1 ...6 7 8 10 11 12 ...15 Kurz nach vier trudelten die anderen ein, nicht ohne irritierte Bemerkungen, dass Hilde es gewagt hatte, sich auf den Parkplatz zu stellen. Martin fasste es dann für alle zusammen: „Lehrer eben, die haben ja genug Zeit, früher zu kommen und die Plätze zu blockieren.“
Hilde murmelte „Leck mich“ in sich hinein und lächelte falsch. Glücklicherweise wurden sie nun in das Zimmer von Dr. Jörgens gerufen und nahmen in einer Reihe auf recht unbequemen Stühlen Platz.
Dr. Jörgens äugte in geradezu klassischer Weise über seine Halbbrille und musterte die Familie der Reihe nach: „Ich verlese jetzt das Testament der verstorbenen Martha Willinger, datiert auf den 20.11.2005.“
„Wieso denn, meine Frau muss doch sowieso alles erben“, nölte Hildes Vater. Jörgens warf ihm einen scharfen Blick zu. „Ganz so ist es auch nicht. Und es gibt eine ganze Reihe von Erben. Darf ich jetzt bitte fortfahren?“
Gegrummel.
Jörgens räusperte sich.
„Das Penthouse in der Avenariusgasse 3 erbt mein Neffe Martin Suttner, dazu eine Summe in Höhe der fälligen Erbschaftssteuer.“
„Yep!“, machte Martin und reckte glücklich die Faust. Hilde grinste. Ein Penthouse, genau, was der kleine Yuppie sich wünschen musste. Jetzt konnte er bloß hoffen, dass es nicht vermietet war!
„Die Doppelhaushälfte in der Puellstraße 23 soll meine Nichte Sabine Thießen bekommen, damit ihre Kinder endlich einen richtigen Garten zum Spielen haben. Vielleicht bescheren Sabine und Tobias mir ja postum noch einen Großneffen!“
Sabine strahlte und warf dann Hilde einen hämischen Blick zu. Gerade, dass sie ihr nicht die Zunge herausstreckte!
„Auch Sabine bekommt aus der restlichen Erbmasse den Betrag der Erbschaftssteuer.“
„Was? Das bleibt ja für uns gar nichts mehr!“, entrüstete sich der Vater. „Das fechte ich an! Das muss man ja anfechten! Das ist ja sittenwidrig!“
„Nicht im Geringsten“, war die kalte Antwort.
„Meiner Nichte Hilde Suttner vermache ich -“
O Gott, dachte Hilde, jetzt kommt das Geschirr! Und Papa sah aus, als träfe ihn gleich der Schlag – Hilde auch noch? Und er wurde dem Hungertod preisgegeben??
„- meine Wohnung am Waldburgplatz, mit allem, was darin ist, außer dem Schmuck, und ebenfalls genügend Geld, um die Erbschaftssteuer zu bestreiten. Mögest du Spaß daran haben, daraus dein eigenes Nest zu bauen, Hilde! Alles Übrige erhält meine Schwester Helga Suttner, geborene Winter. Ich hoffe, dass sie wenigstens einen Teil für sich selbst behält und nicht alles ihrem lieben Herbert ausliefert, der nicht halb so viel von Geldanlagen versteht wie er glaubt.“
Jörgens sah auf und musterte die Gesichter. Hilde strahlte still vor sich hin. Eine Dreizimmerwohnung! Im besten Waldburgviertel! Nur noch zehn Minuten bis zum Mariengymnasium! Das sie auf Vordermann zu bringen gedachte! Drei Zimmer!
Drei Zimmer voller Krempel.
Ihr Lächeln erstarb.
Sabine rief: „Einen Sandkasten! Und eine Schaukel! Einen Kletterbaum! Tobias, das können unsere Süßen jetzt alles haben, herrlich!“
„Liebe Tante Martha“, murmelte Hilde. „Und für jeden das Richtige!“
„Das fechte ich an!“, rief ihr Vater wieder.
„Herbert, du hältst jetzt endlich den Mund“, zischte ihre Mutter.
Verblüfftes Schweigen, dann begann Hilde, auf der Stuhllehne Applaus zu klopfen wie in der Uni. Martin und Tobias fielen sofort ein, Sabine, die ein Studium aus Weiblichkeitsgründen abgelehnt hatte, schaute ratlos und machte das Klopfen dann etwas ungeschickt nach.
„Bravo, Helga!“, lobte Tobias. „Lass dir nichts gefallen!“
„Eine Anfechtung wäre auch zwecklos“, erläuterte Dr. Jörgens. „Ich habe das Testament selbst aufgesetzt, der Anteil Ihrer Gattin ist angemessen hoch und Ihren Kindern werden Sie ja wohl etwas gönnen!“
Das hätte ihr Vater wohl am liebsten bestritten, dachte Hilde amüsiert, wenn er sich nicht doch geniert hätte. Außerdem war er bleich und zugleich rotfleckig, wahrscheinlich, weil ihm seine Frau zum ersten Mal seit über dreißig Jahren den Mund verboten hatte. Mama sah sich kriegerisch um.
