„Was will ich denn? Und wie soll ich es bekommen? Die sind Elfen. Die bringen mich um.“ Meine Augen brennen, weil die Angst in mir hochsteigt.
Wieder sieht Myra mich eindringlich an. „Stimmt, sie sind Elfen. Aber keiner bringt dich um. Im Gegenteil. Du hast da draußen Freunde aus diesem Volk, die dir helfen wollen, zu überleben. Sie werden dich verteidigen. Sie werden für dich und mit dir kämpfen. Du musst sie nur lassen. Und was willst du? Hm? Überleg mal.“
Ich kann sie nur verständnislos anstarren.
„Willst du diesem Mistkerl nicht zeigen, dass er keine Macht über dich hat? Willst du nicht, dass er bestraft wird?“
„Er hat das mit mir gemacht. Ich hatte keine Chance. Er ist ein Elf. Die werden nicht bestraft.“
„Warum denkst du das?“
Ich zucke mit den Schultern.
„Auch sie haben ein Rechtssystem, Ty. Hat Enyo es dir erklärt?“
Hat er. Aber nicht viel. „Er hat nur gesagt, dass ich ihm gehöre und dass es bestraft wird, wenn mir einer was antut.“
„Da hast du es doch“, sagt sie und lehnt sich zurück. „Auch sie kommen nicht ungeschoren davon.“
„Aber ich bin doch nur ein Mensch.“ Wieder brennen meine Augen, doch ich kann die Tränen zurückhalten.
„Hör auf, das so zu sagen. Ja, du bist ein Mensch und hast genauso das Recht auf Vergeltung.“
Ich stoße die Luft aus. „In einem Haus voller Elfen?“, frage ich ungläubig und nun löst sich doch eine der Tränen.
Myra wischt sie mit sanften Fingern weg. „Dass du Enyo gehörst “, sie setzt es in imaginäre Anführungszeichen, „gibt dir Schutz. Du bist sein. Wer dich ohne seine Erlaubnis anfasst oder dir schadet, muss mit einer Strafe rechnen. Und glaube mir, in deinem Fall fällt die nicht gering aus.“
„Was machen sie denn?“, will ich wissen.
Sie hebt kurz die Schultern. „Das kommt ganz auf den Richter an.“
„Und wer ist der Richter?“
„Ristan.“
Erneut stoße ich unecht lachend die Luft aus. „Einer meiner besten Freunde“, sage ich ironisch und schüttle dann den Kopf. Ich werde hier keine Gerechtigkeit erfahren.
„Tyree?“ Sie hebt mein Kinn an und sieht mir fest in die Augen. „Gib nicht auf. Das wäre falsch. Kämpfe, solange du kannst, und gibt ihnen nicht die Genugtuung, gewonnen zu haben. Sie sind nicht die höchste Vollendung und du bist mindesten so viel wert wie zehn von ihnen.“
Das sehen die anders, aber das kann ich ihr nicht sagen. Sie wird weiter argumentieren. Ich muss fast lächeln. Myra ist eine starke Konkurrenz, was das Debattieren angeht.
„Wie sieht’s aus. Wollen wir dich baden?“, fragt sie nun und ich nicke. Sie gibt ja eh nicht auf und sauber sein oder nicht, ändert nichts. „Darf ich die Elfe holen?“, fragt sie wieder, aber leiser. Wieder nicke ich, sie steht auf und geht. Mein Blick fällt auf die Scherben vor mir und hält sich daran fest.
Sie liegen da schon eine ganze Weile und ich hatte sie auch schon ein paar Mal in der Hand. Aber ich bin feige und hab es nicht geschafft, sie über die Stelle am Handgelenk zu ziehen, die mein Leben beenden würde. Ich bin schwach. Ich schaffe es nicht mal, mich selbst zu töten.
Cara kommt und wirft mir immer wieder prüfende Blicke zu, während sie mit Myra alles für ein Bad vorbereitet. Sie hält Abstand, weil ich jedes Mal zucke, wenn sie mir zu nahekommt. Die beiden legen Sachen raus und stellen Dinge bereit. Ich kriege das alles nur am Rande mit, denn mein Blick, bleibt bei den Scherben, unweit vor mir.
