Als es dunkel geworden war und im Lager allmählich Ruhe einkehrte, erschien Merlin. Er begann sogleich, in den Gewandtruhen des Königs nach allerlei Kleidungsstücken zu suchen. Dazwischen gab er verschiedene Befehle.
»Du wirst dieses schwarze Kleid mit den goldenen Borten anziehen, König Uther! Der Herzog kleidet sich gerne in Schwarz und Gold. Und für dich, Herr Ulfin, ist dieser einfache braune Rock gerade richtig, denn Bastian liebt die Einfachheit. Ich selbst werde mir diesen dunklen Mantel mit der Kapuze umlegen, denn einen solchen trägt der Schlosshauptmann, wenn er abends noch seinen Rundgang durch den Burghof macht und Nachschau hält, ob die Wachen nicht schlafen.
Und nun setze dich hierher, König Uther, und auch du, Ritter Ulfin. Ich muss mich ein wenig mit euren Gesichtern beschäftigen.«
Danach verstummte Merlin. Aber seine Hände arbeiteten emsig und es schien den beiden Männern, als schiebe und drücke und knete er allerlei an ihrem Gesicht zurecht. Es schien ihn nicht zu stören, dass im Zelt nur ein paar Kerzen flackerten, die ein ungewisses Licht verbreiteten. Seine Finger bewegten sich so flink und sicher, als wüssten sie genau, was sie zu tun hatten.
Der tapfere Ritter Ulfin fühlte, wie ihm der kalte Schweiß auf die Stirne trat. Wenn es noch lange dauert, dann springe ich auf und erwürge ihn!, dachte er.
Aber da war es vorbei.
Merlin trat zurück, ergriff eine der Kerzen und leuchtete in die beiden Gesichter. »Es ist gut!«, sagte er kurz. Sie wandten einander mit einem Ruck die Köpfe zu. »Ha – was ist das?«, schrie Ulfin und beugte sich vor. Er wollte seinen Augen nicht trauen. Denn das war nicht mehr König Uther, sondern Herzog Gorlois, der da vor ihm stand!
»Bei Gott – Herr Bastian!«, stieß dieser Herzog jetzt mit der Stimme des Königs hervor und starrte Ulfin seinerseits wie närrisch an.
»Es ist gut!«, sagte Merlin wieder. »Und jetzt müssen wir fort, sonst wird uns die Nacht zu kurz. Ich habe schon im Vorbeigehen deine Wächter draußen vor dem Zelt ein wenig eingeschläfert! Ihr haltet euch dicht hinter mir. Und dir, Herr Uther, will ich noch einen Rat geben: Bist du in Frau Igernes Kemenate, so rede nicht zu viel, damit du dich nicht verrätst. Sie wird dich für ihren Gemahl halten und dich freundlich empfangen! Sag ihr meinetwegen hundertmal, wie schön sie sei und wie sehr du sie liebst. Aber verrat dich nicht!«
Gleich darauf gingen sie draußen zwischen den Zelten auf das Gehölz zu, an dessen Rand das Lager aufgeschlagen war. Da und dort drehte sich ein Wächter nach ihnen um; aber es war ja nichts Besonderes, dass sich ein paar Kriegsleute in der Nacht draußen aufhielten, da sie tagsüber untätig im Lager herumlungerten.
Wenig später waren die drei Männer im Buschwerk verschwunden, das sich an dem Felsen von Tintagol hinzog.
Ein Gewirr von Klippen säumte die Küste und weiter draußen sah man das schwache Blinken der Wellen.
Merlin musste Augen haben wie ein Luchs. Irgendwo, mitten in den Klippen, hielt er an. Vor ihnen ragte steil der Burgfelsen auf. »Hier beginnt der Gang, den der Ahnherr des Herzogs Gorlois als Fluchtweg bauen ließ«, flüsterte Merlin. »Er ist sehr eng, steil und niedrig und führt geradewegs in den Turm, der dem Meer zu liegt.«
Er zwängte sich durch einen schmalen dunklen Spalt, den die beiden anderen nicht einmal gesehen hätten, und sie mussten ihm wohl oder übel folgen, obgleich sie sich immerfort irgendwo die Köpfe anstießen.
Es ging jetzt steil aufwärts und es war so stockdunkel wie in einem Sack.
Merlin war ihnen ein Stück voraus. Und jetzt kam von oben ein Geräusch, als öffne sich eine Tür. Kühle Luft zog in den Gang herab und dann konnten sie im Dunkel über sich das graue Viereck einer offenen Falltür entdecken.
Einen Augenblick später standen sie in einer kleinen runden Turmkammer, deren Fenster auf das Meer hinausgingen.
