Daraufhin hielt Granger erst einmal den Mund. Er beobachtete, wie Rosie in Zusammenarbeit mit der KI weitere Navigationspunkte in dem Fünf-Sonnen-System festlegte und nach den sichersten Wegen zwischen diesen Positionen suchte. Es handelte sich jeweils um eine Art Lagrange-Punkt, wo sich die Gravitationswirkungen der Sonnen aufhoben und so Gebiete relativer Stabilität schufen.
Nachdem der Flugplan für die nächsten drei Tage festgelegt war, wandte sich Rosie wieder an Granger: „Du kannst jetzt die Zentrale übernehmen, ich lege mich hin. Wir sollten zwei Schichten zu je zwölf Stunden einrichten, sodass immer einer von uns hier ist.“
Granger fand keine vernünftigen Argumente gegen diesen Vorschlag, also stimmte er zu. Alter Gewohnheit entsprechend setzte er sich in den Pilotensitz, den Rosie freimachte, und legte die Füße hoch auf die Konsole. Bequemlichkeit war ein hohes Gut für ihn.
Rosie sagte nichts dazu, was er ihr hoch anrechnete.
Nachdem sie weg war, stand er aber noch einmal auf und holte sich eine Büchse Bier. Dann ließ er sich von der KI Musik vorspielen und starrte die Monitore an, auf denen Flugdaten, Messwerte und Ortungsergebnisse regelmäßig aktualisiert wurden.
Er bemerkte nichts Ungewöhnliches. Musste er auch nicht, denn auf alles, was außerhalb des Normalen war, würde ihn die KI sofort hinweisen. Deshalb konnte er es sich leisten, in der Musik zu schwelgen und Tagträumen nachzuhängen. Wie es wäre, auf einem Planeten zu leben, zum Beispiel. Vielleicht mit einer Frau wie Rosie, die ein gewisses Verständnis aufbrachte für Männer wie ihn. Aber es sollte schon eine Welt sein, auf der man seine Ruhe hatte vor diesem ganzen politischen und militärischen Hickhack, das in der Perseus-Kolonie alltäglich war. Besiedelt musste diese Welt natürlich sein, damit man Handel treiben und etwas verdienen könnte; aber mit einer friedlichen Bevölkerung, die nicht zu Abenteuern und Aggression gegen Nachbarn neigte.
Andererseits, das Leben als Trader hatte auch seine Vorteile. Auf seinem eigenen Schiff von Planet zu Planet zu fliegen, ohne irgendwo kleben zu bleiben oder Wurzeln zu schlagen, war nicht schlecht. Man konnte allen Problemen davonfliegen. Wenn eine Welt zu sehr nervte, dann strich man sie eben von seiner Liste. Es gab genügend andere.
Aber für beide Lebensentwürfe war eine Menge Startkapital nötig. Granger wollte ja schließlich nicht wieder bei Null anfangen. Obwohl - genau da befand er sich ja im Moment. Ohne Geld auf dem Konto und ohne eigenes Schiff. Die Kadhoo I gehörte der Regierung von Xundai, nicht ihm.
Er war kurz davor, wieder einzunicken, als die KI sich meldete.
„Ich orte eine Flotte der Scarabs, die gerade im System erschienen ist. Es könnte sein, dass sie Xundai angreifen wollen. Allerdings spricht ihr Kurs nicht dafür, dass sie einen Sprungpunkt dorthin suchen. Wahrscheinlich wissen sie nichts von seiner Existenz.“
„Können sie uns orten?“
„Man kennt ihre technischen Fähigkeiten nicht gut genug, um das einschätzen zu können. Wir fliegen nahe an einer Sonne und zwischen uns steigen Protuberanzen hoch.“
„Okay, da sie technisch weiter sind als wir, dürften sie wissen, dass wir hier sind. Steuere das Schiff auf den nächsten erreichbaren Sprungvektor zu. Gib Alarm, sobald es Anzeichen dafür gibt, das die Scarabs sich für uns interessieren.“
Eine halbe Stunde lang geschah nichts. Granger saß nun gespannt vor den Monitoren und ließ die Finger von der Bierbüchse.
Dann meldete sich die KI wieder: „Die Scarabs kreisen einen bestimmten Punkt im System ein. Ich kann an dieser Stelle keine Besonderheiten orten.“
„Ist es ein Lagrange-Punkt im Gravitationsfeld der fünf Sonnen?“
„Negativ. Allerdings ...“ Die KI unterbrach sich und sprach erst nach ein paar Sekunden weiter: „Ein Objekt mit geringer Masse an diesem Punkt würde mindestens zwei Millionen Jahre einer stabilen Bahn folgen. Es befände sich immer in der Nähe einer der fünf Sonnen, ohne Gefahr zu laufen, in eine davon zu stürzen.“
Granger fuhr vor Schreck herum, als er hinter sich Rosies Stimme hörte.
