Jo Hartwig
Robert und das Amulett
Robert und das Amulett
Jo Hartwig
Copyright 2011 Jo Hartwig
published at epubli GmbH, Berlin
www.epubli.de
ISBN 978-3-8442-0723-1
Inhalt
Das Amulett
Stolpersteine
Invisible
Verdammte Bande
Die Falle steht
Im Untergrund
So ein Mist
Gefangen
Schutzgeld
Schnee in der Schule
Satte Beute
Das Leben geht weiter
Das Amulett
Heute ist nicht mein Tag, denkt Robert und starrt missmutig in den Badezimmerspiegel. Über Nacht hat sich ein Pickel mit dickem weißem Eiterpunkt gebildet, genau auf seiner Stirn, wo jeder ihn sehen muss, logo, seine Pickel wachsen immer so, dass jeder sie sehen muss.
Beim Frühstück wartet er förmlich darauf, dass seine Mutter eine Bemerkung loslässt. Er schaut sie herausfordernd an.
Und prompt sagt sie: „Hast du schon gesehen: ein neuer Brummer in deinem Gesicht, Schatz“. „Den musst du ausdrücken!“ Schweigend senkt er den Blick und löffelt sein Müsli weiter.
„Soll ich ihn dir schnell ausdrücken? Ist doch gar kein Problem. Ruck, zuck, und du bist das Ding los! Komm, wir erledigen das fix.“ Robert platzt der Kragen. Er schiebt seinen Teller zurück. „Du sollst mir gar nichts ausdrücken. Und ich drück auch nichts aus. Pickel lässt man am besten in Ruhe. Sonst gibt das Narben.“ Es war ein Fehler, sich auf eine Diskussion einzulassen, er hätte es besser wissen müssen. Seine Mutter setzt sofort an zu einem langen Vortrag, sie ist OP-Schwester und weiß sowieso alles besser. Trotzdem soll sie ihn in Ruhe lassen.
„Nun lass doch den Jungen endlich“, brummt sein Vater beschwichtigend.
Jetzt ist sie beleidigt. Und obendrein ist jetzt Zoff zwischen seinen Eltern. Wirklich, das ist nicht sein Tag! Montage sollten überhaupt abgeschafft werden. Wenn er Pech hat, kriegen sie heute die Deutscharbeit zurück. Er hat Pech. Vier minus steht unter dem Aufsatz. Irgendwie hat er wohl die Aufgabenstellung nicht ganz verstanden. Seine zwei besten Freunde, Christian, den alle nur „Chris“ nennen, hat eine Drei und Tim sogar eine Drei plus.
Für den Nachmittag verabreden sich die drei Freunde im Keller. Tim und Chris tun geheimnisvoll und sehr wichtig. Der Keller des Hochhauses, in dem Robert wohnt, erstreckt sich über zwei Etagen und ist in verwinkelten Gängen angelegt. Robert hat es sich zur Gewohnheit gemacht, dort rumzustreifen, um zu sehen, was sich da tut und wer sich hier so herumtreibt. In einigen Kellern wird gebastelt, aber die meisten sind mit Brettern verrammelt, da ist einfach nichts zu erkennen. Zu einem Keller geht Robert besonders gerne. Dort arbeitet der große alte Mann mit den kurzen weißen Haaren. Er hat sich eine richtige Werkstatt eingerichtet und ist fast immer am Basteln. Geduldig gibt er Auskunft und lässt Robert bei seinem Werkeln zuschauen. Da ist alles blitzsauber, alle Späne verschwinden sofort im Müll.
Ein ganz anderer Typ schleicht da auch häufiger rum. Er hat eine runde Brille mit dicken Gläsern, durch die seine Augen riesengroß erscheinen. Sie sind blassblau und wässerig. Graue Haare, die wirr vom Kopf stehen, und ein bleiches aufgedunsenes Puddinggesicht. Meistens hat er einen grauen Handwerkerkittel voller Flecken an. Darunter schauen blass und dürr seine nackten Beine hervor, die in abgelatschten Hausschuhen stecken. Ein ganz unangenehmer Mensch, er redet überhaupt mit niemandem. Auch wenn Robert ihn grüßt, gibt er ihm keine Antwort. Aber die Gänge im Keller sind einfach so eng, dass ein Kontakt, eine Berührung, wenn der da unten rumschlurft, nicht zu vermeiden ist. Dann geht der Kerl einfach, als ob er ihn nicht sehen würde, grob auf Robert zu und stößt ihn beiseite. Widerlicher Typ.
Chris und Tim sind schon da. Sie hocken in einem der hinteren Verschläge, der zur Wohnung von Tims Familie gehört. Chris zieht feierlich eine Packung Zigaretten und ein Gasfeuerzeug aus der Tasche.