Ein Schnitt würde reichen und ich hätte gar keine Probleme mehr. Myras Worte schweben mir im Kopf herum. Er würde gewinnen. Aber hat er das nicht schon?
Er hat mich bekommen. Hat sich das von mir genommen, was ich nicht bereit war herzugeben. Er hat mich verletzt und bereitet mir praktisch jetzt noch Schmerzen. Er könnte es jederzeit wieder tun.
Wenn ich ihn wieder lasse. Aber ich habe mich doch gewehrt! Es hat nichts genutzt. Er war viel stärker als ich. Er ist ein Elf und ich bin nur ein Mensch. Was kann ich schon tun?
Eine Scherbe nehmen und es beenden. Aber sie liegen da schon so lange und ich schaffe nicht mal das. Ich bin schwach. Ich bin feige. Ich bin nur ein Mensch.
Cara kommt und kniet vor mir nieder. Sie legt eine Hand über die Scherbe und unterbricht so mein Starren. Erschrocken fährt mein Kopf hoch und ich lasse sie nicht aus den Augen, während ich mich weiter in die Ecke drücke, in der ich schon die ganze Zeit sitze. Ich sehe Mitgefühl und Sorge in ihrem Blick.
„Darf ich dir aufhelfen?“, fragt sie und wartet geduldig mein Schweigen ab.
Sie wird mich anfassen. Ich schüttle, ohne es zu wollen, den Kopf.
„Schaffst du es allein?“
Nein, das schaffe ich nicht. Ich senke den Blick.
„Lass mich dir helfen, Ty. Bitte.“ Wieder wartet sie geduldig, bis ich endlich nicke. Ich muss mich zwingen, nicht zu zucken, als sie nach mir greift und mich vorsichtig hochzieht. Dann stehe ich und hänge doch halb auf ihr, als sie mich ins Bad bringt.
Das Wasser ist angenehm, doch den Schnitt und die Brandrose spüre ich trotzdem. Genau wie die Blicke der beiden Frauen, als sie helfen, mich zu waschen. Nach dem Bad sitze ich auf dem Rand der Wanne, während Cara meine Wunden versorgt und Myra sich um meine Haare und alles andere kümmert.
Ich fühle mich tatsächlich besser, jetzt wo ich sauber bin und kein Blut mehr an mir klebt. Auch das Gefühl, von innen beschmutzt worden zu sein, lässt langsam nach. Aber die Erinnerung lässt es immer wieder hochkommen.
Kurze Zeit später bin ich wieder angezogen und Cara hilft mir ins Bett. Sie haben schon zeitig alles aufgeräumt und neu gemacht. Nur hat das Bett nun keinen Himmel mehr. Auf der Kante sitzend, reicht mir Ens kleine Schwester den Saft, denn ich die letzten Tage hätte nehmen sollen, aber nicht genommen habe. Meine Krankheit spüre ich dadurch wieder mehr, doch das lenkt mich von den anderen Schmerzen ab, an die ich nicht denken will.
Jetzt nehme ich ihn doch, wehre aber die Salbe ab. Kein Delirium! Cara zieht die Decke über mich und Myra stellt den Tee vom Tablett am Fenster auf den Nachttisch. Keiner hat in der ganzen Zeit etwas gesagt und nun gehen sie und lassen mich wieder allein. Ich weiß, dass Myra hierbleiben wird. Sie will nicht nach Hause gehen, doch sie möchte mir Ruhe geben.
So allein im stillen Zimmer und im Bett, dass viel bequemer ist, als die Ecke, werde ich schlagartig müde und mein Körper holt sich die Erholung, die ich ihm so lange verwehrt habe.
4
Es ist irgendwann kurz vor Sonnenaufgang, als mich ein Geräusch weckt. Der Himmel draußen wird schon heller, doch es ist noch mindestens eine Stunde hin, bis es Tag wird. Mein Blick fliegt vom Fenster zur offenen Tür. Tyree ist nicht mehr im Bett.
Alarmiert springe ich auf und kurz wird mir schwarz vor Augen. Doch schon stehe ich in ihrem Zimmer und schaue mich um. Ich entdecke mein Mädchen am Fenster in der Ecke, in der sie schon die letzten Tage verbracht hat. Ihr Kopf lehnt an der Scheibe, die Beine hat sie angezogen, die Arme darum geschlungen.
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