„Wann wird er zurück sein?“, wollte Memphis ungeduldig wissen.
„Du musst ihm schon etwas Zeit geben.“
Er fuhr sich nervös durchs Haar. Hoffentlich findet er nichts. Hoffentlich habe ich mich getäuscht. „Ich habe noch eine Bitte.“ Er holte ein kleines Seidensäckchen aus der Tasche. „Kannst du einen Zauber darauf legen?“ Er zog eine Kette hervor. An ihr hing eine kleine Käfigkugel aus Silber, mit einem Flügel als Anhänger. In dem Käfig lag eine eisblaue Klangkugel. Sie läutete sanft ihren Ton, als Memphis sie Hayley reichte.
„Die ist aber schön. Die ist für Lilly, stimmts?“, fragte sie und sah ihn schmunzelnd an.
„Ja.“
„An welchen Zauber hast du gedacht? Einen Schutz?“
„Nein. Eine Art Rufzauber. Ich möchte, dass sie mich erreichen kann, wann immer sie will und wo immer sie ist. Ich will sie nicht verlieren.“
„Ist gut. Ich werde sehen, was ich tun kann.“
„Ich danke dir.“ Er lächelte ihr zu. Hayley schien erleichtert, dass er sich etwas beruhigt hatte. Doch innerlich war Memphis noch immer aufgewühlt. Das würde sich auch nicht legen. Nicht, bis Raven wieder da war und hoffentlich keine schlechten Nachrichten brachte.
Langsam stieg Memphis die Treppen in die Eingangshalle hinauf und wurde oben von Denniz begrüßt. Er stand am Treppenabsatz und sah so unschuldig aus, dass Memphis sofort klar war, dass er was angestellt hatte.
„Was hast du nun schon wieder verbrochen?“, fragte Memphis seinen Freund mit einem Seufzen.
„Also, eigentlich war ich das nicht, wenn man es genau nimmt.“
„Ach ja? Und wer dann?“
„Ehm.“ Denniz presste die Lippen aufeinander. „Ich bring’s in Ordnung.“
„Was denn genau?“, wollte Memphis wissen. Sein Blick wurde argwöhnisch.
„Das da?“ Denniz deutete auf die offenstehende Eingangstür. Memphis folgte der Geste und seine Gesichtszüge entglitten ihm für einen Moment. Dann ging er nach draußen, um sich das Chaos genauer anzusehen.
4
Sie hörte ein Krachen und Scheppern von draußen. Es klang, als sei irgendetwas explodiert. So schnell Lilly konnte wusch sie sich die Hände - sie hatte Mrs Thomas bei den Vorbereitungen für das Mittagessen geholfen -, dann lief sie nach draußen. Denniz und Memphis standen beide am untersten Treppenabsatz zur vorderen Veranda.
Denniz hatte die Hände in den Hosentaschen vergraben und sah schuldbewusst drein. Memphis stand mit verschränkten Armen neben ihm und schüttelte den Kopf. Dann fiel Lillys Blick auf den Brunnen. Ein Lachen entfuhr ihr und die beiden Jungs schauten zu ihr auf.
„Endlich“, brachte sie raus und hielt sich den Bauch.
„Ich weiß wirklich nicht, wo das witzig ist“, grummelte Memphis. Denniz warf ihr ein verstohlenes Dennizgrinsen zu. Die hässliche Fontänenfigur war nur noch ein Trümmerhaufen. Sie spritzte noch Wasser, allerdings in alle Himmelsrichtungen. Eine monströse Wurzel schlang sich kreuz und quer um ihre Reste herum. Sie war direkt aus dem Brunnen gewachsen.
Lilly gesellte sich zu ihren Freunden, betrachtete das Chaos und lachte erneut. Das neue Trümmergebilde, sah bei Weitem besser aus, als die ursprüngliche Figur.
„Das hat doch was“, scherzte sie und stieß Memphis neckisch in die Seite. Er grummelte etwas vor sich hin, während er den Steinhaufen musterte.
„Ich repariere das“, versuchte Denniz, ihn weiter zu beschwichtigen.
„Ach ja? Und wie?“
„Ich … ehm … also.“ Mehr brachte er nicht heraus.
