Ich schnelle hoch und fasse meine Schwester an den Armen, doch wieder berührt Myra mich sanft.
„Enyo. Alles gut. Sie hat nichts getan“, erklärt sie.
„Was wollte sie tun“, frage ich, obwohl ich die Antwort kenne.
Cara senkt den Blick und sagt: „Ich glaube, sie wollte sich die Arme aufschneiden.“ Mein Herz beginnt schmerzhaft schnell zu rasen. „Sie hat’s nicht getan, En. Der Teller war zerbrochen und bei ihr lagen Scherben. Eine davon hat sie die ganze Zeit angestarrt, bis wir sie endlich überreden konnten, mit ins Bad zu kommen. Ich hab alles weggeräumt, womit sie sich verletzen könnte“, fügt sie an und sieht mir eindringlich in die Augen. „Ich glaube auch, wir konnten sie etwas aus ihrer Abwesenheit holen.“
„Sobald sie wach ist, sollte sie essen und vor allem mehr trinken“, erklärt Myra wieder. „Sie ist dehydriert und ihr Körper braucht Energie, um sich zu erholen.“
Ich nicke ihr zu und lasse Cara los. „Danke“, kommt es mir abermals leise über die Lippen.
„Bitte kommt mit runter und esst mit uns“, lädt Bent die Zwerge ein, die annehmend die Köpfe senken. „En?“, fragt er, doch ich verneine.
„Ich bleibe hier.“
„Alles klar.“
Als alle mein Zimmer verlassen haben, ist es fast gespenstisch still. Mein Blick fällt auf Tys Tür, dann beschließe ich, sie zu öffnen. Ich werde aber in meinem Zimmer bleiben, damit sie nicht wieder erschreckt und Angst bekommt, wenn sie aufwacht. So leise wie möglich aber laut genug, damit sie mich hören würde, wäre sie wach, öffne ich die Tür.
Da liegt mein Mädchen. Endlich wieder im Bett und nicht mehr voll Blut. Sie hat die Augen zu und atmet gleichmäßig und ruhig. Für einen Moment betrachte ich sie, dann gehe ich zurück zu meinem Bett und sinke davor auf den Boden. An das Fußende gelehnt, kann ich nur noch eine minimale Erhebung, unter ihrer Decke ausmachen, doch das reicht mir.
Sie schläft, das ist gut. Und wenn sie aufwacht, wird sie sicher auch wieder essen.
3
Unendliche Erleichterung durchflutet mich, als plötzlich Myra vor mir steht. Ohne ein Wort nimmt sie mich in den Arm und hält mich dann einfach fest. Ich klammere mich an sie und vergrabe meine Finger in ihrer Jacke, damit sie nicht wieder geht.
Ein Strom aus Tränen läuft mir über die Wangen, doch kein Laut entringt sich meiner Kehle. Myra ist hier. Ich bin nicht mehr allein.
„Tyree, Kleines. Was haben sie nur mit dir gemacht?“, höre ich ihre Stimme und die Vertrautheit, lässt mich noch mehr weinen. „Beruhige dich, mein Kind. Alles wird gut.“
Es ist gar nicht so leicht, sich zu beruhigen, wenn man seit einer gefühlten Ewigkeit endlich wieder Licht sieht. Es dauert lange, bis ich es schaffe, die Zwergenfrau loszulassen.
Sie sieht mir prüfend ins Gesicht. „Wie geht es dir?“
Ich kann nichts sagen, weil ich dann gleich wieder weinen würde, also schüttle ich nur den Kopf.
„Oh, Tyree.“ Und wieder liege ich in ihren Armen. Das tut so unendlich gut, dass ich sie am liebsten nie wieder loslassen will. Doch wieder schiebt sie sich von mir und kniet sich dann hin. „Kleines. Deine Freunde haben Zeez und mich geholt. Sie haben uns erzählt, was passiert ist und dass du Hilfe brauchst.“ Ihr Blick huscht kurz über mich, dann spricht sie weiter. „Du musst dich waschen und neue Sachen anziehen. Wollen wir das tun?“
Kurz überlege ich, weil ich mich dazu bewegen muss und das tut noch immer weh, aber sie hat recht. Und ich weiß ja, dass ich bei ihr nichts zu befürchten habe, also nicke ich.
