„Dort unten ist der Regierungssitz“, sagte der Mann und deutete auf ein seltsames Bauwerk, das sich von allen anderen unterschied.
Brendan hatte schon davon gehört, dass die unabhängigen Kolonialwelten unter dem Einfluss der Scarabs einige Besonderheiten entwickelt hatten. Eine bestand darin, dass der Regent des Planeten in einem architektonisch auffallenden Gebäude residierte. In diesem Fall handelte es sich um eine langgezogene Struktur mit einem gewölbten Dach, das sich an den Ecken bis auf den Boden zog. Die Höhe schätzte er auf dreißig Meter, die Fläche, die es bedeckte auf etwa vierhundert mal zweihundert Meter. Ein riesiges Bauwerk, das rundum von Scheinwerfern angestrahlt wurde, aber keine erkennbaren Fenster oder Türen aufwies.
Als der Gleiter vor dem Regierungssitz landete, staunte Brendan erneut. Die Wände des Gebäudes waren glatt und durchgehend. Aus der Ferne betrachtet wiesen sie eine gelbliche, strukturierte Oberfläche auf, die an den Stiel eines Pilzes erinnerte, organisch fast. Und auch nun, da Brendan alles aus der Nähe sah, entdeckte er weder Fenster noch Türen.
Der Offizier stieg mit ihnen aus und führte sie auf eine Stelle der Hauswand zu, die sich in nichts von anderen unterschied. Als Brendan, Ari und Koumeran noch wenige Schritte von der Wand entfernt waren, erschien darin eine ovale Öffnung.
„Energiefelder“, sagte Koumeran anerkennend. „Ziemlich aufwendig und gut gemacht.“
Brendan sah sich die Hauswand genauer an und tastet sie mit der Hand ab. „Das wirkt stabil. Also hat man anstelle einer Tür ein Energiefeld installiert, das zusätzlich über eine optische Tarnung verfügt. So wird vorgetäuscht, dass die Wand nahtlos ist.“
„Könnte so sein“, bestätigte Koumeran. „Könnte aber auch sein, dass sie uns hier technologisch so weit überlegen sind, dass die ganze Wand ein Energiefeld ist, das sich anfühlt wie reale Materie.“
Der Offizier räusperte sich. „Die erste Vermutung ist richtig“, sagte er. „Um das Bauwerk möglichst organisch wirken zu lassen, wurden alle Öffnungen durch Energie- und Tarnfelder verhüllt. Das Regierungsgebäude symbolisiert die Verbundenheit der Menschen mit der Natur dieser Welt.“
„Also mit der intelligenten Ökosphäre, die alles Lebendige auf diesem Planeten durchdringt“, sagte Ari.
„So in etwa. Bitte treten Sie ein, Sie werden erwartet.“
Lydia Vendaar stand straff und schwarz gekleidet in der Tür des Besprechungsraums. Brendan war immer versucht, vor ihr zu salutieren, was er jedoch nicht mehr musste. Im Gegensatz zu Arianna Bold war er wieder Privatperson. Aber auch Ari schüttelte Vendaar nur die Hand. Koumeran hielt sowieso nichts von Formalitäten und machte es ebenso.
„Dies ist Risa Hravlov“, stellte die Vizeadmiralin eine kleine, blonde Frau vor, die nach Brendans Einschätzung kaum dreißig sein konnte. „Ihre Exzellenz Hravlov ist Präsidentin von Ippanari.“
Außer den beiden Frauen hielten sich noch einige Offiziere der Raumflotte von Gaia und zwei Mitarbeiterinnen der Präsidentin in dem Besprechungsraum auf.
Nachdem alle vorgestellt waren, ging Brendan zu den Fenstern und sah hinaus in die Morgendämmerung. Diese Fenster waren groß, oval und schienen aus Glas zu bestehen. Aber ein leichtes Flimmern verriet, dass etwas an ihnen besonders war. Ob es sich um das Material handelte oder um den vor den Fenstern liegenden Tarnschirm, der von außen gesehen eine Wand vortäuschte, konnte er nicht erkennen.
„Wir sind hier, weil wir die Zustimmung der Regierung für unsere Pläne einholen wollen“, begann Lydia Vendaar, als alle saßen. „Gaia möchte die bisher unabhängigen Kolonialwelten in den Schutz der Perseus-Kolonie aufnehmen. Selbstverständlich geschieht das von beiden Seiten auf freiwilliger Basis, wie ich betonen möchte. Obwohl wir de facto eine gewisse Vorleistung erbringen, indem wir die Planeten von der Unterdrückung durch die Scarabs befreien.“
Die Präsidentin nickte, sagte aber nichts.
