Jork Steffen Negelen
Sechster Teil:
Knurr und das Amulett des Dämonenfürsten
Engelsdorfer Verlag
Leipzig
2016
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Zweite überarbeitete Auflage
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Die Chronik des Schöpfers
Schwarze Schatten jagten durch die Träume des kleinen Königs. Immer wieder kamen sie auf ihn zu und er versuchte, sie abzuwehren. Doch es wollte ihm nicht gelingen. Sie flüsterten ihm ihre unheimlichen Worte zu und sie ließen ihn im Schlaf aufschreien. Barbaron schüttelte sich, und versuchte aufzustehen. Aber die Schatten hielten ihn fest und zwangen ihn, ihren Worten zuzuhören.
Doch mit einem Mal war der Traum vorbei und der Minitroll erwachte. Nach Luft ringend sah er sich um. Er lag auf einem Bett, das für ihn viel zu groß war und die weichen Wolfsfelle, die ihm wärmen sollten, lagen verstreut auf dem Fußboden.
Knurr, der einzige Kobold, der dem schwarzen Prinzen entkommen war, beugte sich über den kleinen König und tupfte ihm die nasse Stirn behutsam mit einem Tuch ab.
»Ich habe wieder diese Träume gehabt«, flüsterte Barbaron. »Es ist so, als ob sie mir etwas sagen wollten. Doch ich wollte es nicht hören und ich konnte ihnen nicht entkommen. Diese Schatten sehen so fürchterlich aus und ihre Stimmen dringen in meinen Kopf ein. Ich kann es nicht verhindern.«
»Das war nur ein Traum«, versuchte Knurr den kleinen Freund zu beruhigen. »Träume kommen und gehen. Ob sie uns die Wahrheit zeigen, oder nur Trugbilder – das musst du selbst entscheiden.«
Der Kobold legte sein Tuch zur Seite und nahm vorsichtig den Verband von Barbarons Bauch. Die Wunde, die der schwarze Prinz Dämonicon dem König aller Minitrolle auf der Insel des Nebelgrundes zugefügt hatte, sah schon viel besser aus. Knurr lächelte und zeigte auf einen Haufen Bücher, die er aus dem Baumhaus geholt hatte.
Barbarons Interesse war sofort erwacht. Die Bücher, die der Kobold auf einem kleinen Tisch gestapelt hatte, konnten so manches Geheimnis verraten. Besonders eines von ihnen wollte der Minitroll unbedingt ergründen. Es handelte sich bei diesem Buch um eine Chronik, die niemand lesen durfte. Artur, der älteste der Koboldbande, hatte es vor vielen Jahren verboten. Als Knurr dem verwundeten Barbaron vor zwei Tagen berichtete, dass in dieser Chronik etwas über die Ankunft Dämonicons in der Welt der weißen Magie geschrieben stand, war die Neugier des kleinen Königs sofort geweckt. Jetzt wollte der Minitroll am liebsten gleich mit dem Lesen beginnen.
Doch der Zauberer Orbin kam mit Artem, dem Prinzen der Nachtaugenriesen und einem kräftigen Frühstück dazwischen. »Ich bringe Eier mit Speck, frisches Brot dazu, und einen Krug vom besten Wein«, rief der Zauberer. Er hielt dem Minitroll ein großes Tablett mit den duftenden Köstlichkeiten unter die Nase. »Lass es dir schmecken, mein Freund«, sprach er und seine Stimme hallte durch die Drachenhöhle.
