Nichts gegen Aufbewahrungsmöglichkeiten für Gästeseifen – aber weiß lackierte Körbchen, an denen sich der Staub begeistert festsetzte?
Auch da würde ihr etwas anderes einfallen.
Hilde verließ das Gästeklo und traf auf Dr. Jörgens, der im Gehen etwas notierte.
„Fertig?“
„Ich schon“, sagte Hilde. „Sehr eindrucksvoll, das alles. Und sehr überfüllt. Und Sie?“
„Ebenfalls. So viel war es gar nicht. Den Schmuck habe ich in Verwahrung genommen, wenn es Ihnen recht ist.“
Hilde sah auf die Samtschatulle unter seinem Arm und nickte. „Kein Problem. Müssten Sie mir das dann irgendwie quittieren oder wie?“
„Selbstverständlich. Ich habe eine Liste erstellt, die wir jetzt durchgehen sollten. Ansonsten gibt es hier kaum Wertgegenstände, die ich erfassen müsste. Das meiste liegt unter der Grenze. Was nicht heißt, dass es sich nicht lohnen könnte, manchen Nippes zu verkaufen. Ich könnte Ihnen die Adresse eines guten Porzellan- und Silberfachmanns geben.“
Hilde bedankte sich. Das war ja prima – vielleicht kam der dann sogar noch ins Haus, nahm den ganzen Krempel mit und ließ dafür Geld da? Sie studierte rasch die Liste und nickte dann billigend.
„Außerdem hat Ihre Tante zwei Pelzmäntel hinterlassen. Möchten Sie die gerne haben?“
Hilde schüttelte sich. „Ich vermute mal, einen Nerz und einen Persianer, ja? Nein, danke. Sie können Mama fragen, aber wahrscheinlich will die sich auch keine toten Tiere umhängen. Was macht man mit so was? Begraben?“
„Verkaufen“, antwortete Dr. Jörgens trocken. „Es gibt immer noch Liebhaber. Und manche Kürschner verarbeiten ältere Felle als Mantelfutter. Ich könnte mir das Plazet Ihrer Mutter holen und mich dann an einen mir bekannten Kürschner wenden.“
„Machen Sie das“, bat Hilde herzlich. „Wissen Sie, bei Geld habe ich keine Probleme, Anlagen und so. Aber dieser ganze bürgerliche Wohlstandskram – da weiß ich echt nicht, wie man den am besten unterbringt. Bücher, die mir nicht liegen – gut, Lesefabrik. Aber sonst?“
„Die Lesefabrik ist eine gute Adresse dafür“, lobte Dr. Jörgens. „Aber zeigen Sie Bücher aus dem 19. Jahrhundert vorher dem Antiquariat Füssli & Hermanns. Die machen Ihnen einen fairen Preis, wenn etwas von Wert dabei ist.“
„Was täte ich ohne Sie?“, seufzte Hilde.
„Das ist doch meine Aufgabe. Was glauben Sie, wieviele Wohnungen ich schon aufgelöst habe! Und dabei geht es doch oft darum, noch möglichst viel für die Erben herauszuholen.“
„Sie kennen nicht zufällig auch jemanden, der diese überflüssigen Schränklein und Trühlein und Kästlein für teures Geld abholen möchte?“
Dr. Jörgens grinste. „Nur die Caritas. Leider, die Möbel sind solide und meiner persönlichen Meinung nach auch nicht hässlich, aber zum größten Teil Maßanfertigungen aus den achtziger Jahren – wert sind sie nichts. Das sind nur Gebrauchtmöbel. Die Caritas holt sie wenigstens ab.“
„Die großen Sachen gefallen mir ja nicht so schlecht“, beeilte sich Hilde zu sagen, „aber dieser Kleinkram – so was kann ich nicht haben. Ist das nun pietätlos?“
„Aber nein, Unsinn. Sie hat sich doch ausgemalt, wie Sie hier umräumen und aussortieren werden und sich diebisch gefreut. Hilde macht was aus der Höhle , hat sie gesagt.“
Hilde seufzte wieder. „Mit dem ganzen Steuerkram weiß ich auch nicht so gut Bescheid…“
„Aber das machen doch ohnehin wir! Natürlich halten wir Sie dabei auf dem Laufenden. Soll ich auch das Telefon ummelden?“
Hilde nickte. Sie hatte bis jetzt immer nur das Handy gehabt, noch nie einen eigenen Festnetzanschluss. Einen WLan-Router musste sie sich auch besorgen.
Im Treppenhaus herrschte zunächst Ruhe, aber als Dr. Jörgens und Hilde um den Absatz bogen, wurde die Erdgeschosstür aufgerissen und ein kleiner grauhaariger Mann baute sich kampflustig auf seiner Fußmatte auf, die Hände in die etwas speckigen Hüften gestützt.