»Wir müssen uns beeilen«, sagte Merlin leise und öffnete behutsam die schmale Tür, die in einen gewölbten Gang hinausführte. »Wo der Gang sich nach rechts wendet, liegt die Kemenate der Herzogin. Wenn wir Glück haben, wird uns nur ihre Kammerfrau sehen.«
Sie hatten Glück. Als sie um die Ecke bogen, fiel Lichtschein aus einer Tür und eine Frau trat heraus. »Du kannst schlafen gehen!«, hörten sie die Herzogin sagen. »Ich brauche dich heute nicht mehr!«
Die alte Frau zog die Tür hinter sich zu und wollte gehen. Da sah sie die drei Männer. Sie riss die Augen weit auf vor Überraschung, öffnete hastig wieder die Tür und rief: »Frau Igerne, der Herzog ist gekommen!«
Ein leiser Ausruf kam aus dem Gemach, dann stand die Herzogin vor den Männern. Sie hatte ihren Gemahl seit dem Beginn der Fehde nicht mehr gesehen und schien ein wenig erstaunt. Die Männer verneigten sich. Sie hatten alle gewusst, wie schön sie war: Aber – nein, sie hatten nicht gewusst, dass sie so schön war!
Herrn Uther wollten die Tränen in die Augen steigen, als er sie ansah. Und als sie jetzt ohne Zögern auf ihn zutrat und ihn auf beide Wangen küsste – wie eben eine vornehme Dame nach höfischer Sitte ihren heimgekehrten Gemahl begrüßt –, da meinte er, er sei noch nie in seinem Leben so glücklich gewesen. Er hatte Merlin und Ulfin schon vergessen, als er Frau Igerne in die Kemenate folgte.
Die Kammerfrau meinte eifrig, sie wolle sogleich einen Knecht herbeirufen, um den beiden Herren zu Diensten zu sein. Aber Merlin verbot es ihr. »Wir werden uns hier in den Erker setzen und auf den Herzog warten!«, sagte er.
In Wirklichkeit aber wartete er auf etwas ganz anderes.
An diesem Morgen nämlich, als er auf seiner Wanderung an der Burg Terrabil vorüberkam, in der Herzog Gorlois eingeschlossen war, hatte ihn plötzlich eines jener seltsamen Traumgesichte überfallen, die ihn zuweilen heimsuchten. Der Herzog habe mit einer Schar seiner Getreuen einen Ausritt gemacht und sei dabei erschlagen worden.
Merlin wusste längst, dass diese Gesichte stets irgendeinmal in Erfüllung gingen. Aber wann es geschehen würde, das erfuhr er nie. So wartete er auch jetzt. Er wartete auf eine Botschaft aus der Burg Terrabil.
Er mochte nicht da im Erker sitzen, wo Ulfin saß und in mürrischem Schweigen vor sich hin starrte, ehe er einschlief.
Merlin ging ruhelos den Gang auf und ab, dazwischen trat er in die Turmkammer, stand am Fenster und blickte aufs Meer hinaus.
Bald würde die Morgendämmerung anbrechen. Dann mussten sie fort sein aus Tintagol. Bei Tage war die Gefahr einer Entdeckung viel zu groß.
Plötzlich horchte er auf. Irgendwo kamen Stimmen, ja, sie kamen aus dem Gang herauf; die Falltür war offen geblieben.
»Gottlob, wir sind da!«, sagte eine keuchende Stimme. »Fast hätten meine Kräfte nicht mehr gereicht!«
Im nächsten Augenblick kletterte ein Mann in einem zerfetzten Harnisch über den Rand der Öffnung herauf und gleich darauf ein zweiter, der eine Binde um die Stirn trug. Die Ringe seines Kettenhemdes waren rot von Blut.
Merlin kannte die Ritter nicht. Aber sie mussten Vertraute des Herzogs sein, sonst hätten sie nichts von dem geheimen Gang gewusst.
Die Männer sahen ihn sogleich und ihr Hände fuhren nach dem Schwertknauf. Aber sie sanken wieder hinab. Merlin hatte nur die Hand gehoben und sie sahen, dass er waffenlos war.
»Ich bin Jordanus, der Burgvogt von Tintagol!«, sagte er ruhig. Niemand hätte geahnt, dass dieser würdige Ritter log.
Er sah, wie die beiden aufatmeten. »Es ist ein Glück, dass wir dich hier finden, Herr Jordanus! Wir sind Lehnsmannen des Herzogs und waren mit ihm in Terrabil. Ich bitte dich, führe uns zur Herzogin! Wir bringen eine traurige Botschaft. Herzog Gorlois ist heute Nacht bei einem Ausritt erschlagen worden und die Feinde sind in die Burg eingedrungen!«
Merlin nickte nur. Da war es also!
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