„Nein. Hat er nicht.“ Ich knie mich auf das Fußende ihres Bettes und strecke den Arm, um ihr Kinn anzuheben. Ihre Augen treffen meine. „Hat er nicht“, wiederhole ich leise und sie lächelt wieder, diesmal ehrlich.
„Darf ich ... dich küssen?“, fragt sie und klingt eingeschüchtert.
Doch mir entfährt ein heiteres Lachen, dann bin ich ganz auf dem Bett und bei ihr. „Wann immer du willst.“ Nah vor ihrem Gesicht halte ich inne, damit sie entscheiden kann. Sie zögert kurz, dann überwindet sie die letzte Distanz und legt ihre samtenen Lippen hauchzart auf meine.
Eine Hitzewelle erfasst mich und es kostet mich alle Kraft, dem Trieb, der in mir hochsteigt, standzuhalten. Unter anderen Umständen würde ich sie jetzt packen und in die Laken drücken. Ich würde sie mit meinem Gewicht festhalten, damit sie nicht fliehen kann. Ich würde sie spüren lassen, wie sehnsüchtig mein Körper auf sie reagiert. Ich würde meine Hände in ihren Haaren vergraben und daran ziehen. Ich ...
Aber hier und heute und jetzt kann ich nur vor ihr knien. Die Hände seitlich neben ihrem Gesicht halten, jedoch ohne es zu berühren und den federleichten Kuss annehmen, den sie mir schenkt. Und der viel zu kurz ist, denn schon sind ihre Lippen verschwunden und ihre Wärme entfernt sich. Als ich die Augen öffne, sehe ich, dass sie ihren Blick abermals gesenkt hat. Als würde sie sich schämen. Tut sie das denn?
„Ty?“
Sie schaut nicht auf. „Tut mir leid“, kommt es leise und eine Träne fällt auf das Buch in ihren Händen.
Ich rutsche näher und lege die Arme um sie. „Da ist nichts, was dir leidtun müsste.“ Sie erwiderte meine Umarmung und es tröstet mich ebenfalls. Eine Woge der Erleichterung durchströmt mich, weil ich begreife, was hier passiert.
Ty vertraut mir wirklich noch immer. Trotz all dem Schrecklichen, was passiert ist, ist sie noch immer mein Mädchen, auch wenn sie selbst es nie so nennen würde. So absurd die Situation hier ist - ein Elf, ein Menschenmädchen und die vergangene Woche - die Kleine liegt hier in meinen Armen, als soll es genau so sein. Ich habe sie nicht verloren und das werde ich auch nicht.
„Wollen wir rausgehen? Das Wetter ist gut. Wir sollten es nutzen“, entscheide ich und löse mich von ihr. Sie nickt, also stehe ich auf und hole ihre Jacke. Wenig später gehen wir gemeinsam mit Bent und den Wölfen durchs Haus, Richtung Vordereingang.
Auf halber Strecke kommen uns Duan, Ducan und Zac entgegen und wieder lachen sie ausgelassen. Ebenso haben sie wieder verdreckte Kleider, also waren sie sicher auf der Jagd.
„Guck mal“, ruft Ducan laut und ich sehe Ty zucken. Die Gruppe kommt bei uns an und hält Bent auf, der vorausläuft. Ty bleibt hinter ihm stehen und senkt den Blick. Ich schließe auf und schiebe sie etwas Richtung Wand, damit sie mehr Sicherheit hat.
„Wollt ihr was?“, fragt Bent und klingt gereizt.
„Nein. Aber es ist schön, dass dein Mensch wieder fit ist, En“, feixt Ducan in meine Richtung und verpasst Zac einen Schlag mit dem Handrücken gegen den Bauch. „Scheint ja nicht viel Eindruck gemacht zu haben. Ich dachte, sie stirbt.“
„Halts Maul, Ducan!“, gehe ich ihn an, doch er lacht nur. „Ach komm, En. Immerhin ist sie jetzt eingeritten.“
Zac unterdrückt ein Prusten und Duan grinst hämisch.
„Du scheinst ja genau Bescheid zu wissen“, meint nun mein Bruder und fixiert Ducan. „Was weißt du denn noch so?“
Der Jungelf hebt unwissend die Arme. „Gar nichts.“ Sein Blick fliegt zu Zac, der immer noch höhnisch grinst.
Auch Bents Blick richtet sich nachdenklich auf Zac. Ich mustere ihn ebenfalls. Man sieht noch immer, die Spuren in seinem Gesicht, die die Alte hinterlassen haben muss. Aber war es die Alte? Oder war es vielleicht Ty?
Mein Blick geht zu ihr, doch sie steht noch immer mit gesenktem Blick an der Wand und zittert leicht.