„Sehr gut. Dann komm, ich helfe dir.“
Doch ich habe so lange gesessen, dass meine Beine mich nicht tragen. Unter Stöhnen und Schmerzen sacke ich zurück. Myra ist nicht stark genug, um mir hoch zu helfen, also bleibe ich, wo ich bin. Ihr Blick ruht kurz auf mir, dann fragt sie: „Wir brauchen jetzt wohl beide Hilfe. Ist es okay, wenn ich welche hole?“
Wen will sie denn holen?
Sie deutet meinen Blick und meint: „Draußen ist eine junge Elfenfrau. Darf ich sie fragen?“
Sie meint Cara. Ich will das nicht und schüttle den Kopf.
Sicher sieht man die Angst in meinen Augen, denn Myra meint: „Kleines, bitte. Ich möchte dir helfen, aber ich schaffe es nicht allein. Ich verspreche dir, dich nicht allein mit ihr zu lassen. Ich bleibe die ganze Zeit hier und Zeez ist in einer Sekunde da, wenn ich ihn rufe.“
Als könnte ein Zwerg von Zeez’ Größe sich gegen einen Elfen behaupten. Selbst wenn es sich dabei um eine Elfenfrau handelt. Aber Cara hat mir nichts getan und Myra hat versprochen, mich nicht allein mit ihr zu lassen. Ohne Cara kann ich nicht laufen. Auch wenn ich das eigentlich gar nicht will. Lange schweige ich, weil ich nicht weiß, was ich tun soll.
„Tyree?“ Myra sucht meinen Blick und hält ihn dann fest. „Du brauchst Hilfe. Du bist krank und dein Körper schafft das nicht allein. Lass mich dir helfen, damit es dir besser geht. Bitte.“
„Mir geht’s gut“, lüge ich und spreche das erste Mal seit Tagen. Meine Stimme ist leise und rau und versagt schließlich.
„Geht es nicht. Sieh dich doch an, Kind. Hast du vergessen, wo du bist? Glaubst du, du kannst dir so selbst helfen, wenn du musst?“ Wie sie das sagt, jagt mir einen Schauer über den Rücken. Muss ich das denn? Wird er wieder kommen?
Natürlich wird er das. Er hat mich zweimal bekommen. Warum nicht ein drittes Mal?
Ich habe zweimal versagt. Konnte mich beide Male nicht gegen ihn wehren, obwohl ich körperlich bei guter Verfassung war. Was nützt es also, gesund zu werden, wenn dann ein Elf kommt und es wieder zunichtemacht?
Ich senke den Blick. „Mir geht’s gut“, wiederhole ich und höre sie seufzen.
„Was er mit dir gemacht hat, ist nicht gutzumachen. Niemand, der das selbst nicht erlebt hat, kann dich jetzt verstehen. Niemand wird dir helfen können, wenn du es nicht zulässt. Deine Freunde da draußen, weißt du, was sie getan haben?“
Ich schüttle leicht den Kopf.
„Sie haben den ganzen Tag nach jemandem gesucht, der in der Lage ist, dir zu helfen, weil sie es selbst nicht können. Weil du sie nicht lässt. Ich will dir keine Vorwürfe machen, denn was passiert ist, ist schrecklich und dich trifft keinerlei Schuld. Aber willst du jetzt aufgeben? Willst du ihn gewinnen lassen? Willst du, dass er seinen Triumph über dich feiern kann?“
Wieder herrscht eine ganze Weile Schweigen, bis ihre Worte schließlich gänzlich bei mir ankommen. Ich schaue auf und runzle die Stirn. Seinen Triumph über mich? Wie meint sie das?
Myra fährt fort, als sie merkt, dass ich wieder zuhöre: „Er hat dich gedemütigt, verletzt und beschmutzt. Er hatte die Kontrolle, weil er stärker ist. Aber Kleines, er ist es nur körperlich. Du bist es geistig. Ich weiß das. Ich kenne dich. Du trotzt jeder Gefahr und bist stolz und stark und ich weiß, dass du dich niemals unterkriegen lässt. Du wirst doch jetzt nicht aufgeben und so einen Mistkerl gewinnen lassen?“
„Ich bin nur ein Mensch.“
„Nicht nur . Du bist ein starkes Mädchen und du bist eine Kämpferin. Gib dem Schicksal nicht, was es will. Hole dir, was du willst.“
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