„Robert, du brauchst nicht zu verzweifeln, ein Hauch dieses überirdischen Glücks ist immer bei dir“, sagt er milde lächelnd. „Wenn deine Sehnsucht zu groß wird, umschließe einfach den Stein fest mit deiner Hand, er wird dir Trost geben. So bleibst du auch mit uns in Verbindung. Und denke daran: Immer wenn der Stein sich erwärmt, wirst du von uns gerufen.“
Roberts Hand krallt sich verzweifelt um den kleinen blauen Stein.
Golubkardians Lächeln vertieft sich. Lautlos geht er zum Schreibtisch, nimmt eine Mappe aus einer der Schubladen und kommt damit wieder zur Sitzgruppe zurück.
„Ich zeige dir jetzt, was unsere Aufgabe ist “, sagt er und öffnet die Mappe. „Wir müssen das Land verändern, dazu brauchen wir Geld, viel Geld. Also beschaffen wir es uns.“
Er unterbricht sich und beobachtet Robert aufmerksam, als erwarte er Widerspruch. Doch er sieht nur einen hochgewachsenen blonden Jugendlichen, der gierig und gespannt seinen Worten lauscht.
„Wenn du in der Geschichte zurückblickst, liest du immer nur von Kriegen und vielen Toten. Die Politiker kümmern sich vorwiegend um ihre eigene Karriere, vor jeder Wahl versprechen sie alles, was die Leute hören wollen. Wenn sie aber erst einmal die anstehende Wahl gewonnen haben, ist das Versprochene vergessen. Genauso ist es mit den Kriegen. Sie werden vorwiegend geführt, damit die Verursacher ihren Machtbereich vergrößern.“ Er erhebt sich, um mit vor mit Inbrunst strahlenden Augen hinzuzufügen: „Die Menschen brauchen eine übergeordnete Macht, die langsam die Fehler der Regierenden korrigiert. Und diese Macht werden wir sein!“ Triumphierend, mit hoch erhobenen Kopf , steht er vor Robert.
Robert schaut alarmiert zu ihm auf. Es ist, als hätte das Wort „Macht“ sein Gehirn plötzlich wieder zum Denken gebracht. Dieser Verein braucht Geld, viel Geld, um Macht ausüben zu können ... Wie passt das aber mit dem angeblichen Nutzen für die Menschen zusammen, wenn das Geld nur mit kriminellen Methoden beschafft werden kann?
„Hat der Überfall auf den Geldtransporter auch mit Ihnen zu tun?“, fragt er ernüchtert.
Golubkardian lässt sich wieder im Sessel nieder und schlägt lässig die Beine übereinander.
„Ja, der Fahrer und sein Bruder waren unter Hypnose und haben willenlos unsere Befehle ausgeführt“, gibt er wie selbstverständlich Auskunft.
„Warum ist Hassan während der Vernehmung bei der Polizei aus dem Fenster gesprungen?“
Der Meister macht eine wegwerfende Handbewegung. „Dieser Hassan war schon die ganze Zeit ein unzuverlässiger Kandidat. Genauso diese Svenja Gerlach, sie benimmt sich zu auffällig und zieht das Interesse der Öffentlichkeit und somit auch der Polizei auf sich. So eine durchgeknallte Hippibraut können wir in unserer Gemeinschaft nicht gebrauchen. Noch müssen wir sehr vorsichtig sein.“
„Aber was war mit Hassan?“, hakt Robert nach.
Golubkardian zuckt nur gelangweilt die Achseln. „Alle unsere Schüler haben eine Programmierung bekommen. Wenn sie dann ihr Codewort hören, nutzen sie jede Gelegenheit, um sich selbst zu töten.“
„Genial“, Robert ist aufrichtig beeindruckt.
Aber warum erzählt ihm der Meister das alles plötzlich so offen? Zuvor wäre er beinahe ausgeflippt, als Robert ihn nach Frau Niemann fragte.
„Und Svenja?“, setzt Robert nach, immer in der Erwartung, dass sein Gegenüber solche Fragen jeden Moment abblocken könnte. Doch Golubkardian scheint gar nicht daran zu denken. Er muss sich wirklich äußerst sicher sein, dass Robert zu ihnen gehört.
„Dieses Mädchen hat ein außerordentliches Verbrechen begangen“, erklärt er ohne zu zögern. „Sie hat uns Rauschgift gestohlen. Natürlich haben wir es uns wieder zurückgeholt. Aber dabei ist auch einiges schief gelaufen, was unliebsame Aufmerksamkeit geweckt hat. Leider haben wir noch zu viele unfähige Mitarbeiter, die nicht logisch denken können.“ Er schüttelt missbilligend den Kopf. „Svenja bekommt gerade eine hübsche kleine Lektion erteilt. Dieses Mal hat sie noch Glück, aber noch einmal lassen wir ihr das nicht so glimpflich durchgehen!“
„Wieso sagen Sie mir das alles so offen?“, platzt Robert jetzt endlich heraus.