Duan schiebt sich an der Gruppe vorbei und meint: „Kommt Jungs. Wir haben was zu feiern.“ Er ist schon an mir vorbei, als er anfügt: „Lassen wir die Menschenfreunde und ihre Hure in Ruhe. Sie ...“
Was auch immer er noch sagen wollte, es wird von einem Schrei unterbrochen. Seinem. Denn ich habe mein Schwert gezogen und ihm mit einem Schlag die Hand abgetrennt, die er fordernd nach seinen Leuten ausgestreckt hatte. Blut spritzt und Duan geht zu Boden.
7
„Du dreckiger Bastard! Dafür bezahlst du!“
Gerade will ich erneut ausholen, als Hände mich packen und wegziehen. Ich sehe noch, dass Ty sich an Bent drückt und er ihr Gesicht an seiner Brust birgt. Sein Blick ist erschrocken und offensichtlich verwirrt.
„Er war es!“, spucke ich aus und deute mit dem Schwert auf Duan, der sich am Boden krümmt. „Er hat das Tyree angetan! Ich werde ihn umbringen, den Hurensohn!“
„Was? En! Wieso ...“, stößt Bent aus, doch ich unterbreche ihn.
„Ich weiß es“, knurre ich nur, weil ich nicht will, dass sie wissen, dass Ty es mir ungewollt verraten hat. „Er hat sie geschlagen und vergewaltigt! Er hat mein Mädchen angefasst!“, brülle ich halb. Bis auf den letzten Satz, den knurre ich wieder nur.
„En! Bist total bescheuert?! So eine Scheiße!“, flucht Ducan und lässt mich los, um seinem Bruder zu helfen. „Was ist denn bei dir kaputt, verflucht?!“
„Du bist genauso ein heuchlerischer Scheißkerl! Du hast es gewusst! Vermutlich schon die ganze Zeit!“
„Ich ...“, beginnt Ducan, doch Zac unterbricht ihn.
„De braucht Hilfe! Scheiß auf die Idioten und ihre Hure! Wir müssen ihn zu einem Heiler bringen!“ Auch er lässt mich los, um Duan zu helfen, passt aber auf, dass ich mein Schwert nicht wieder erhebe.
„Geh deine Wunden lecken, du mieser Bastard! Und wenn ich dich wiedersehe, bringe ich dich um, verfluchter Wichser!“, spucke ihm entgegen. Zac und Ducan heben Duan und seine Hand hoch, dann verschwinden sie Richtung Heiler-Flügel.
„En“, haucht Bent fast nur. „Heilige Scheiße! Du hast ihm die Hand abgeschlagen!“
„Ich hätte ihn köpfen sollen!“, grolle ich und wende mich um. Ty liegt noch immer in Bents Armen und zittert haltlos. Meine Wut ist wie weggeblasen, als sie den Kopf hebt und sich zu mir dreht. Ihre Augen sind tränennass.
„Verzeih mir“, entschuldige ich mich für mein Verhalten und senke den Blick.
Einen Moment später steht sie bei mir und ich lege ihr die Arme um, als sie es bei mir tut. „Danke“, haucht sie und schluchzt gleichzeitig. Das ist mein Beweis, dass ich wirklich den Richtigen getroffen habe. Ich war mir zwar schon vorher sicher, doch sie hat es mir gerade noch mal bestätigt.
„Woher willst du wissen, dass er es war? En, wenn er es nicht war, dann ...“
Mein Blick bringt Bent zum Schweigen. „Er war es. Ty hat’s mir gezeigt.“ Mehr sage ich nicht. Es ihm zu erklären, würde nichts bringen. Es war eine winzige Reaktion meines Mädchens, die Duan verraten hat. Ein Zucken, wenn man so will, als er sie eine Hure genannt hat.
„Das wird riesen Ärger geben“, meint Bent und fährt sich mit der Hand übers Gesicht. „Ty muss verschwinden, bevor Ristan ausrastet.“
„Duan hat eine Strafe verdient und die hat er bekommen! Es war nur gerecht! Und noch viel zu milde, wenn du mich fragst!“
„Du hast ihm ohne Beweise, die Hand abgeschlagen!“
„Ty hat ...“
„Ty hat gar nichts! Niemand wird ihr glauben! Sie muss gehen! Sofort!“
„Wohin denn? Hast du schon eine Nachricht bekommen?“
„Nein. Aber das ist egal.“ Kurz überlegt er. „Bring sie zu den Zwergen. Ich komme nach. Rike!“, ruft er seinen Wolf, der augenblicklich bereitsteht. „Geh zu Cara“, weist er ihn an und der Wolf rennt los. Er scheint zu wissen, was sein Auftrag ist. Allerdings ist es sicher nicht einfach nur zu unserer Schwester zu laufen. „Nimm Wölfchen mit. Geht ohne Umwege zu Zeez. Ich bringe nach, was wir brauchen.“
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