„Was geht hier vor? Warum wurde ich nicht sofort geweckt? KI, Statusbericht!“
Das klang nicht mehr nach der netten Rosalinde Burringer, die Granger kannte. Ihr Gesicht zeigte einen ernsten, entschlossenen Ausdruck. Ohne dazu aufgefordert zu werden, wechselte er vom Sitz des Piloten auf den des Ortungsspezialisten.
Die KI wiederholte ihre Meldung, fügte aber hinzu: „Soeben ist ein Frachtschiff im System materialisiert. Es dürfte auf dem Weg nach Xundai sein.“
„Kommt es in die Nähe der Scarabs?“, fragte Rosie.
„Es wird deren Position mit einer halben AE Abstand passieren, wenn es auf den üblichen Sprungpunkt nach Xundai zuhält. Jetzt scheint man dort die Scarabs geortet zu haben. Das Schiff geht auf Gegenbeschleunigung.“
„Da man uns in Ruhe lässt, wird man sich auch um den Frachter nicht kümmern“, sagte Granger, um Rosie zu beruhigen.
Doch eine Viertelstunde später zeigte sich, dass dem nicht so war. Eines der Scarab-Schiffe verließ die Formation und beschleunigte mit so hohen Werten auf den Frachter zu, dass der keine Chance hatte, zu entkommen.
Rosie sprang auf. „Wir müssen helfen!“, rief sie.
„Sinnlos“, sagte Granger. „Wir kommen nicht gegen die ganze Flotte an. Nicht einmal gegen dieses eine Schiff. Die Kadhoo I ist nur minimal bewaffnet und wir sind zu weit entfernt.“
„KI, kannst du den Frachter identifizieren?“
„Es handelt sich um die Llorgas , Besitzer ist der Trader Frank Spandar.“
„Verdammt!“, rief Rosie.
„Kennst du ihn?“, fragte Granger.
„Natürlich, ich kenne alle unsere Trader. Netter Kerl. KI, Funkverbindung herstellen.“
„Nein!“, rief Granger. „Was willst du ihm sagen? Herzlichen Glückwunsch zum Heldentod?“
„Er soll versuchen, mit dem Beiboot abzuhauen.“
„Wenn er schlau ist, kommt er von alleine auf die Idee. Wir können ihn dann einsammeln, sobald die Scarabs wieder weg sind.“
Doch der Trader zögerte zu lange. Vielleicht wollte er sein Schiff und die Fracht nicht im Stich lassen. Als die Ortung schließlich zeigte, wie das Beiboot sich von der Llorgas löste, war der Scarab nahe genug, um zu feuern. Er vernichtet Frachtschiff und Beiboot auf einen Schlag.
Granger sagte nichts, während Rosie die Lippen zusammenpresste und einen zischenden Laut ausstieß. Sie ballte die Hände zu Fäusten und machte dann einige Male eine pumpende Bewegung mit den Fingern. Schließlich entspannte sie sich wieder.
„Wir werden von hier verschwinden, sobald wir wissen, was los ist“, sagte Granger. „KI, wie sieht es mit dem Sprungvektor aus?“
„Kurs liegt an“, lautete die Antwort.
Auf den Monitoren der Fernortung war zu sehen, wie das einzelne Schiff der Scarabs zu seinem Verband zurückkehrte. Der hatte seine Position nicht verändert.
„Wenn die Scarabs sich für diese Stelle interessieren, können wir davon ausgehen, dass dort etwas ist. Was tun sie jetzt?“ Granger sah zwar die Bewegungen der feindlichen Schiffe als Punkte und Vektorpfeile auf einem Bildschirm, konnte aber daraus nicht auf deren Absicht schließen.
„Es gibt nur noch minimale Kurskorrekturen“, erklärte die KI. „Die Flotte scheint ihr Ziel erreicht zu haben. Achtung: Ich messe starke Energieausbrüche an. Ich kann diese Energieform nicht zuordnen. Es könnte eine unbekannte Waffe sein, aber auch eine neue Form von Antrieb.“
„Zeig mir eine optische Simulation“, forderte Rosie.
Über der Konsole vor ihr erschien ein dreidimensionales Abbild der Flotte der Scarabs. Die Schiffe hatten sich gleichmäßig um einen Punkt im Raum verteilt. Es waren insgesamt zweihundert Einheiten, die eine Art Kugelschale formten. Zwischen jeweils zwei einander gegenüber fliegenden Schiffen entstanden leuchtende Brücken aus Energie. All diese Energiebahnen trafen sich im Zentrum.
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