Elisa Scheer - Grundreinigung

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Auf dem Traumjob liegt eine halbjährige Besetzungssperre, ihr Freund frisst ihr die Haare vom Kopf, das Konto ist leer – Anne braucht dringend einen Job. Alles, was sie findet, ist Putzen, aber das ist interessanter, als sie zunächst angenommen hat: Sie lernt nette und durchgeknallte Leute kennen und einen Schriftsteller, der sich mit dem Gedanken quält, vor einigen Jahren als Dozent eine Studentin in den Tod getrieben zu haben. Aber war es wirklich so? Und wer wirft ihm Steine durchs Fenster, um die Schuldgefühle am Leben zu erhalten? Anne beginnt, selbst zu recherchieren, wobei sie weder von dem vergrämten Kampmann noch von der Polizei zunächst unterstützt wird. Und je näher sie der Wahrheit kommt, desto gefährlicher wird es für sie selbst – und für ihren Seelenfrieden.

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Alles frei erfunden!

ImprintGrundreinigung. Kriminalroman

Elisa Scheer

published by: epubli GmbH, Berlin

www.epubli.de

Copyright: © 2015 Elisa Scheer

ISBN 978-3-7375-5974-4

Eins

Ich war eigentlich immer schon ein sehr ordentlicher Mensch. Die Post holte ich täglich aus dem Briefkasten, und im Gegensatz zu Heiner öffnete ich auch alle Briefe sofort. Die Werbung natürlich nicht, die warf ich sofort weg, aber alles andere wurde geöffnet, glattgestrichen, beantwortet oder abgeheftet, damit nichts herumlag; die Wohnung war schließlich klein und vollgestopft genug.

Heiner häufte in seiner Ecke jede Menge ungeöffnete Umschläge auf und arbeitete den Haufen dann einmal im Vierteljahr ab. Er glaubte wohl, für einen Künstler gehöre sich das so. Dummerweise neigte ich aber dazu, Briefe, die keine Antwort erforderten, ungelesen abzuheften – zum Beispiel Kontoauszüge, und dieses Verfahren kann man eigentlich nicht zur Nachahmung empfehlen.

*

An diesem Freitag saß ich wieder vor meiner Post und riss Umschläge auf, warf flüchtige Blicke auf den Inhalt und machte zwei Häufchen.

„Spießerseele“, spottete Heiner und versuchte vor dem kleinen Spiegel im Flur, seine Haare so hinzufrisieren, dass die grüne Strähne vorne hochstand und genau zu seinem ebenso froschgrünen Poloshirt passte.

„Wie du meinst. Wo musst du eigentlich hin in deiner Froschverkleidung?“

„Besprechung in der Redaktion.“

„Schön für dich.“

Heiner arbeitete bei City News in der Szene-Redaktion, er besuchte neueröffnete Kneipen, Discos und Restaurants, berichtete von Vernissagen und trendigen Ausstellungen, schrieb ab und an auch Buchkritiken (an die ich mich bei meiner Lektüre nie hielt, unser Geschmack war doch zu unterschiedlich) und hielt sich für den Kulturpapst der Stadt. Sein erbitterter Konkurrent, Alex Dietersheimer, glaubte von sich allerdings das Gleiche.

Natürlich musste man sich dafür trendy stylen, das war mir auch klar, und ebenso klar war, dass mein künftiger Job nicht halb so glamourös war – ich hatte ab nächstem Monat eine Planstelle bei der staatlichen Museenverwaltung in Aussicht. Was heißt in Aussicht - sie war mir fest zugesagt, und beim Staat war das gleichbedeutend mit einer Lebensstellung. Das fand Heiner spießig, er zog mich schon dauernd mit meinem künftigen Beamtenstatus auf.

Ich schlitzte weiter Briefe auf und sortierte. Handyrechnung – ablegen. Steuerbescheid – ablegen. Kontoauszug – ablegen. Aboangebot – wegwerfen. Brief von der Museenverwaltung – beantworten, nachher. „Wenn du schon den ganzen Tag nichts zu tun hast, könntest du mir nachher ein Theater heute und Fine Arts besorgen.“

„Lass mir doch die kurzen Ferien, ich hab erst vor zwei Wochen meine letzte Prüfung gehabt“, wehrte ich leicht gereizt ab. „Die Zeitschriften kann ich besorgen, aber ich hätte das Geld gerne mal zurück. Fine Arts ist schweineteuer.“

„Mein Gott, bist du pingelig, ich hab letzte Woche neue Schuhcreme gekauft und die einsneunundneunzig auch nicht von dir zurückverlangt.“

„Die Schuhcreme benutzen wir beide, und Fine Arts kostet zehn Euro und ich kann es für nichts gebrauchen. So esoterischer Krempel wird mir in den staatlichen Museen nie begegnen.“

„Das siehst du mal, wie verschnarcht die sind. Also, vergiss die Zeitschriften nicht, du hast ja sonst nichts zu tun.“

„Ja, ja“, murmelte ich und öffnete den letzten Brief. Büchersonderangebote. Später mal durchlesen, vielleicht. Also, den Brief von der Museenverwaltung! Ich registrierte noch mit einem halben Ohr, wie Heiner die Wohnung verließ, und begann zu lesen.