„Kommt, wir rauchen eine!“
Tim und er zünden sich gekonnt eine Filter an und geben Robert auch eine. Aber er hat noch nie geraucht. Er zögert. Deutlich ist seine Abneigung zu erkennen. Er hält die Zigarette vorsichtig zwischen zwei Fingern, als ob sie ihn gleich beißen würde. Tim zieht schon genussvoll den Rauch tief ein.
„Was ist los, Robert, mach mit!“ Chris hält ihm die Flamme hin. Robert muss husten, weil ihn der Rauch reizt, den Tim ihm ins Gesicht bläst. Außerdem brennt der Qualm in den Augen, sie fangen an zu tränen. Chris lacht spöttisch: „Das ist was anderes als Mamis Äpfelchen essen, wie?“, zieht er ihn auf.
Robert versteht die Anspielung und ärgert sich. Ja, seine Mutter gibt ihm jeden Tag einen Apfel mit in die Schule. Und wehe, er bringt den wieder mit nach Hause, dann gibt es Krach. Seine Eltern sind beide Nichtraucher und stehen überhaupt ziemlich auf Gesundheit. Na und, was ist falsch daran? Robert gibt sich einen Ruck:
„Sagt mal, ist das alles, was ihr vorhabt? Erst macht ihr das so geheimnisvoll, als ob irgendetwas Wichtiges zu besprechen wäre und dann so ein Mist. Es ist ja nichts Besonderes, zu rauchen. Jeder Depp raucht heute schon, aber ich nicht.“ Entschlossen gibt er Chris die Zigarette zurück.
„Was ist los, du bist doch kein Milchbubi“, drängt Tim. „Oder hast du Angst, dass du in die Hosen machst. Wir sind schließlich schon vierzehn. Also mach schon!“
„Keinen Bock“, sagt Robert nur cool. Er denkt an seine Tante Martha, Mutters Schwester, die immer so aus dem Mund stinkt. Angewidert muss er jedes Mal den Kopf wegdrehen, wenn sie ihn begrüßt und sich zu ihm runterbeugt. Sie will ihn unbedingt immer mit einem Kuss begrüßen. Und dabei stinkt alles an ihr ganz ekelhaft nach Rauch.
„Du musst es einfach mal probieren“, drängt Chris. „Beim ersten Mal ist es immer eine Überwindung! Ich weiß es von mir, ich musste auch husten, aber dann willst du nicht mehr aufhören!“
„Vergiss es. Ich will mich nicht überwinden und ich will auch nicht husten müssen. Macht ruhig weiter, aber ohne mich.“ Robert ist es jetzt völlig egal, ob die beiden sich ärgern oder nicht.
Jetzt versuchen sie es anders. „Du hast wohl Muffensausen, dass deine Eltern was merken? Komm, jetzt geh nicht in die Knie, probier’s einfach, du gehörst doch zu uns!“
„Ist ja gut, aber nicht damit“, Robert verzieht nur ganz leicht sein Gesicht und lächelt matt. „Kommt, macht, was ihr wollt, aber lasst mich mit so einem Blödsinn in Ruhe!“ Die beiden sind sichtlich verärgert, aber das kümmert ihn weiter nicht. Er lässt sie alleine und verzieht sich aus dem Keller.
Er fährt mit dem Fahrstuhl hoch in den elften Stock. Seine Mutter ist schon von ihrer Arbeit im Mainzer Krankenhaus zurück. Sie hat gerade Besuch von einer Nachbarin. Aufgeregt reden die beiden Frauen über das, was in letzter Zeit auf dem Parkplatz hinter dem Hochhaus passiert. Irgend jemand scheint da Glas auf die parkenden Autos zu werfen. Es scheint immer nachts zu passieren, wenn alle schlafen und wenn alles ruhig ist. Viele Autos wurden schon beschädigt. Windschutzscheiben gingen kaputt, und im Dach eines Wagens hat auch schon eine Flasche gesteckt, ein Riesenschaden. Das stört natürlich den Hausfrieden und schafft permanente Unruhe im Haus. Die Nachbarin will wissen, ob die Versicherung den Schaden bezahlt, und will deshalb seinen Vater sprechen. Er ist Versicherungsmann, jede Menge Leute rufen ständig an und brauchen seine Hilfe.
Robert denkt darüber nach. Wer mag wohl hinter dieser Sache stecken? Er kann sich gar nicht richtig auf die Hausaufgaben konzentrieren. Ob Tim und Chris schon davon gehört haben? Er fährt nochmals runter in den Keller, um zu sehen, ob die Beiden noch da sind. Sie sind weg. Aber die Luft riecht intensiv nach kaltem Zigarettenrauch. Widerlich! Robert dreht sich um und will gerade gehen. Plötzlich hört er ein leises Flüstern: „Da ist er wieder, sag es ihm.“
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