Entweder, Ippanari hielt es nicht für wichtig, was zwischen den Menschen verhandelt wurde, oder sie mischte sich bewusst nicht ein, um deren freie Entscheidung nicht zu beeinflussen.
„Ohne unseren Schutz werden Sie von der nächsten Flotte der Scarabs hinweggefegt!“, rief Vendaar nun.
Brendan war so in Gedanken gewesen, dass er einen Teil der Diskussion verpasst hatte. Er konzentrierte sich wieder.
„Das werden Sie so oder so nicht zulassen“, konterte Präsidentin Hravlov kühl. „Die Hyperkristalle, die auf unserer Welt abgebaut und geschliffen werden, sind zu wertvoll.“
„Und an die anderen Planeten denken Sie gar nicht?“
„Auch die sind wertvoll für Gaia. Die Produktionskapazitäten, die unter dem Einfluss der Scarabs aufgebaut wurden ...“
Die Präsidentin unterbrach sich, denn ein junger Mann kam in den Besprechungsraum. Die Uniform wies ihn als Angehörigen der Flotte der Perseus-Kolonie aus. Er zögerte kurz, ging zu Lydia Vendaar und flüsterte ihr etwas ins Ohr. Sie sah ihn erstaunt an, zog ihr Kommunikationsgerät aus der Tasche und schaltete es ein. Für einen Moment starrte sie auf den Bildschirm, dann sagte sie so leise, dass es kaum verständlich war: „Ich bitte um eine Unterbrechung. Es sind neue Nachrichten hereingekommen.“
Brendan fühlte sich der Delegation der Vizeadmiralin zugehörig und folgte ihr hinaus, um mitzubekommen, was vorgefallen war. Aber sie gab ihm durch ein Handzeichen zu verstehen, dass er zurückbleiben sollte, als sie zu einem Adjutanten ging, der in einer Nische auf sie wartete. Andere Militärs blieben in ihrer Nähe stehen und schirmten das Gespräch ab. Es dauerte nicht lange. Brendan hatte den Eindruck, dass die eigentliche Information kurz und prägnant war, Lydia Vendaar aber nicht so recht glauben konnte, was sie hörte.
Schließlich kehrte sie zurück in den Besprechungsraum. Brendan und die anderen folgten ihr.
„Es ist etwas geschehen“, begann Vendaar, als alle wieder saßen und die erste Unruhe sich gelegt hatte, „das so unvorstellbar ist, dass niemand damit rechnete. Wie einige von Ihnen wissen, haben uns die H’Ruun zwei Kurierschiffe mit extremer Reichweite zur Verfügung gestellt. Das war, bevor sie sich im Schutz von Uruvela in eine unzugängliche Falte des Raumzeit-Gefüges zurückzogen.“
Die Präsidentin und die anderen Bewohner Ippanaris hatten davon noch nichts gehört, nahmen die Information aber so hin.
„Eines dieser Schiffe ist hier im Perseus-Arm und sucht weitere unabhängige Kolonialwelten. Das andere haben wir in den Orion-Arm geschickt.“
„Zur Erde?“, fragte Präsidentin Hravlov mit großen Augen.
„Nein, zu den Welten des Freien Orion. Das ist ein Planetenverbund, der sich von der Erde losgesagt hat. Wie wir ist auch der Freie Orion auf die Idee gekommen, eine Relaiskette aus automatischen Schiffen zwischen den Spiralarmen einzurichten. Deshalb konnte das Kurierschiff früher als erwartet Kontakt herstellen.“
Vendaar zögerte und fuhr dann fort: „Die Nachrichten, die es erhielt, sind erschütternd. Der Freie Orion hat jedoch umfangreiches Datenmaterial zu unserem Kurierschiff übertragen, um die Aussagen glaubhaft zu machen. Es steht also fest.“
Wieder unterbrach sie sich. Dann gab sie sich einen Ruck und sagte: „Die Erde ist zerstört! Scarabs haben die gesamte Oberfläche in eine radioaktive Wüste verwandelt. Alle bewohnten Stationen im Sonnensystem ebenso wie die besiedelten Planeten in mindestens zehn Lichtjahren Umkreis wurden ebenfalls vernichtet.“
Kapitel 3
Granger Tschad verstand nicht, warum man ihn zwang, in der Klinik zu bleiben. Er fühlte sich wieder fit und bereit, zurückzukehren in das normale Leben. Körperlich, zumindest. Rosies Tod hatte er noch nicht so ganz überwunden. Aber war das ein Grund, sein Zimmer mit einem elektronischen Schloss zu versehen, das sich nur für Ärzte und Pflegepersonal öffnete? Dachten die hier, er habe einen psychischen Schaden zurückbehalten von den Erlebnissen an Bord der Kadhoo I ? Da kannten sie Granger nicht!
