So ging es endlos weiter, ein Beispiel jagte das nächste. „Sie soll ihn ins Ratlos mitbringen, dann machen wir ihn zu dritt fertig“, schlug ich schließlich vor.
Ingrid lachte. „Der soll sich noch wundern!“
Heiner winselte seltsamerweise den ganzen Abend nicht mehr vor der Tür, entweder wanderte er mit seiner Tasche und seinen Kisten heimatlos durch die Stadt, oder, was wahrscheinlicher war, er war bei einem Kumpel untergekrochen, und nun betranken sich die beiden (mit Pastis, Absinth, Grappa oder Ouzo, jedenfalls einem Gesöff, das man nur mit avantgardistischer Baskenmütze trinken konnte). Dabei schimpften sie garantiert über hysterische Weiber im Allgemeinen und mich im Besonderen – was mich das schon kratzte!
Vergnügt ging ich in mein frisch bezogenes Bett und streckte mich in alle Richtungen aus. Morgen Bibliothek und Frau von Jessmer, vielleicht einige bescheidene Einkäufe und ein, zwei hirnlose Schmöker aus der Städtischen Bücherei (am liebsten hatte ich Biographien zweitrangiger Fürstlichkeiten aus dem 18. und 19. Jahrhundert, wie Luise von Toskana). Lebkuchen musste es doch auch schon geben? Da sah ich ja einem mehr als perfekten Abend entgegen!
Frau von Jessmer scheuchte mich nicht über Gebühr herum und bestand, als ich ihr Haus perfekt auf Vordermann gebracht hatte, darauf, dass ich einige der Petit Fours mitnahm, die sie für ihre Kränzchenfreundinnen gekauft hatte. Kränzchen... wie im neunzehnten Jahrhundert! Wahrscheinlich kicherten sie über irgendwelche älteren Herren, oder sie schimpften gemeinsam auf Dienstboten oder die Jugend von heute. Egal, ich nahm die Petit Fours gerne, bedankte mich höflich und fuhr zur Bibliothek. Eine hinreißende Ausbeute war mir vergönnt, Sophie von Wittelsbach und Erszi, die rote Erzherzogin. Vergnügt kam ich nach Hause, in der Tasche die beiden Schmöker und einen Haufen Notizen aus der Bibliothek, außerdem die Petit fours; vor mir lag ein gemütlicher Abend, der mich obendrein nichts kosten würde.
Von wegen – auf der Treppe vor der Wohnungstür saß Heiner.
„Was willst du denn hier?“, fragte ich ärgerlich und stiefelte an ihm vorbei.
„Können wir uns nicht wieder vertragen?“, fragte er und sah mich flehend an. Große braune Augen, Bartstoppeln, Schatten unter den Augen, ein zerdrücktes Hemd und ein viel zu dünner Pullover.
Ich nickte anerkennend – eine perfekte Inszenierung, und die Schatten waren doch hingeschminkt! Solche Tricks hatte ich schon seit fünfzehn Jahren drauf (Nein, bitte fragen Sie mich heute nicht aus, ich hab die ganze Nacht nicht geschlafen/rasende Kopfschmerzen/mir ist ja sooo schlecht ).
„Ich hab nichts gegen dich“, stellte ich gleichmütig fest.
„Dann sind wir wieder zusammen?“ Das klang ja richtig begierig!
„Nein“, antwortete ich, „ich hab kein Interesse mehr. Und hier kommst du auf jeden Fall nicht mehr rein.“
„Warum bist du so hart? So warst du doch früher nicht?“ Himmel, war dieser Mensch dämlich! „Du hast mich durch deine Ausbeutermethoden dazu gemacht!“, fauchte ich. „Und jetzt hau endlich ab.“
„Wie du meinst“, zischte er, „es gibt noch andere Frauen.“
„Wie schön für dich. Aber wie wär´s denn mal, wenn du auf deine eigenen Kosten lebst anstatt zu schmarotzen? Ich meine, nur so als Vorschlag?“ Heiner schnaubte entrüstet und stürmte die Treppe hinunter. Ich lauschte, bis die Haustür mit einem Knall ins Schloss fiel, dann sperrte ich meine Wohnungstür auf – und sofort wieder zweimal zu, samt Kette. Heiner war wirklich zu bescheuert! Mochte ja sein, dass ich früher nicht so hart gewesen war, aber er hatte früher jedenfalls eindeutig mehr Intelligenz und weniger Raffgier an den Tag gelegt – oder hatte er es nur weniger plump gemacht? Verdammt, der konnte sich doch nun wirklich eine eigene Wohnung leisten!