„Ganz einfach.“ Ein leichtes Lächeln spielt um Golubkardians Lippen. „Phi hat dein Potenzial erkannt und mich informiert, dass du der ideale Nachwuchs für unsere Organisation sein wirst. Damit vertraue auch ich dir völlig, denn Phi irrt nicht.“
Was ist das denn?, denkt Robert. Eben noch hatte er keine Ahnung, dass es so etwas wie Phi überhaupt gibt, und jetzt gilt er schon als Nachwuchs für diese Organisation! Wann hat Golubkardian überhaupt erfahren, was Phi über ihn denkt? Spielt sich das alles im Kopf, in den Gedanken ab? So wie er selbst die Botschaft von Phi bekommen hatte, als er vor dem Tresor stand? „Und Frau Niemann?“ Jetzt will Robert wissen, was da wirklich gelaufen ist. „Gehört sie auch zu Ihren Mitarbeitern?“
Golubkardian winkt ab: „Diese Frau ist ein absolut kleines Licht, sie hat keine Ahnung! Sie hat lediglich den hypnotischen Befehl bekommen, das Rauschgift, das Svenja gestohlen hatte, wieder hierher zu bringen. War eine Kleinigkeit für mich, ein Telefonat hat genügt.“ Selbstgefällig lehnt er sich zurück. „Danach hat sie alles vergessen. Diese Frau können wir für unsere Zwecke absolut nicht gebrauchen.“
Robert rutscht unbehaglich in seinem Sessel vor. Irgendwie beschleichen ihn jetzt doch leise Zweifel, ob das alles so richtig und gut ist, was hier geschieht.
„Diese Lektion für Svenja Gerlach“, fragt er mit skeptischer Stirnfalte, „was meinen Sie damit eigentlich?“ Golubkardian steht auf und geht erneut zu seinem Schreibtisch.
„Das werde ich dir gleich zeigen, bevor du gehst. Aber zuvor gebe ich dir noch etwas Hübsches mit.“ Mit einer kleinen Schatulle kommt er zur Sitzgruppe zurück. „Damit kannst du unseren Wirkungskreis noch vergrößern.“ Er öffnet die kleine, mit blauem Samt ausgelegte Schatulle, und Robert sieht eine Menge wunderschöner blauer Taler, in die das Zeichen Phi eingeritzt ist.
„Die darfst du großzügig unter deinen Bekannten verschenken. Jeder, der so einen kostbaren Taler von dir bekommt, wird sich darüber freuen und dir dankbar sein.“ Ein verschmitztes Lächeln tritt auf Golubkardians Gesicht. „Und wir haben wieder einen Ansprechpartner mehr. Denn wir können jedermann jederzeit einen hypnotischen Befehl geben, wenn er so einen Taler hat. Er wird alles tun, was wir ihm auftragen, und was noch wichtiger ist: Er wird keinem Menschen davon erzählen, dass er so einen schönen, wertvollen Taler hat!“
Roberts Unbehagen wächst zunehmend. Irgendetwas stimmt doch an der Geschichte nicht!
„Wieso haben Sie mir diesen schönen großen Stein gegeben, wenn alle anderen nur einen Taler bekommen?“, fragt er misstrauisch.
„Das war der Auftrag von Phi“, erwidert Golubkardian. „Deinen Besuch hat Phi mir übrigens schon vorhergesagt, bevor du da warst. Du solltest von Beginn an gut gerüstet sein und ich sollte dich testen. Phi will, dass du künftig unsere innere Organisation verstärkst. Weil um dich etwas Besonderes ist, eine eigenartige, starke Schwingung.“
Robert ist jetzt noch mehr verwirrt. Was ist los mit ihm? Was spielt sich da in seinem Kopf ab? Das Amulett hat ihm Fähigkeiten gegeben, die aber hier nicht mehr wirken, und zusätzlich wühlt Phi in seinem Kopf herum. Der blaue Lapislazuli spürt sicher, dass bei Robert irgendetwas anders ist, als bei normalen Menschen, deshalb redet er von einer eigenartigen, starken Schwingung. Golubkardian übergibt Robert die Schatulle mit dem blauen Inhalt.
„Sei großzügig und denke daran: Jeder, der einen Taler bekommt, bedeutet für uns wieder einen Schritt nach vorne! Und jetzt komm mit, ich zeige dir Svenja.“
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