Außerdem gab es in der Klinik weder Bier noch sonst eine Art von trinkbarem Alkohol. Damit hätte er die Erinnerungen wegdrängen können, die Gedanken an die Stunden, in denen er versucht hatte, den Körper der sterbenden Rosie in einen Raumanzug zu zwängen.
Granger schüttelte sich. Nun war er schon wieder bei dem Thema. Es brachte nichts, sich in die Vergangenheit hinein zu wühlen. Er musste an die Zukunft denken. Die Kadhoo I war ein Wrack, das zu bergen sich nicht lohnte. Vermutlich würde das nächste Schiff, das in das Fünf-Sonnen-System flog, einen automatischen Booster zu ihr schicken, der die Überreste in Richtung auf die nächstgelegene Sonne hin beschleunigte. Damit war es aus dem Weg und würde irgendwann verglühen. Die wenigen privaten Gegenstände, die sich von ihm und Rosie an Bord befanden, waren den Aufwand nicht wert, ein Bergungskommando hinzuschicken.
Er legte sich auf das Bett und überlegte. Als Erstes brauchte er wieder ein eigenes Raumschiff. Schenken würde man ihm keines, also blieb ihm wohl nur der harte Weg, einen Kredit aufzunehmen und ihn über Jahre abzuarbeiten. Das bedeutete, er musste sich lukrative Routen suchen, die nicht von anderen Tradern bedient wurden. Solche Routen waren entweder gefährlich oder illegal. Meist sogar beides. Granger hatte da so seine Erfahrungen.
Eine selten geflogene Route. Hm. Nun, hier draußen zwischen den noch unabhängigen Kolonialplaneten kannte er sich nicht gut genug aus, um so etwas zu finden. Allerdings würde es neue Verbindungen zwischen diesen Planeten und der Perseus-Kolonie geben, egal wie man sich auf politischer Ebene einigte. Das war schon einmal interessant.
Dann gab es da noch die Flüge zu den Planeten der Prospektoren. Falls er keine andere Möglichkeit fand und zurückkehren musste in die Perseus-Kolonie, wäre das auch eine Option. Dort kannte man ihn, da gab es oft gute Geschäfte, nicht selten am Rande der Legalität.
Aber wirklich reizen konnten ihn diese Aussichten nicht. Gab es etwas Neues, an das er noch nicht gedacht hatte?
Mit einem Ruck richtete er sich im Bett auf. Das Wurmloch! Falls es doch gelang, durch dieses teuflische Konstrukt zu fliegen, ergaben sich ganz neue Möglichkeiten. Es könnte ja sein, dass auf der anderen Seite wirklich die legendären Yarra-chi lebten. Und wenn zwei Rassen sich kennenlernten - und nicht gleich einen Krieg begannen -, dann kam bestimmt ein Handel zwischen ihnen in Gang. Und wer wäre dafür eher prädestinierte als er, der beinahe sein Leben geopfert hatte bei dem ersten Versuch, die Yarra-chi zu erreichen. Noch dazu wo seine Begleiterin dabei gestorben war.
Tja, und schon waren sie wieder da, die unerwünschten Gedanken an Rosie und die Stunden an Bord der Kadhoo I .
„Verdammt!“, rief Granger und ließ sich zurücksinken auf das Kissen.
Im selben Moment öffnete sich die Tür und einer der jungen Ärzte kam herein, die ihn hier betreuten - aufgrund welcher Diagnose auch immer.
„Gibt es Probleme?“, fragte der Arzt.
„Nur eines: Warum bin ich hier?“, knurrte Granger ihn an. „Ich bin nicht krank.“
„Wir waren in Sorge um Sie“, behauptete der Arzt. „Sie gehören zu den wenigen Menschen, die über magische Fähigkeiten verfügen, zumindest latent. Niemand hier hat Erfahrung damit, wie solche Menschen mit seelischen Schocks und körperlichen Belastungen fertig werden. Aber inzwischen sind wir davon überzeugt, dass keine bleibenden Schäden bei Ihnen zurückbleiben. Sie können die Klinik heute noch verlassen.“
„Ach, plötzlich“, sagte Granger und schwang sich aus dem Bett. „Was hat zu dieser Meinungsänderung geführt?“
„Die Ankunft eines Raumschiffs, auf dem sich ebenfalls magisch begabte Menschen befinden. Es kam von Ippanari. Sobald es hier im Orbit um Xundai war, haben wir diese Personen befragt und die beruhigende Antwort erhalten, dass nichts zu befürchten sei.“
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