aber die Note könnte sie gut brauchen, und gegen Semesterende wurde es mit dem Ex-Schreiben ohnehin eng.
Sie holte ihren Laptop hervor und ging online. Tatsächlich, eine Mail von der Umständewohnung. Hm… nicht sehr aussagekräftig. Das Wort renovierungsbedürftig stimmte sie bedenklich. Heute um vier…? Knapp, bis halb vier hatte sie Unterricht. Wo sollte das sein? Holbeinstraße 4? Na, das konnte sie schaffen. Gute Adresse, das war wieder ein Pluspunkt.
Renovierungsbedürftig… sie versank in Gedanken. Dreckige Wände? Abscheulicher Teppichboden? Nein, nicht bei 2008. Da war schlimmstenfalls Laminat drin. Okay, zerhacktes Parkett. Ließ sie eben neues legen, so what? Scheußliche Küche – besorgte sie sich eine neue. Komischer Geruch – ließ sich übertünchen.
Fiese Nachbarn? Das wäre ein echtes Problem, aber das hatte mit renovierungsbedürftig nichts zu tun. Was konnte denn noch sein? Ratten im Klo, die einen in den Hintern bissen? Das Leben war doch kein Gruselfilm!
Sie würde sich die Wohnung mal anschauen. Lernen konnte sie dabei auf jeden Fall etwas. Und so lange würde das nicht dauern, da konnte sie hinterher noch gut dieses Ex korrigieren und vielleicht am Freitagabend mit Lilly ins Kino gehen. In diesen Goethefilm zum Beispiel – nein. Keine Liebesfilme für Lilly, die hatte schließlich immer Probleme mit gefühlvollen Geschichten, das war schon seit Jahren nicht anders.
Es läutete zur kleinen Pause; sie fuhr ihren Laptop herunter und packte ihn wieder in ihre Tasche. Jetzt wäre ein Schrankfach schon günstig, ärgerte sie sich. So musste sie das Gerät überall hin mitschleppen.
Sie eilte in die Zehnte, wo alle merkwürdig gut vorbereitet waren und sich förmlich darum prügelten, ausgefragt zu werden. „Wir waren ganz sicher, dass Sie heute ein Ex schreiben“, erklärte Melli aus der ersten Reihe schließlich treuherzig. Katja fragte zwei Leute aus und lobte nach der Stunde die eifrige Mitarbeit. „Wenn ihr so weiter machte, wird die Schulaufgabe in zwei Wochen das reinste Kinderspiel für euch!“
Sie schauten drein, als wollten sie sicherheitshalber doch lieber ein bisschen jammern, damit die Schulaufgabe leichter würde. Katja schüttelte den Kopf. „Vergesst es. Dummstellen macht die Schulaufgabe nicht leichter. Ich werde eine mittelschwere machen, und zwar ganz egal, ob ihr jammert oder triumphiert.“
In der Neunten war Hitlers Machtergreifung dran; die Klasse wurde in fünf Gruppen geteilt und suchte die Fakten aus fünf verschiedenen Texten heraus; diese Fakten wurden dann in einem gemeinsamen Tafelbild festgehalten. Kaum war alles in die Hefte eingetragen, brach eine wilde Diskussion los – wäre so etwas heute noch möglich? Katja war begeistert – die Schüler nutzten ihr Wissen über die Schwachstellen der Weimarer Verfassung tatsächlich zur Argumentation! Auf das Pausenläuten reagierte die Klasse zunächst direkt belästigt, aber dann schnappten sie sich doch ihre Pausenboxen und drängten zur Tür; Katja gelang es gerade noch, Helge und Matthias zum Tafeldienst zu nötigen und währenddessen die Fenster zu schließen und das Licht abzudrehen.
Sie kehrte ins Lehrerzimmer zurück, wo Querfurth, die alte Nervensäge, mal wieder jemand Jungen, Unerfahrenen zu schikanieren versuchte.
„Dr. Querfurth, was soll das denn?“, verwies Hilde ihm schließlich sein Geschimpfe. „Der Kollege Reichenberger hat sich nun mal für den Fernsehraum eingetragen, also darf er ihn auch benutzen.“
„Ich bin seit über dreißig Jahren an dieser Schule und soll mich von so einem – so einem - “
„Vorsicht!“, mahnte Hilde. „Ich müsste sonst Herrn Reichenberger raten, sich beim Chef über Sie zu beschweren, und das wollen Sie doch sicher nicht schon wieder?“
„Anfänger!“, murrte Dr. Querfurth.
„Dann ist es doch umso merkwürdiger, dass Sie als erfahrener Kollege nicht rechtzeitig daran gedacht haben, sich den Raum zu sichern? Buchen Sie doch einen der Fernsehwägen!“ Hilde zog ein zuckersüßes Gesicht, und Dr. Querfurth wandte sich mit einem Laut ab, der fast wie „Scheißweiber“ klang – aber er hielt sich doch so viel auf sein Verhalten als Gentleman zugute?
Blöder alter Wichser, dachte Katja, als die Tür ins Schloss knallte. „Was unterrichtet der eigentlich?“, fragte Franz Reichenberger.
Katja musste tatsächlich nachdenken. „Deutsch, glaube ich. Und Geographie? Hilde?“
„Deutsch und Französisch“, korrigierte die. „Noch dieses Schuljahr, dann macht er Altersteilzeit. Blockmodell.“
„Dann sind wir ihn bald los?“, freute sich Reichenberger.
„Am letzten Schultag köpfen wir darauf einen Prosecco“, versprach Hilde, und Katja und Franz machten high five. Dabei stellte sie fest, dass Reichenbergers Hände zerkratzt waren. „Was hast du denn gemacht, Franz? Hast du Katzen?“
„Auch“, antwortete er, „aber die waren es nicht. Ich hab unser Bad neu gekachelt, und beim Abschlagen der alten Kacheln rutscht man gerne mal ab.“
„Du kannst kacheln?“ Katja war fasziniert.
„Klar. Ich kann kacheln, malen, Böden verlegen… damit hab ich mir während des Studiums ganz hübsch was nebenher verdient. Wieso?“
„Machst du das heute auch noch?“
„Nur noch bei uns zu Hause. Aber mein älterer Bruder Ludwig macht das hauptberuflich, bei dem hab ich´s ja auch gelernt. Willst du renovieren?“
„Erst mal vielleicht umziehen. Dann frag ich dich nach seiner Nummer, wenn es so weit ist.“
„Und schon wieder ein Problem gelöst“, feixte Hilde. „Jetzt finde erst mal eine Wohnung!“
Im Internet fand sich aber auch nichts Neues. Bis jetzt war die renovierungsbedürftige Wohnung in der Holbeinstraße die einzige, die interessant klang. Und die hatte wahrscheinlich irgendeine entsetzliche Macke.
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