„Sorry“, schaffe ich zu sagen und bekomme dabei kaum Luft. „Aber das war herrlich.“
„Arschloch“, kommt es gebrummt bei mir an.
„Du wusstest doch, dass er geschützt ist“, lache ich und atme dann tief durch.
„Ja, schon. Aber ich dachte vielleicht nur das Haus selbst. Und da Ty jetzt bei uns ist, war ich der Meinung, der Schutz wäre gebrochen.“ Er lässt die Hand von der Stirn sinken und betrachtet das Haus nachdenklich.
„Ist er nicht“, feixe ich ihn an und trete näher. Testweise hebe ich eine Hand und strecke sie aus. Auch ich komme nicht weiter, als bis zur Mauer.
Bents Blick wird verwirrt. „Ich dachte, du warst schon drin.“
„War ich.“ Ich muss lächeln. „Schlaues Mädchen, meine Ty.“ Ich drehe mich um und gehe zum Waldrand, wo ich sechs Blätter von einer Weide sammle. Zurück bei meinem Bruder ziehe ich mein Messer. Ein Stich und auf drei Blättern glänzt mein Blut. „Jetzt du.“
„Das ist wirklich Blutmagie?“, fragt er und verzieht das Gesicht. Ich werfe ihm nur einen Blick zu. Er hebt die Hand und kurz darauf ist sein Blut auf den anderen drei Blättern.
„Dreh dich um“, weise ich ihn an, denn ich will Tys Schutz nicht gänzlich verraten. Auch wenn ich Bent vertraue. Er folgt der Aufforderung aber bereitwillig und wendet sich ab. Die drei alten Blätter mit meinem Blut sind vertrocknet und ich kann mir denken, dass der Schutz mich deshalb wieder aussperrt.
Sie hat mich nicht ganz in den Schutz integriert. Ob sie es heute tun würde? Sicher hätte sie das Versteck auch wieder geändert. Ich lege die sechs Blätter in den kleinen Hohlraum und verschließe ihn sorgfältig, dann trete ich zurück und tippe Bent an.
Er dreht sich um und zieht die Brauen hoch. „Jetzt können wir rein?“
„Nach dir.“ Ich grinse und hebe die Hand, um ihm den Vortritt zu geben. Mit argwöhnischem Blick nähert er sich der unsichtbaren Wand und streckt eine Hand aus. Sie trifft nicht auf Widerstand, also schiebt er auch einen Fuß über die Grenze. Mein Kichern, lässt ihn das Gesicht verziehen, dann macht er sich auf den Weg zum Haus und ich folge ihm.
Sein Blick schweift umher und er mustert das Grundstück mit Argusaugen. Ich kenne es ja schon, also schaue ich nicht so genau hin. Mir ist auch nur wichtig, dass wir ein paar Sachen von Ty bekommen.
Im Haus selbst ist es relativ dunkel, doch dank unserer Elfensinne, ist das kein Problem. Kurz stehe ich unentschlossen da, dann packe ich die Decke vom Sofa und breite sie ein Stück aus. Sie wird meine Tasche werden.
Bent geht langsam das kleine Zimmer ab und schaut sich auch hier um. „Es ist winzig, aber irgendwie gemütlich“, meint er und schiebt die Unterlippe vor. „Es gefällt mir.“
Ich grinse nur. Mir gefällt es auch. So klein es ist, es hat alles, was man braucht. Mein Blick fliegt wieder durch den Raum, auf der Suche nach persönlichen Gegenständen. Vor dem Kamin steht eine kleine Kiste, die mir ins Auge sticht. Sie ist verschlossen und ich finde keinen Weg hinein.
Die kommt mit. Wenn die Kleine was darin einschließt, muss es ihr wichtig sein.
Bent inspiziert derweil einen Schrank und findet ein paar Kleidungsstücke. „Wollen wir davon auch was mitnehmen?“, will er wissen und hält einen alten Pullover in den Händen.
„Ja, gib her.“ Ihre eigenen Sachen zieht sie sicher lieber an.