Armer Papa! Eine Runde Mitleid.
Hilde grinste immer noch, als sich alle erhoben. Sabine und Tobias konnten sich ihr neues Haus heute noch ansehen, das hatte Dr. Jörgens schon arrangiert, Martin musste noch etwas warten, weil die Mieterin des Penthouse erst zum ersten Mai ausziehen würde.
„Und Sie, Frau Suttner, können am nächsten Montag in die Wohnung Ihrer verstorbenen Tante. Ist Ihnen das Recht? Wir müssten vorher das Inventar überschlägig aufnehmen, den Schmuck sicherstellen, den ja Ihre Frau Mutter bekommt, und die Unterlagen sichten. Möchten Sie daran gerne teilnehmen? Ich hätte an übermorgen gedacht, so ab drei Uhr?“
Hilde war einverstanden. Sie wollte die Wohnung sehen, von der sie, da Tante Martha sie bis zum Gehtnichtmehr vollgestopft hatte, nur den Eindruck drangvoller Enge hatte, obwohl sie doch oft genug dort gewesen war. Dunkel, voll und kühl. Und komische Türen, ein Gitterwerk aus dunklem Holz mit mattiertem Glas als Füllung.
Ein bisschen wie die Wohnung von Hercule Poirot in diesen göttlichen Verfilmungen. Ach – jetzt war sie ja eigentlich ziemlich reich, jetzt konnte sie sich die anderen Staffeln auch bestellen! Gutes Gefühl.
Ihr Vater schmollte immer noch, der Rest strahlte. Liebe, gute Tante Martha, sie hatte alle glücklich gemacht.
Hilde blinzelte, als sie auf die Straße trat. Eine eigene Wohnung! Drei Zimmer! Nie mehr Winzkabuff! Nie mehr mit einem einzigen Regal zurechtkommen! Gute Geschäfte in der Nachbarschaft, ein romantischer Park vor der Haustür… Konnte man es besser haben?
Martin und Sabine grinsten ebenfalls von einem Ohr zum anderen, die grämliche Miene ihres Vaters war eigentlich nur zum Lachen.
„Jetzt hör endlich auf mit dieser Lätsch´n“, schimpfte Mama halblaut. „Wir haben rund eine dreiviertel Million bekommen, auch netto nicht schlecht. Ich gebe dir die Hälfte, dann kannst du sie für dein Alter narrensicher anlegen.“
„Die Hälfte? Wieso nur die Hälfte? Ich muss doch alles anlegen, du verschleuderst es doch nur!“
Mama trat einen Schritt zurück. „Herbert, bist du jetzt völlig durchgedreht? Ich habe noch nie etwas verschleudert, aber du hast schon ganz schön fehlinvestiert. Ich habe geerbt, und da werde ich ja wohl die Hälfte selbst anlegen dürfen!“
„Au ja“, mischte Hilde sich ein, „und nach einem Jahr vergleichen wir, wem es besser ergangen ist. Mama, ich kann nur sagen: Hut ab!“
„Sei du bloß still“, zischte ihr Vater. „Du und deine Geschwister, ihr schämt euch nicht, auf Kosten eurer Eltern zu leben. Wenn ihr auch nur einen Funken Anstand hättest, würdet ihr auf die Anteile verzichten, die ihr auf Gott weiß was für krumme Methoden ergaunert habt!“
Martin und Sabine traten näher, und die ersten Passanten blieben neugierig stehen.
„Aber sonst fehlt dir nichts, ja?“, erboste Hilde sich. „Wir haben alle unsere Ausbildungen selbst finanziert, obwohl das eigentlich deine Aufgabe gewesen wäre, du alter Geizkragen, und Tante Martha hat uns ganz legal etwas hinterlassen, weil sie uns mochte. Du hast sie doch immer ignoriert oder schwach angeredet, warum hätte sie dir was hinterlassen sollen? Sie konnte dich ja verdientermaßen nicht leiden. Und verzichten? Du würdest die Immobilien doch bloß zu einem Spottpreis verkaufen, obwohl die Preise gerade im Keller sind, weil dir Immobilien zu schwierig sind, und alles in Sparbriefen anlegen. Kein Wunder, dass deine Bank dich liebt – so einen naiven Kunden möchte ich auch mal haben.“
„Genau!“, rief Tobias. „Wer verdient denn an Sparbriefen? Doch bloß die Bank! Was kriegst du da Zinsen?“
„Vier Prozent“, verkündete der Vater durch die zusammen gebissenen Zähne.
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