Sie zittert . Ich zwinge mich, langsam rüberzugehen, damit sie Zeit hat, mich zu registrieren. Eine minimale Augenbewegung, die ich nur als Spiegelbild im Fensterglas sehe, verrät mir, dass sie mich bemerkt hat. Ich sinke an der Wand ihr gegenüber in den Schneidersitz und mustere sie.
Sie sieht nicht viel erholter aus als gestern, doch ihre Sachen sind sauber und endlich ist das Blut verschwunden. Es hat mich jedes Mal eine Menge Kraft gekostet, deswegen nicht auszuticken. Denn es hat mich immer wieder daran erinnert, was passiert ist und dass ich es nicht verhindert habe.
Eine kleine Weile herrscht Stille, bis ich sie vorsichtig breche. „Ty?“
Ihr Kopf dreht sich, bleibt aber an die Scheibe gelehnt, während sie mich anschaut. Sie sagt nichts.
„Wie geht es dir heute?“, will ich wissen und frage es, das erste Mal seit Tagen.
„Gut.“
Sie hat geantwortet, zu meinem Erstaunen. Doch sie hat gelogen, was mich nicht erstaunt. „Hast du Hunger?“, frage ich weiter, weil sie wirklich dringend was essen sollte.
„Nein.“ Das war sicher keine Lüge, denn sie senkt den Blick, als würde es ihr leidtun.
„Kann ich dir was anderes bringen? Tee oder Milch?“
Sie schüttelt den Kopf.
„Ty, lass mich dir helfen“, bitte ich sie, obwohl ich sie gar nicht dahingehend ansprechen wollte.
„Das kannst du nicht“, kommt die erwartete Antwort.
„Ich will es versuchen.“
„Wie denn?“ Ihre Stimme ist leise und angeschlagen. Die blauen Flecken am Hals werden aber schon heller, fällt mir auf.
„Sag mir, wer es war“, bitte ich sie so leise, dass es mich wundert, dass sie es überhaupt verstanden hat.
„Niemand“, haucht sie nur.
Wieder herrscht eine Weile Stille, die ich erneut breche, obwohl ich noch gar nicht weiß, was ich überhaupt sagen kann. Jetzt, wo sie endlich spricht, will ich einfach ihre Stimme hören. „Kleine ... sag mir, was er gemacht hat.“ Sofort schlage ich mich mental selbst vor den Kopf. Ich Idiot! Warum sage ich ausgerechnet das?! Es ist logisch, dass sie nicht drüber reden will! Ich Volltrottel!
Schweigen schlägt mir entgegen, doch ihr Blick ruht auf mir, als ich meinen zu ihr hebe. Sie sieht mich an, als überlege sie, ob ich das gerade ernsthaft von ihr gefordert habe.
„Entschuldige, ich ...“
„Er hat mich genommen“, unterbricht sie mich. „Wie er wollte.“ Ihr Blick geht zurück nach draußen. „Er hat mich geschlagen und mit seinem Schwert verletzt. Er hat gelacht und mich beleidigt. Er hat mir gezeigt, dass er stärker ist und ich ihm nichts anhaben kann. Er hat sich genommen, was er wollte. Zweimal.“
Eine Träne rollt ihr über die Wange und ich muss mich davon abhalten, aufzustehen und sie wegzuwischen.
„Er hat mir gedroht. Und sie haben ... keine Ahnung, was sie gemacht haben.“
„Sie?“ Mehrere?! Mein Mädchen schweigt. „Tyree?! Sie?!“
Sie regt sich nicht, doch ihre Augen schlagen für einen Moment nieder. Das ist meine Bestätigung.
„Wie viele?“, kann ich nur entsetzt fragen.
„Wie viele was?“ Jetzt habe ich ihre Augen wieder auf mir ruhen.
„Wie viele waren es.“
Sie hebt kurz die Schultern. „Keine Ahnung. Mit ihm? Drei? Vier?“
Mein Herz beginnt zu rasen. „Haben sie ... alle ...?“
Sie schüttelt den Kopf und ich sehe die Wahrheit in ihrem Blick.
„Was haben die anderen getan?“, will ich weiter wissen.
Wieder hebt sie die Schultern. „Ich weiß nicht.“
„Warst du bewusstlos?“ Ein bisschen hoffe ich es, denn dann hat sie nicht alles mitbekommen.
