1 ...6 7 8 10 11 12 ...16 Lilly zuckte mit den Schultern, dann nahm auch sie sich ein Toast.
„Wir haben vielleicht ein Problem“, teilte Memphis schließlich mit.
„Und das wäre?“ Denniz sprach mit vollem Mund, was ihm von allen Seiten tadelnde Blicke einbrachte. Er warf einen entschuldigenden Blick in die Runde, schluckte und fragte noch mal: „Und das wäre?“
„Als wir heute Morgen in der Stadt waren, habe ich Raphael gesehen.“
Stille trat ein, bis Hayley sie brach. „Er denkt es. Es ist nicht sicher.“
„Ich bin mir sicher!“
„Nichts ist sicher, bis Raven wieder da ist. Vielleicht bringt er Entwarnung.“
„Raven?“, fragte Lilly verwirrt.
„Ja. Ich habe ihn losgeschickt. Er soll einen Erkundungsflug machen. Aber er ist noch nicht zurück“, erklärte die Hexe.
„Denkst du wirklich, Raphael ist hier? Du meinst, er hat uns gefunden?“, schaltete sich Denniz ein und schaute fragend zu seinem Freund.
„Ja das denke ich.“
„Aber er weiß nicht, wo genau wir sind, oder?“
„Keine Ahnung. Ich hoffe nicht.“
Lilly dämmerte es. Deswegen der Miniaufstand wegen dem Ausritt. „Warum erzählst du das erst jetzt? Ich wäre nicht ausgeritten, hätte ich es gewusst.“
„Ich wollte keine Panik verbreiten.“
Denniz meinte: „Und warum kommst du jetzt damit? Du hättest auf Rave warten können. Vielleicht ist wirklich nichts.“ Memphis antwortete nicht, doch Lilly konnte noch immer die Angst in seinen Augen sehen.
Er dachte, Raphael könnte mich irgendwie angreifen oder mir was antun. Also half sie Memphis. „Wir sollten auf Raven warten. Bis er wieder da ist, bleiben wir einfach im Haus. Er kann ja nicht ewig wegbleiben.“ Sie schaute die Runde rum.
„Das halte ich für das Beste“, stimmte Memphis ihr schon etwas erleichterter zu. Endlich setzte auch er sich, allerdings nicht auf seinen Platz, sondern neben Lilly. Ihr war der Appetit nun doch wieder vergangen und auch Memphis aß nichts. Denniz ließ sich, wie immer, nicht aus der Ruhe bringen. Hayley aß zwar, schwieg aber die ganze Zeit.
„Ich bin dann oben. Ich muss dringend duschen.“ Lilly schnupperte an ihren Sachen. Nicht dass sie schlecht gerochen hätte, aber der Geruch nach Pferd und Stall klebte an ihr. Memphis drückte kurz ihre Hand und sie verließ den Raum.
In ihrem Bad zog sie sich aus und stellte sich unter die heiße Dusche. Leise summte sie vor sich hin. Das Singen hatte sie sich abgewöhnt, nachdem sie einen Tag lang für ständige Witzeleien gesorgt hatte. Sie hatte ausgelassen ihr Lieblingslied unter Dusche gesungen und dabei total vergessen, dass sie nun in einem Haus voller Vampire lebte. Die beiden Jungs hatten jeden Vers gehört und sie damit aufgezogen. Denniz meinte zwar, so schlimm wäre es nicht gewesen, doch seitdem verkniff sie sich jegliche Anwandlung zu singen, wenn die beiden in Hörweite waren.
20 Minuten später drehte sie das Wasser ab und wickelte sich in ein Handtuch. Nur damit bekleidet ging sie zurück in ihr Zimmer. Es klopfte.
„Komm rein“, sagte sie, ohne zu wissen, wer es war.
Memphis betrat den Raum und Lilly versteifte sich, als sie ihn sah. Er grinste verstohlen und schloss die Tür hinter sich. Sie bewegte sich keinen Millimeter aus Angst, das Handtuch könnte verrutschen.
Er kam auf sie zu, hob die Hände um ihr Gesicht und küsste sie ein Mal sanft auf die Lippen. „Ich habe etwas für dich“, sagte er und griff in die Hosentasche. Er zog ein Seidensäckchen hervor und öffnete es. An einer langen Kette baumelnd, kam ein Anhänger zum Vorschein.
Lilly betrachtete ihn kurz und sah dann Memphis fragend an.
„Das ist ein Engelsrufer“, erklärte er. Er schüttelte ihn leicht und die Kugel im Käfig ertönte sanft. „Eigentlich ist er dafür gedacht deinen Schutzengel herbeizurufen. Ich dachte allerdings, es wäre passender, wenn er mich rufen kann.“ Er lächelte verschmitzt.