Sehr geehrte Frau Holler,

Bezug nehmend auf unser Angebot einer Planstelle in der staatlichen Museenverwaltung müssen wir ihnen leider mitteilen, dass für die für Sie in Aussicht genommene Planstelle eine sechsmonatige Besetzungssperre verfügt wurde (Aktenzeichen...) und wir Sie deshalb erst zum 1. April 2003 einstellen können. Wir hoffen, dies bereitet Ihnen keine Unannehmlichkeiten, und freuen uns darauf, Sie am ersten April 2003 in den Räumen der Museenverwaltung, Schloss Ludwigskron, Ostflügel, begrüßen zu können.

Mit freundlichen Grüßen,

K. Lierheim, RegR´in

Der erste April war ein Montag, registrierte ich automatisch. Doofes Datum für einen ersten Arbeitstag, übrigens.

Klasse – wovon sollte ich denn eigentlich leben, während ich darauf wartete, dass die Besetzungssperre ablief? Das war sicher ein Teil dieser allgemeinen Sparmaßnahmen, aber mit meinen wüsten Studienfächern, einer Mischung aus Wirtschaft, Recht, Sprachen, Kunst und Medienwissenschaften, war ich für den Job einfach prädestiniert, und etwas anderes war mir auch gar nicht angeboten worden. Da blieb mir wohl nichts anderes übrig, als das halbe Jahr abzuwarten. Ich schrieb sofort einen entsprechenden Brief, eine gelungene Mischung aus Ungehaltensein und Geduld, und legte ihn für den Briefkasten bereit. Ein halbes Jahr, da brauchte ich wohl irgendwoher etwas Geld. Sechs- bis neuntausend Euro würde ich für Miete, Versicherungen und ab und zu einen Kanten Brot schon benötigen...

Ich hatte doch gerade einen Kontoauszug bekommen, wie sah der eigentlich aus? Nicht gut, musste ich feststellen – mein Konto war um die zweitausend Euro im Minus, und genau das war auch mein Dispolimit. Wenigstens war die Miete für Oktober schon abgebucht. Aber die Krankenkasse noch nicht, Mist!

Im Geldbeutel hatte ich noch elf Euro. Sollte Heiner sich seine dämlichen Kunstzeitschriften gefälligst selber kaufen! Und sonst... zwei Sparbriefe, noch nicht fällig. Auf diesem halb vergessenen Postsparbuch noch dreihundertfünfzig Mark – nicht mal umgeschrieben! Das war alles, damit kam ich nur noch eine Woche weiter. Dann musste Heiner eben mal den Haushalt finanzieren, bis jetzt war er ohnehin ziemlich billig davongekommen. Überhaupt, wieso zahlte ich eigentlich immer alles? Fast alles wenigstens?

Ich wollte mich gerade in einen gesunden Ärger auf Heiner hineinsteigern, aber dann brach ich diese fruchtlosen Überlegungen doch lieber ab und ging erst einmal zur Post, wo ich das Sparbuch auflöste und die Hälfte der lumpigen hundertachtzig Euro auf mein Girokonto einzahlte. Viel besser sah es damit nicht aus, aber für die Krankenkasse reichte es hoffentlich noch.

Brot hatten wir auch keins mehr. Bei Aldi kaufte ich extrem preisgünstig ein, obwohl ich wusste, dass Heiner meckern würde – Aldi war ihm zu spießig. Spießig – das war überhaupt sein Schreckenswort, und er war demzufolge so unspießig, wie es nur ging, angefangen bei der trendigen grünen Strähne bis hin zur Begeisterung für völlig unverständliche Kulturevents und eher befremdliches Essen, wenn es nur aus exotischen Ländern stammte. Meiner Ansicht nach war diese ängstliche Bemühtheit schon wieder eine andere Art der Spießigkeit, aber das wollte Heiner natürlich nicht hören.

Zu seinem Image passte es auch, dass er so bedürfnislos lebte. Kunststück, ärgerte ich mich auf dem Heimweg. Er brauchte kein Auto, weil er alles Schwere – inklusive seiner kostbaren Person – im Zweifelsfall von mir transportieren ließ, denn ich Spießerin hatte natürlich ein Auto, ich war dem Konsumwahn erlegen und fuhr einen uralten Fiat Panda, der klapperte und schepperte, aber immer noch durch den TÜV kam, auch wenn er aussah, als sei er der Schrottpresse schon mal zu nahe gekommen.

Er brauchte keine große Wohnung, weil er a) sich in Wirklichkeit nach dieser teuren Scheidung (haha, so geht´s, wenn man auch keinen Anwalt zu brauchen glaubt) gar nichts Besseres leisten konnte und b) genau genommen auf meine Kosten lebte. Die zweihundertfünfzig Euro warm für fünfundzwanzig Quadratmeter Chaos drückte ich ja alleine ab! Heiner zahlte dafür den Prosecco auf den abendlichen Kulturevents, zu denen ich aber nur mitging, wenn sonst ein Krach drohte.

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