Doch wieder schüttelt sie den Kopf. „Nein.“
„Was haben sie gemacht?“ Mein Herz rast vor Wut, Frust und Verzweiflung, weil es ihr so schlecht geht.
„Keine Ahnung, En! Woher soll ich das wissen?! Ich kenne mich mit euren barbarischen Foltermethoden nicht aus!“, geht sie mich unerwartet an. „Sie haben mich irgendwohin gezerrt und mich auf so einen komischen Stuhl gesetzt! Sie haben ... etwas ... in mich gepackt und kein Plan, was die da gemacht haben! Es hat ein Mal kurz sehr wehgetan. Mehr hab ich nicht gemerkt. Dann haben sie mich zurückgebracht und sind verschwunden. Genug Informationen?! Oder willst du noch wissen, wo er mich angefasst hat? Hier und hier!“ Ihre Stimme wird immer erstickter. Sie deutet auf ihre Brust und ihre Seiten. „Er hat mich gewürgt und er hat mich geschlagen!“ Sie deutet auf ihren Hals und auf ihr linkes Augen, das noch immer einen Bluterguss hat.
Ihr Blick ist wütend und ihre Aura schickt ihren Zorn und den Schmerz ungehemmt zu mir. „Er hat mich Hexe und Mensch und Hure genannt!“ Ihr Augen glänzen, weil sich Tränen darin sammeln. „Er hat gesagt, wenn ich ihn verrate, kommt er wieder!“ Ich schlucke, doch sie spricht schon weiter. „Er ist gekommen, obwohl ich nichts gesagt habe! Er kommt wieder, En.“
Der letzte Satz kommt so leise und so verzweifelt, dass mir die Luft wegbleibt. Wieder rollt eine Träne über ihre Wange und diesmal kann ich mich nicht zurückhalten und bin so schnell bei ihr, dass sie voller Panik erschreckt und sich gegen die Wand drückt. In ihren Augen steht nackte Angst und sie atmet schwer, als ich mit meinem Gesicht kurz vor ihrem stoppe.
„Er kommt nicht wieder!“, knurre ich. „Niemals mehr! Keiner kommt dir mehr zu nahe! Keiner!“ Ich zwinge mich zur Ruhe, weil ich ihr definitiv Angst mache und das will ich natürlich keinesfalls. Kurz senke ich den Blick, hebe ihn aber gleich wieder. Sie zittert am ganzen Leib. Vorsichtig hebe ich eine Hand und streiche so sachte über ihre Wange und die Tränenspur, dass ich es selbst kaum spüre. „Ich passe auf“, verspreche ich ihr mit ganzem Herzen und hoffe, sie glaubt mir.
„Bitte geh weg“, haucht sie, noch immer voller Schrecken und ich rücke ab. Ihre Augen bleiben weit aufgerissen und sie schiebt sich an der Wand hoch.
„Tut mir leid. Ich ...“ , beginne ich, doch sie drückt sich schon weiter an der Wand entlang. Ich senke den Blick und Ty verschwindet im Bad.
Ich totaler Vollidiot!
Sie bleibt lange in dem kleinen Raum und ich lausche auf das, was sie tut. Nur tut sie nichts. Dann kommt Bent mit Myra ins Zimmer. Ich nicke nur Richtung Bad und die Zwergin verschwindet ebenfalls dort.
„Kommst du mit zum Frühstück? Myra bleibt hier“, erklärt mein Bruder.
„Ja“, ringe ich mich durch. „Ich bin gleich da. Ich muss nur noch schnell was machen.“
Im Esszimmer sind alle versammelt und Ristan wirft mir einen grimmigen Blick zu, als ich reinkomme und mich setze. Fraya schaut mich gar nicht erst an, dafür hat Cara ein Lächeln für mich.
„Guten Morgen, Enyo“, begrüßt Ristan mich und auch das klingt weniger freundlich.
„Guten Morgen, Ristan“, gebe ich ihm zurück, schaue ihn aber nicht an.
„Wie geht es Tyree?“, will er wissen und spielt mit dem Henkel seiner Kaffeetasse.
„Ich denke, es wird besser.“
Er brummt missmutig. „Was wollen die Zwerge hier? Gewährst du denen jetzt auch Asyl?“
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