Er wirft mir noch ein paar Stücke zu, die ich zum Kästchen auf die Decke lege. „Mhh. Viel hat sie gar nicht“, fällt mir auf, denn was sonst noch im Raum ist, war entweder schon da oder erscheint mir nicht persönlich genug.
„Was soll sie auch alles haben? Hast du gedacht, sie schleppt ständig einen kompletten Hausrat mit sich herum?“
„Mir ist schon klar, dass sie nicht viel Besitz hat.“ Aber so wenig? Keine Bilder oder Andenken von ihrer Familie. Mein Blick fällt auf die kleine Kiste. Was auch immer da drin ist, will sie sicher haben. Erneut lasse ich den Blick schweifen. „Ich hab keine Ahnung, was wir noch mitnehmen sollten.“
„Ich auch nicht. Lass uns gehen. Wir können ja wiederkommen.“
„Okay.“ Ich knote das Bündel zusammen und werfe es mir über die Schulter, dann verlassen wir den Hof. Auf halben Weg kommen wir an einer U-Bahn-Station vorbei und ich halte an, Bents abermals verwirrten Blick auf mir.
„Ist was?“, will er wissen und mustert mich besorgt.
„Die Bahn“, antworte ich leise. Ty ist sicher öfter damit gefahren. Mein Blick fliegt zu meinem Bruder. „Dort fahren Menschen mit“, lasse ich ihn wissen.
„Ehm, ja, und?“
„Ty auch. Vielleicht kennt sie dort jemand.“
Für einen Moment entgleiten ihm die Gesichtszüge, dann schluckt er und meint: „Du hast nicht vor, was ich denke, was du vorhast, oder?“
Ich muss grinsen. „Doch. Ich glaube, genau das habe ich vor. Bent, da sind sicher Leute, die die Kleine kennen. Vielleicht hilft uns einer von denen?“
„Das ist die U-Bahn, En. Die - U -Bahn.“
„Ich weiß. Aber bist du da schon mal mitgefahren?“
„Ja. Und es war nicht schön.“
„Welche Möglichkeiten haben wir noch?“, will ich wissen und ziehe die Brauen hoch. Er antwortet nicht gleich. Sein Blick fliegt nur zwischen mir und den Treppen hin und her.
Dann seufzt er. „Für Ty.“
2
Wir stehen in der Bahn und ich weiß, dass es Bent genauso ergeht wie mir. Sein Griff um die Haltestange ist so fest, dass seine Fingerknöchel weiß werden. Auch ich muss den Drang herunterkämpfen, einfach aus diesem Abteil zu stürmen, um an die Luft zu gelangen.
Elfen sind einfach keine Untergrundbewohner. Andererseits halten wir uns heute nur kurz hier auf und es ist für Ty. Das werden wir schaffen.
„Erkennst du jemanden?“, höre ich Bent, das gefühlt tausendste Mal fragen.
„Nein.“ Wie auch? Die halten alle so viel Abstand und viele steigen sofort wieder aus, wenn sie sehen, dass wir hier sind. Dass wir keine Waffen tragen und auch sonst eher wie zwei Häufchen Elend aussehen, tut dem keinen Abbruch.
„Wie lange müssen wir hier noch mitfahren, En?“ Bent klingt wie ein Junge, der endlich ankommen will, weil ihm schlecht ist.
„Was weiß ich denn!“, fahre ich ihn an und die letzten beiden mutigen Menschen im Abteil drängen sich weiter von uns weg. Der Zug hält und sie sind so schnell draußen, dass man meinen könnte, ein Gummiband hätte sie rausgezogen.
Resigniert lasse ich mich auf einen Sitz fallen und vergrabe das Gesicht in den Händen. „Verdammter Scheißdreck.“
„Können wir jetzt auch aussteigen?“, fragt Bent gerade, da schließen sich die Türen und er seufzt. „Können wir dann bitte die Nächste nehmen?“
„Mhh“, raune ich nur, lasse die Hände aber, wo sie sind. Das kann doch alles nicht wahr sein. Wir werden niemanden finden, der uns hilft. Allein deshalb, weil wir Elfen sind und einen Menschen brauchen. Welcher Mensch würde das auch freiwillig tun?
Ich gehe stark davon aus, dass selbst die Alte nein gesagt hätte.
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