Lilly half ihm. „Mit etwas mehr grün würde es echt hübsch aussehen. Als würde ein Baum im Brunnen wachsen.“ Beide Jungs sahen sie an. Memphis verwirrt, Denniz dankbar.
„Das krieg ich hin“, sagte Denniz freudestrahlend. „Darf ich?“, fragte er dann vorsichtig an Memphis gewandt.
„Meinetwegen. Schlimmer kann es ja nicht werden.“
Denniz trat vor und legte eine Hand auf die riesige Wurzel. Sekunden später sprossen überall kleine Ästchen, die immer weiter wuchsen und sich verzweigten. Dann wuchsen auch kleine Blätter an den Enden und zum Schluss sah es so aus, als würde tatsächlich ein Baum im Brunnen stehen.
Die Äste hielten die ursprüngliche Fontäne davon ab, zu weit zu spritzen, denn jetzt tropfte das Wasser an einzelnen Zweigen runter und zurück in den Brunnen. Die Trümmer der Figur bildeten einen schönen, fast natürlich aussehenden, Steinhaufen um den Baum herum.
Lillys Augen weiteten sich. „Denniz, das ist der Wahnsinn!“
„Danke.“ Er grinste breit und trat zurück.
„Memphis, guck dir das an. Echt mal, das ist so viel besser als vorher.“ Lilly war wirklich begeistert, von Denniz’ Werk.
Memphis musterte die neue Gartendekoration. „Es hat was. Zugegeben.“
„Lassen wir es?“, fragte Denniz hoffnungsvoll. Memphis schwieg einen Moment, dann stieß Lilly in wieder sanft in die Seite. Er schaute sie an und sie lächelte aufmunternd.
„Ja okay“, gab er schließlich nach und ließ die Arme sinken, wobei er eine Hand um ihre Taille legte und die andere in seiner Hosentasche vergrub. „Das Ding war eh alt.“
„Und hässlich“, fügte Lilly an.
„Es war nicht hässlich!“, protestierte Memphis.
„War es“, sagten sie und Denniz gleichzeitig.
Memphis lachte auf und die beiden stimmten ein, als er meinte: „Kein Sinn für Kunst.“
Nach dem Brunnenunfall lief der Tag so vor sich hin. Jeder ging etwas anderem nach. Lilly verzog sich in den Stall, nachdem sie mit der Köchin das Mittagessen beendet hatte. Da sie keinen Hunger hatte, ließ sie das Essen aber ausfallen.
Im Stall standen vier Pferde. Auch eine Neuerung, die Lilly mitgebracht hatte, wenn man das so sagen wollte. Auf ihrer damaligen Erkundungstour durch das Haus und die anliegenden Gebäude, war ihr ein halb verfallenes Gemäuer aufgefallen. Es war keine Ruine, aber auch nicht in bestem Zustand gewesen. Beim Betreten hatte Lilly gesehen, dass es sich um alte Stallungen gehandelt hatte.
Es gab fünf große Boxen auf jeder Seite. Eine Sattelkammer und einen Heuboden. Das Dach war löchrig gewesen und die Türen und Fenster undicht oder ganz kaputt. In einer der Boxen hatte Lilly einen Führstrick aus Leder gefunden. Er war alt und verwittert gewesen und hatte sich rau unter ihren Händen angefühlt. Sie hatte ihn mit ins Haus genommen und die Jungs nach dem Stall gefragt.
„Wir hatten vor vielen Jahren mal Pferde. Sie gehörten zum Nachlass. Irgendwann sind sie gestorben und wir haben keine Neuen gekauft. Seitdem steht der Stall leer“, hatte Memphis erklärt.
„Ich wollte damals wieder welche haben, aber der Hausherr hat nein gesagt“, hatte sich Hayley beschwert. Denniz war der Meinung gewesen, man könne ja jetzt wieder welche halten. Lillys Augen hatten angefangen zu leuchten bei der Vorstellung. Zumindest hatte Memphis ihr das später erzählt.
Er hatte den Ausdruck gesehen und nur kurz überlegt. „Dann brauchen wir einen Stallmeister.“
Читать дальше