Ringa runzelte die Stirn. Größer bedeutete mehr Volumen. Dass die Masse nicht proportional dazu größer war, ließ sich nur auf zwei Weisen erklären. Entweder, die Fremden hatten viele Hohlräume im Schiff, etwa leere Hangar. Oder sie verwendeten für die Hülle ein Material, das leichter war als alles, was die Menschheit kannte. Das wäre dann ziemlich wertvoll, vorausgesetzt es wies dieselbe Stabilität auf. Hier deutete sich ein Riesengeschäft an - falls ihre Vermutung zutraf und falls es zu einem Handel kam.
Schließlich sprang der Fremde in den Hyperraum. Alle Messwerte dieses Vorgangs entsprachen denen eines menschlichen Schiffes, jedoch war der Energieausstoß so gering wie bei einem kleinen Raumschiff.
Die Purity und die Karuddh gaben ihre Funkstille auf und tauschten nun ihre Messergebnisse mit großer Geschwindigkeit aus.
„Okay, entweder jemand imitiert unsere Schiffe oder es handelt sich um eine Neuentwicklung, die von einer menschlichen Werft stammt“, folgerte Ringa.
„Finden wir es heraus. Den Sprungvektor des Schiffes konnten wir hinreichend genau vermessen. Wenn ich die Energie zugrunde lege, die es aufgewendet hat, kommen nur zwei Sonnensysteme als Ziele in Frage. Das eine ist knapp innerhalb der Sprungreichweite der Karuddh , das andere etwas zu weit entfernt. Wie sieht es mit der Purity aus?“
„Ebenso“, musste Ringa zugeben. Es hätte ihr gefallen, wenn sie den H’Ruun in diesem Punkt übertrumpfen konnte, aber dem war nicht so.
„Also fliegen wir das näher gelegene System an. Vorher müssen wir noch per Fernortung und Optikauswertung feststellen, ob es sicher ist, dorthin zu springen.“
Diesmal hatte Ringa nichts gegen die Vorsicht des H’Ruun einzuwenden. Hyperraumsprünge in unbekannte Sonnensysteme waren immer mit einem erheblichen Risiko verbunden. Befand sich an der Stellen, an der man materialisierte, ein festes Objekt, so würde das Raumschiff im Sekundenbruchteil seines Auftauchens zerstört werden. Zwar waren Sonnensysteme vom menschlichen Standpunkt aus betrachtet meist extrem leer. Aber es gab auch Gebiete wie Asteroidengürtel, die tödliche Fallen sein konnten.
Einen halben Tag brauchten sie, bevor sie genügend Informationen hatten, um den Sprung riskieren zu können. In dieser Zeit manövrierten sie ihre Schiffe bereits auf den Kursvektor, auf dem der Fremde geflogen war. Als die Entscheidung fiel, ihm zu folgen, reichten wenige weitere Minuten, dann leiteten beiden den Hypersprung ein.
Sie gelangten in ein ziemlich durchschnittliches Sonnensystem mit einer kleinen, weißen Sonne, um die vier Riesenplaneten kreisten. Keiner war für Leben geeignet.
„Jetzt müssen wir nur noch herausfinden, ob der Fremde hier ist“, meinte Ringa.
„Wenn seine Ortungsgeräte gut sind, hat er unser Eintreffen bemerkt“, erwiderte Gorrr. „Ist er aggressiv, wird er uns stellen. Ist er vorsichtig, schaltet er seine eigenen Tarnvorrichtungen ein und macht sich unsichtbar.“
„Dann brauchen wir viel Geduld.“
Maßnahmen, die verhinderten, dass ein Raumschiff geortet oder optisch erfasst werden konnte, waren immer nur für einen begrenzten Zeitraum anwendbar. Der Grund dafür war der immense Energieaufwand, den sie bedeuteten. Wobei ein Teufelskreis entstand: Den hohen Energieverbrauch konnte wiederum leichter orten, er musste seinerseits verborgen werden, was noch mehr Energie für die Anti-Ortungsanlagen verlangte. Deshalb gab es keine perfekte Tarnung. Ein Rest blieb immer übrig, da unendlich viel Energie notwendig wäre, um ein Objekt vollständig abzuschirmen. Es gab aber eine Obergrenze, die ein Raumschiff dafür aufwenden konnte, und das war die maximal erzeugbare Leistung seiner Reaktoren. Es war nicht möglich, diesen Aufwand unbegrenzt lange aufrecht zu erhalten.