Die Schmerzen der letzten drei Tage schienen mit einem Mal vergessen zu sein. Barbaron rieb sich die Hände und Orbin ließ das Tablett langsam auf das Bett sinken. Als Knurr den Minitroll essen sah, war er sichtlich erleichtert. »Heute ist wohl dein Appetit zu dir zurückgekehrt«, sagte er. »Vor drei Tagen, als wir hier in der Drachenhöhle ankamen, dachte ich schon, du würdest den nächsten Tag nicht mehr erleben. Doch nun sieht deine Wunde nicht mehr so böse aus und du hast wieder Hunger.«
Schmatzend und kauend sah Barbaron zu dem Kobold. Dann zeigte er mit einem Messer zu den Büchern. »Ich habe nicht nur Hunger«, erklärte er. »Ich habe auch noch verdammt viel vor. Wenn wir in diesen alten Schwarten einen Hinweis finden, der uns nützt, werden wir uns auf den Weg machen. Wir müssen unsere Freunde befreien und diesem aufgeblasenen schwarzen Zauberer Dämonicon eine Lektion erteilen, die er nie wieder vergisst. Der glaubt doch nicht im Ernst, dass er schon gewonnen hat.«
Orbin und Artem schüttelten die Köpfe und ein Lächeln huschte über ihre Lippen. Jetzt mischte sich Tangossa, die Königin der Drachen, in das Gespräch ein. Sie bewachte Tag und Nacht die Drachenwiege. Dies war der große Stein, dessen obere Seite wie eine Mulde geformt war. In ihr kam Tabor der Drachenjunge vor einigen Jahren auf die Welt. Obwohl die Höhle recht groß war, musste Tangossa aufpassen, dass sie mit ihrem Kopf nirgends anstieß. Ihre drei Sprösslinge schauten über den Rand der Wiege und die Königin kam langsam dem Minitroll und seinem Bett näher. »Reiche mir deinen Becher«, sprach sie mit sanfter Stimme und Barbarons Bett erbebte. Mit einem Ruck hielt der Minitroll der Drachenkönigin seinen Becher hin und er sah gespannt zu, wie sie ihren massigen Kopf etwas zur Seite neigte. Eine einzige Träne tropfte aus ihrem linken Auge. Sie fiel in Barbarons Becher und vermischte sich mit dem Wein.
»Trink, mein kleiner Freund«, hauchte die Königin Barbaron zu und das Bett erbebte erneut. Der Minitroll sah in den Becher und prostete Tangossa zu. »Zum Wohl Frau Königin!«, rief er. Dann trank er den vollen Becher aus. Ein Rülpser war das Nächste, was Barbaron von sich gab. Doch er spürte sofort, dass in ihm eine Kraft war, die ihm schnell auf die Beine helfen würde.
Artem beugte sich über das Krankenlager des kleinen Königs. »Eine Drachenträne haben nur wenige Kreaturen in dieser Welt erhalten«, brummte der Prinz.
»Das ist mir bekannt«, erwiderte Barbaron und er stellte sich auf sein Bett. Er reckte sich und schwebte plötzlich vor der Drachenkönigin. Dann küsste er ihre Stirn und bedankte sich. »Meine liebe Tangossa, diese Träne ist eine tolle Medizin. Mir geht es gleich viel besser.«
Die Königin drückte den kleinen Minitroll vorsichtig mit ihrer Nase zurück auf das Bett. »Du solltest noch ein wenig ruhen«, belehrte sie ihn. »Bald wirst du alle deine Kräfte brauchen. Die Befreiung deines Volkes und unserer Freunde wird von dir alles fordern. Nur wenn du stark genug für diese Aufgabe bist, wird dir der Schöpfer zur Seite stehen.«
Barbaron nickte und sah zu Orbin und Knurr. Der Zauberer zog aus dem Haufen Bücher das größte und dickste Stück heraus. Er legte es dem kleinen König auf sein Bett. Dabei lächelte er Barbaron zu und tippte mit seinem Zauberstab auf den rissigen Ledereinband des Buches. »Knurr hat es vom Staub befreit und Artem hat zugesehen. Sieben Mal musste der Prinz niesen, als ihm der uralte Dreck in die Nase fuhr.« Orbin schlug das Buch auf und strich die erste Seite glatt. »Ich hoffe, diese sieben Nieser sind ein gutes Zeichen«, brummte er weiter. »Wir können jedes gute Zeichen gebrauchen.«
Barbaron achtete nicht weiter auf die Worte des Zauberers. Erstaunt sah er auf die erste Seite des Buches. Ein Drache war darauf zu erkennen, und ein Dämon, der unter den Füßen des Drachens lag. Über den Drachen waren Wolken zu erkennen. Sie wurden von einem Blitz geteilt. Der Minitroll strich zärtlich über das Bild des Drachens. In seinen Augen war deutlich seine Bewunderung zu sehen. Nun hatte er sie endlich vor sich – die Chronik des Schöpfers.
Eine Stunde später war Barbaron so in das Lesen vertieft, dass er die Ankunft von Jabo nicht bemerkte. Erst ein lautes Räuspern des Nekromanten ließ den kleinen König vom Buch aufblicken. Ein Lächeln huschte über sein Gesicht. »Du kommst mir gerade recht«, rief er erfreut aus und er zeigte auf die Chronik. »Hier steht einiges drin, dass ich nicht verstehe. Mein lieber Jabo, du wirst mir helfen müssen. Da kommst du nicht drum herum.«
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