„Der ist echt schön.“ Lilly nahm den Käfig mit der Kugel darin in die Hand. „Wie meinst du das, er kann dich rufen?“
„Ich habe Hayley einen Zauber darauf legen lassen. Wenn du ihn erklingen lässt und meinen Namen hinein sagst, kann ich es hören. Dann komme ich zu dir. Egal wo du bist.“
„Das ist so süß.“ Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und gab ihm einen leichten Kuss auf den Mund. „Danke.“
„Ich würde alles für dich tun“, gab er leise zu und senkte den Blick.
„Dann küss mich noch mal“, flüsterte sie.
Memphis hatte bei ihr geschlafen. Das erste Mal überhaupt, hatte er bei ihr übernachtet. Wenn er sich bis jetzt auch zurückgehalten hatte, diese Nacht war die schönste, die Lilly seit Langem erlebt hatte. Sie waren lange wach gewesen und aus den Küssen war immer mehr geworden. Als sie schließlich die Müdigkeit überkam, lag Lilly eng an ihn gekuschelt und lauschte jedem einzelnen seiner Atemzüge.
Der Morgen brach an und sie erwachte, wie sie eingeschlafen war, in seinen Armen. Memphis schlief noch und Lilly beobachtete ihn. Endlich war der Damm gebrochen. Memphis hatte sich entschieden, es richtig anzugehen. Die lange Zeit des Wartens war zu Ende. Lange lag sie da und sah ihm beim Schlafen zu, während die Sonne langsam die Welt draußen erhellte. Dann klopfte es an der Tür. Vorsichtig stand Lilly auf, schnappte sich die Überdecke vom Bett und legte sie sich um. Hayley stand an der Tür und wartete.
„Hayley? Was ist los?“
„Raven ist zurück. Ihr solltet runterkommen.“ Sie klang besorgt.
„Ja okay.“ Die Hexe nickte zurück und ging. Als Lilly die Tür schloss, fiel ihr auf, dass Hayley ihr gesagt hatte. Sie wusste also, dass Memphis bei hier war. War sie vorher bei ihm im Zimmer gewesen, nur um festzustellen, dass er nicht da war? Hatte sie ihn hier vermutet?
Dann fiel Lilly ihr bester Freund im Haus ein. Sie stöhnte auf und Memphis erwachte.
„Was tust du da? Komm wieder her“, forderte er sie verschlafen auf. Sie folgte seiner Bitte und ging zurück zum Bett. Dort ließ sie sich vorwärts darauf fallen und vergrub das Gesicht in den Kissen. „Hast du gut geschlafen?“, wollte er wissen und sie hörte ihn grinsen.
„Mehr als gut“, grinste sie zurück, als sie wieder auftauchte. „Aber ich glaube, es ist vorbei mit gut.“ Ihr Lächeln verschwand und Memphis’ Blick wurde fragend. „Ich denke, wir werden ein paar Sprüche von Denniz ernten und Hayley war gerade hier. Rave ist wieder da. Wir sollen runterkommen. Sie sah nicht glücklich aus.“
Er ließ den Kopf zurückfallen und atmete tief durch. „So viel zu Thema Frieden.“ Er sprach mehr mit sich selbst als mit ihr, dann erhob er sich und beugte sich zu ihr. Er küsste sie auf die Stirn und sagte: „Ich geh mich anziehen. Wir treffen uns unten.“
Lilly nickte.
Sie trafen sich schon oben an der Treppe, denn Lilly war kein Mädchen, was ewig im Bad brauchte und so war sie zeitgleich mit ihm fertig. Er lächelte ihr Lieblingslächeln, dann nahm er ihre Hand und sie gingen gemeinsam ins Esszimmer. Von den Angestellten war noch niemand zu sehen.
5
Ihre beiden Freunde saßen wie immer an dem langen Esstisch und Raven stolzierte darauf herum. Als Hayley Memphis bemerkte, schnalzte sie mit der Zunge und der Rabe flog auf den Kaminsims. Memphis ignorierte Raves Fehltritt diesmal, führte Lilly zu ihrem Platz, zog ihr den Stuhl zurück und setzte sich, nachdem sie saß, wieder neben sie. Ein forschender Blick in die Gesichter von Denniz und Hayley zeigte Lilly ein freches, wissendes Grinsen und einen besorgten Blick. Also hatte Denniz mehr mitbekommen, als er sollte. Allerdings verkniff er sich irgendwelche Sprüche, zumindest für den Moment.
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