Da sie keine Spuren des fremden Schiffs entdeckten, gaben sie schließlich die Suche auf. Sie scannten das zweite in Frage kommende System. Wenige Stunden genügten, denn es war nur vier Lichtjahre entfernt und schien lediglich aus der Sonne und einem weit draußen kreisenden Gesteinsring zu bestehen. Als ein Sprungvektor feststand, beschleunigten die beiden Schiffe.
Als sie kurz davor waren, in dieses nächste System zu springen, fiel Ringa doch noch etwas an den aktuellen Messwerten auf. „Stopp! Wir bleiben hier!“, rief sie.
„Was ist?“, fragte Gorrr.
„Tarnung wieder einschalten, wir unterhalten uns über Laserverbindung“, forderte Ringa.
Die Purity und die Karuddh näherten sich einander soweit an, dass keine lästig lange Verzögerung bei dieser Art der Kommunikation eintrat. Dann erst sagte Ringa: „Einer der Gasriesen hat ein ungewöhnliches Energiespektrum. Außerdem stimmt etwas mit dem Magnetfeld nicht.“
„Das habe ich gesehen. Bei Planeten dieser Größe kann das vorkommen.“
„Richtig. Aber schau dir das Spektrum der Monde an.“
„Du meinst, sie könnten bewohnt sein? Ich sehen keine Energieemissionen oder andere Hinweise darauf, dass dort Technologien eingesetzt werden.“
„Ja. Aber wenn du dir das Energiefeld des Riesenplaneten und sein Magnetfeld grafisch anzeigen lässt, wird dir auffallen, dass jeder Mond gewisse Abweichungen darin verursacht. Bis auf einen.“
Nach einer kurzen Gesprächspause stimmte Gorrr ihr zu. „Du hast recht. Der Mond hat fast denselben Durchmesser wie die Planeten, die von Menschen bevorzugt besiedelt werden. Er müsste ein eigenes Magnetfeld aufweisen, das mit dem des Gasriesen interagiert.“
„Entweder er hat eine ganz andere innere Struktur als ähnlich große Himmelskörper, oder es gibt eine Form von Abschirmung. Ich schlage vor, wir fliegen hin und sehen ihn uns genauer an.“
„Einverstanden.“
Beide Raumschiffe beschleunigten mit Werten, die von ihren Tarnvorrichtungen noch vertuscht werden konnten. Dabei suchten sie mit Hilfe der passiven Ortung ununterbrochen das Sonnensystem ab und beobachteten den verdächtigen Mond.
Dann gingen sie auf Gegenbeschleunigung und kamen eine AE von dem Gasriesen entfernt relativ zu ihm zum Stillstand. Der Mond umkreiste den Zentralplaneten in einem Abstand von rund einer Million Kilometern und benötigte für einen Umlauf neun Tage.
„Zu weit von der Sonne entfernt, um genug Licht von ihr zu empfangen“, sagte Ringa, während sie die optischen Aufnahmen der Oberfläche betrachtete. „Deshalb keine Vegetation und keine sonstigen Spuren von Leben. Ein kahler Gesteinsbrocken, wie nicht anders zu erwarten.“
„Auch Menschen werden Kolonialwelten haben, auf denen sie ihre Siedlungen unterirdisch anlegen. Wir müssen die Teleskopaufnahmen von unseren KIs nach verräterischen Stellen an der Oberfläche absuchen lassen, die auf ...“ Gorrr unterbrach sich. Dann fuhr er fort: „Schau mal, was dem Mond in zwei Millionen Kilometern Abstand auf derselben Umlaufbahn folgt.“
„Verdammt!“, rief Ringa. „Du hast es eine Sekunde früher entdeckt als ich.“
„Eine filigrane Struktur aus Metall und Kunststoff. Schwer zu orten, aber eindeutig künstlich errichtet. Geringer Energieverbrauch, der im Strahlungsschauer des Riesenplaneten nicht auffällt.“
„Das könnte eine Werft sein“, sagte Ringa. „Derzeit ist dort nicht viel los, deshalb verbraucht sie wenig Energie.“
„Oder man hat unsere Anwesenheit hier im System bemerkt und alle unnötigen Energieverbraucher heruntergefahren.“
„Näheren wir uns dem Ding an?“
„Ich würde es für besser halten, eine geschützte Position zu finden und weiter zu beobachten“, sagte Gorrr. „Irgendwann werden sie annehmen, dass wir weitergeflogen sind, und den normalen Betrieb wieder aufnehmen.“
„Irgendwann?“, rief Ringa empört. „Wie lange willst du warten. Wochen? Monate?“
„Warum nicht?“, fragte der H’Ruun zurück.
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