„So, und Sie glauben also, Sie könnten sich hier breitmachen?“
„Allerdings“, antwortete Hilde höflich, aber so kalt sie konnte. „Warum auch nicht? Ich habe die Wohnung gerade geerbt und ich wüsste nicht, was Sie das überhaupt angeht.“
„Ach ja? Also, erstens, die Frau Willinger konnte ihre Wohnung überhaupt nicht vererben. Da hat ja wohl der Vermieter noch ein Wörtchen mitzureden! Und einer muss hier schließlich für Ordnung sorgen, sonst geht´s hier doch drunter und drüber!“
„Ach ja?“ Jetzt hatte sich auch die andere Wohnungstür im Erdgeschoss geöffnet und die Remmel schaute heraus. „Wenn du Depp dich hier nicht so aufspielen würdest, hätten wir gar keine Probleme. Jetzt halt halt einmal deine Gosch´n mit dem Schmarrn!“
Ohlmann blubberte, und ein junger Mann, der von oben herabkam, bemerkte: „Na, muss sich der Herr Blockwart wieder mal aufspielen? Schade, dass das Tausendjährige Reich vorbei ist, was?“
„Da herrschten wenigstens noch Zucht und Ordnung!“, keifte Ohlmann.
„Braune Sau“, entgegnete der junge Mann freundlich lächelnd.
„Was? Ich zeig Sie an, Sie Kommunistensau! Sie da, Sie machen mir die Zeugin!“
„Gerne“, sagte Hilde. „Sie haben soeben einen Nachbarn als Kommunistensau bezeichnet. Ich finde, man sollte Sie wegen Störung des Hausfriedens abmahnen und rauswerfen. Wenn Sie öfter so drauf sind, werde ich mich gerne darum kümmern, mit der Unterstützung meines Anwalts. Nicht wahr, Herr Dr. Jörgens?“ Sie grinste falsch, und Jörgens rückte seine Brille sehr amtlich zurecht, musterte Ohlmann streng und nickte dann. „Das scheint mir auch dringend geboten.“
„Was?“ Ohlmanns Stimme überschlug sich fast. „Und was hat der Mistkerl mich geheißen?“
„Mistkerl“, notierte Jörgens. „Wir haben nicht gehört, dass Ihr Nachbar Sie irgendwie geheißen hätte. Nur Sie können sich ganz offenbar nicht so benehmen, wie es sich gehört.“
Dr. Jörgens schritt einige Stufen hinunter und Hilde folgte ihm. „Ach ja“, sagte sie dann, „und viel Spaß bei der Suche nach meinem Vermieter. Sie wollen mich doch verpetzen, nicht?“
Sie winkte der streitbaren älteren Dame und dem jungen Mann von oben zu und folgte Dr. Jörgens nach draußen.
„Puh“, sagte sie dann, „wer da wohnt, braucht echt keinen Fernseher mehr. Wieso ist mir der nie begegnet, wenn ich Tante Hilde besucht habe? Kommt der nur vor die Tür, wenn jemand einziehen will? Der Typ kommt mir vor wie aus einer ganz, ganz schlechten Talkshow.“
„Mir auch“, sagte der junge Mann hinter ihr. „Ich heiße übrigens Ben Schuster.“
„Hilde Suttner“, antwortete Hilde artig und reichte ihm die Hand. „Ist dieser Ohlmann nicht ganz dicht oder was?“
„Kontrollfreak, alter Nazi und offensichtlich stark unterbeschäftigt“, antwortete Schuster und hielt Hildes Hand einen Moment länger als nötig fest.
Sie studierte ihn so unauffällig wie möglich. Ganz nett, ja – aber ganz nett waren eigentlich viele. Groß, schlank, braune Haare, graue Augen, Jeans und Sweatshirt. Außerdem musste der ja wohl kein Interesse an einer übergewichtigen und bestimmt fünf Jahre älteren Nachbarin haben!
„Und loswerden kann man ihn wohl nicht, wenn er schon ewig hier wohnt“, fügte sie dann hinzu. „Außerdem ist es auch ein bisschen seltsam, wenn ich kaum hier bin und schon versuche, andere Hausbewohner loszuwerden.“
Schuster lachte. „In diesem Fall wären Ihnen alle dankbar – aber es stimmt schon, es hat etwas von Leuten, die irgendwo hinziehen und dann versuchen, Gockelhahn, Kirchenglocken und Kindergarten wegzuklagen.“
Hilde musste auch lachen. „Genau! Aber einen richtigen Nachbarschaftskrieg können wir hier wohl auch haben.“
„Mit Ohlmann? Locker! Solange Sie gute Nerven haben?“
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