Sicherheitshalber vertagte ich die rote Erzherzogin und die schon leicht zerdrückten Petit Fours und rief Gisi an. „Ich hab Heiner rausgeschmissen“, fiel ich gleich mit der Tür ins Haus. Gisi lachte. „Weiß ich doch längst! Rate mal, wer gestern hier aufgetaucht ist, ganz die gekränkte Unschuld? Wie ein Hund, den man an der Autobahnraststätte aus dem Auto geworfen hat.“
„Aber du hast ihn doch nicht etwa wieder aufgenommen?“
„Wofür hältst du mich? Diese Krankheit kriegt man wirklich nur einmal, danach ist man immun. Er konnte diese schäbige Decke mitnehmen, die wollte ich schon loswerden, da hat Patrick mal reingepinkelt – Himmel, ich glaube, ich habe sie nicht mal gewaschen! Das ist mir jetzt ja fast peinlich...“ Sie kicherte.
Ich feixte in den Hörer. „Na, das wird er ja noch früh genug merken. Eben war er wieder da und hat gefunden, ich sei so hart geworden.“
„Und Männer mögen ja keine harten Frauen, nicht? Die lassen sich von ihnen nicht so leicht reinlegen. Patrick, geh in dein Zimmer!“ Gequengel im Hintergrund. „Nein, heute nicht, hab ich gesagt. Ab in dein Zimmer, und räum dein Lego auf! Und, hast du ihn reingelassen?“ Es dauerte einen Moment, bis ich diese Frage wieder auf mich bezog. „Unsinn. Ich war gemein und hart zu ihm und er ist türenknallend wieder abgehauen.“
„Gut so. Der findet schon eine andere Dumme. Und wenn nicht – Jenny, was hast du denn gemacht?“ Ein harter Schlag – Gisi hatte den Hörer hingeworfen. Ich wartete geduldig, bis sie zurückkam. „Diese Gören! Jetzt hat sie sich eine ganze Handvoll Nutella auf dem Glas geholt und sie überall verteilt.“
„Heiners böse Gene?“
„Ach wo, ganz normaler Kinderspaß. Heiners Gene dürften so schwächlich sein wie er selbst.“
„Du hast Recht“, stellte ich erstaunt fest, „er ist wirklich ein Schwächling. Glaubst du, er schafft es überhaupt alleine?“
„Wenn seine Fans ihm die Chance dazu lassen? Ich glaube – Patrick, noch einmal, und du gehst sofort ins Bett! Nein, das ist mein Ernst, und du musst gar nicht herumwinseln! Ich glaube – was wollte ich sagen?“
„Keine Ahnung“, grinste ich in den Hörer, „aber wenn du wissen willst, was ich glaube: Sein Fanclub ist wohl gar nicht so toll, wenn er schon bei uns vor der Tür herumlungert.“
„Genau, das denke ich auch. Jetzt muss er in freier Wildbahn zurechtkommen...“
„Mir bricht das Herz...“
„Mir auch. Du, ich ruf dich in den nächsten Tagen mal an, aber die beiden Rotznasen stellen mir hier die Bude auf den Kopf – ja, ich meine euch beide. Jetzt kommt die Mama und jetzt scheppert´s, aber gewaltig! Ciao, Anne!“
„Ciao...“, sprach ich in die tote Leitung. Wie immer – Mutterglück pur. Was für ein Glück, dass ich keinen kleinen Heiner am Bein hatte! Kaum hatte ich mich mit dem Schmöker und den Petit fours auf dem Sofa installiert, klingelte das Telefon wieder.
Heiner, ob ich wirklich alle schönen Stunden vergessen hätte? Ich setzte ihm auseinander – zum wievielten Male denn mittlerweile? – dass die schönen Stunden leider durch den andauernden Ärger überlagert worden seien und er mir außerdem zu teuer im Unterhalt geworden sei. Das fand er kleinlich von mir, und daraufhin legte ich kommentarlos auf. Endlich konnte ich das übersüße Gebäck mit der giftig bunten Glasur und den Zuckerröschen darauf genießen und abwechselnd studieren, wie falsch die kleine Erzherzogin erzogen worden war, und klebrige Krümel vom Soda aufklauben. Saugemütlich – und später sollte noch ein richtiger Schrottfilm laufen, den ich zum ersten Mal seit ewigen Zeiten ohne bissige Kommentare oder eigenmächtiges Umschalten von Seiten des selbst ernannten Kulturpapstes anschauen konnte.
Am nächsten Morgen grub ich in der Unibibliothek einige interessante Quellen zum Kulturverein aus – wenn nur das Kopieren dort nicht immer so unverschämt teuer gewesen wäre! Die zwölf Euro für knapp fünfzig Kopien rissen doch ein böses Loch in meine ohnehin dürftigen Finanzen, und ich gönnte mir als Mittagessen eine Tüte Chips von Aldi – sie schmeckten nicht besonders, aber sie hatten eben auch nur 79 Cent gekostet. Meinem Autochen spendierte ich exakt fünf Liter Sprit; danach musste ich doch einmal ins Auge fassen, am Wochenende meine Eltern anzupumpen.
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