„Selbstverständlich berücksichtigen wir auch die Interessen der intelligenten Ökosphären der betreffenden Welten, soweit sie von den Scarabs nicht abgetötet wurden. Hier auf Ippanari hat sie überlebt und war maßgeblich an der Befreiung des Planeten beteiligt. Außerdem hat sie uns geholfen, weitere vergessene Kolonialplaneten zu identifizieren und anzufliegen. Sie hat das Recht, gehört zu werden vor so weitrechenden Entscheidungen.“
Wieder gab es keinen Kommentar oder auch nur eine Bemerkung der Präsidentin. Sichtlich irritiert fuhr die Vizeadmiralin fort, die Vorleistungen zu benennen, die ihrer Ansicht nach von der Perseus-Kolonie erbracht wurden. Sie stellte es so dar, als wäre es für die unabhängigen Kolonialplaneten der einzig mögliche Weg, sich der Regierung auf Gaia unterzuordnen und auf deren Schutz zu hoffen. Schließlich begann sie, sich zu wiederholen, bemerkte es und beendete ihren Vortrag.
Die Präsidentin stand auf und bedankte sich zunächst. Nicht nur für die Darlegungen von Lydia Vendaar, sondern im Namen der Bevölkerung von Ippanari vor allem für die Hilfe durch die Raumflotte der Perseus-Kolonie.
„Aber Ihre daraus abgeleiteten Forderungen muss ich als unbegründet zurückweisen“, fuhr sie fort.
Das sorgte für überraschte Mienen bei den Vertretern Gaias.
„Ippanari ist, wie alle anderen Kolonialwelten hier draußen, von Menschen besiedelt worden, die sich nicht einer übergeordneten Instanz beugen wollten“, führte sie weiter aus. „Unsere Vorfahren hielten Freiheit für das höchste Gut. Wie Sie inzwischen vermutlich ahnen, gibt es nicht nur eine Handvoll, sondern Hunderte solcher Planeten hier draußen in Richtung einwärts . Und wenn Sie in der entgegengesetzten Richtung suchen, werden Sie ebenfalls viele finden. Wir sind nur lose miteinander vernetzt, hauptsächlich über einfache Handelsbeziehungen. Unsere Besatzer, die Scarabs, haben diese Beziehungen ausgebaut und wollten sie für ihre Zwecke nutzen. Wenn ich Ihren Worten glaube, war es das Ziel unserer Feinde, uns zu einer gewaltigen Militärmacht zu entwickeln. Die sollte dann in deren Sinn gegen die Praan-Saat eingesetzt werden. Die Pyramiden auf den Planeten dienten also nicht nur der psychischen Beeinflussung und Befriedung der Bevölkerung. Sie waren auch militärische Stützpunkte.“
Die Präsidentin fuhr fort, die Möglichkeit eines lockeren Verbundes der unabhängigen Kolonialplaneten zu erläutern. Der werde selbstverständlich mit der Perseus-Kolonie eng zusammenarbeiten, aber eben nicht unter der Regentschaft Gaias stehe.
Während Brendan zuhörte, sah er Lydia Vendaar an. Die Frau war im Auftrag der Regierung hier. Vermutlich hatte sie den Befehl - schließlich war sie Offizierin -, dafür zu sorgen, dass die Kolonialplaneten schnellstmöglich in die Perseus-Kolonie eingegliedert werden konnten. Würde sie in so ein Gespräch gehen, ohne Druckmittel in der Hand zu haben? Sicherlich nicht. Möglicherweise war bereits die massive Präsenz von Kampfschiffen im Orbit Teil ihres Plans. Offiziell bestand die Aufgabe dieser Schiffe darin, Ippanari zu schützen. Aber ob es dafür so viele sein mussten, war eine Frage, die sich unter diesen Gesichtspunkten neu stellte.
Präsidentin Hravlov ließ eine Liste von Planetennamen auf einem Bildschirm darstellen und erklärte: „All diese Welten habe ich bereits kontaktiert. Einige wurden von Ihnen und Ihrer Flotte von Scarabs befreit. Man ist Ihnen dafür unendlich dankbar. Auf anderen dagegen gab und gibt es keine Pyramide mit einem der Käferwesen darin. Diese Welten waren immer frei. Manche haben nur wenige Hunderttausend Bewohner. Andere, die lange unter der Herrschaft eines Scarabs standen, mehrere Milliarden. Aber alle sind sich einig, dass sie nicht Teil der Perseus-Kolonie werden wollen.“
Das führte zu einer heftigen Diskussion. Brendan hielt sich heraus, ebenso wie Ari und Koumeran. Sie waren hier nur geduldet, und er wusste auch warum: Ari und er konnten dank ihrer magischen Fähigkeiten direkt Kontakt zu der intelligenten Ökosphäre dieses Planeten herstellen. Sie benötigten keine weiteren Hilfsmittel, um das zu tun. Bisher hatten sie ihre Talente nicht eingesetzt, weil Vendaar sie nicht dazu aufgefordert hatte. Auch hatte die Ökosphäre noch nicht von sich aus Verbindung mit ihnen aufgenommen, obwohl sie wahrscheinlich über die Vorgänge hier Bescheid wusste.
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