Du fragst mich, ob Hengist siegen wird! Nein, König Vortiger, er wird sterben. Aber andere werden kommen und wieder kämpfen.« Er hielt inne und über seine hellen Augen glitt es wie ein dunkler Schleier. »Was dich selbst angeht, vermag ich nur eines zu sagen: Hüte dich vor Aurelius Ambrosius und Uther« – er stockte einen Augenblick und fuhr sich mit der Hand über die Augen, als müsse er etwas fortwischen. »Und hüte dich vor dem Feuer!«, sagte er dann leise und unsicher, als sei er nicht ganz bei Sinnen.
Vortiger achtete nicht darauf. Er hatte sich zum Erker hinausgebeugt und blickte an der Wand des Turmes hinab. Er sah die gewaltigen Holzbalken, die festen Grundmauern und das schwere, eiserne Tor.
»Er ist uneinnehmbar, mein Turm«, rief er und wandte sich zu Merlin zurück. »Kein Kriegsgerät wird ihn zu Fall bringen! Aber – was hast du? Du siehst aus wie der Tod!«
Merlin strich sich über die Stirn. Sein Gesicht war fahl.
»Nein, kein Kriegsgerät«, murmelte er, »aber das Feuer« – wollte er hinzufügen; aber er vermochte es nicht mehr.
Sein Geist war schon weit fort. Wieder hatte ihn diese schreckliche Hellsichtigkeit überkommen, die er so sehr fürchtete und gegen die er sich nicht wehren konnte.
Als er später von Vortiger Abschied nahm, stand Mitleid in seinen Augen. Nein, er würde den König nicht retten, wenn er ihn noch einmal vor dem Feuer warnte. Jeder Mensch musste sein Schicksal erleiden.
Er wusste, dass er Vortiger zum letzten Mal gesehen hatte. –
Zwei Tage später landeten an der Südküste Aurelius Ambrosius und Uther mit ihren Verbündeten und am Tage darauf erreichten Hengists Schiffe die Küste der Grafschaft Kent.
Der Krieg brach wieder über Britannien herein.
Er tobte den ganzen Sommer lang. Und dann lag die Ruhe des Todes über dem verwüsteten Land.
Viele waren auf beiden Seiten gefallen. Auch Hengist wurde erschlagen und nach heidnischer Sitte in einem Hügelgrab bestattet. Die Überlebenden seines Heeres segelten heimwärts.
Aurelius Ambrosius, der ältere der beiden Brüder, wurde zum König ausgerufen. Er mühte sich redlich, mithilfe der Edelherren wieder Ordnung im Lande herzustellen und den Frieden zu sichern. Aber es blieb ihm nicht viel Zeit dazu. Der Sachsenführer Eopa verschaffte sich, als Mönch verkleidet, Zutritt zum König und vergiftete ihn. –
Uther ritt zu dieser Zeit mit einem kleinen Gefolge durch die Landschaft Wales.
Er kam an einem verbrannten Turm vorüber, von dem nur noch die Grundmauern und ein paar verkohlte Balken übrig geblieben waren.
Auf einem Felsen in der Nähe saß ein Mann. Sein Haar war schwarz wie Rabengefieder und seine Augen so hell wie das Wasser einer Quelle.
Uther hielt sein Pferd vor ihm an. »Wer bist du?«, fragte er.
»Ich bin Merlin!«, sagte der junge Mann und blickte furchtlos zu ihm hinauf, obgleich er gänzlich waffenlos war.
Uther musterte ihn aufmerksam. »Ich habe von dir gehört«, sagte er kurz. »Du warst Vortigers Ratgeber. Sage mir, wie kommt es, dass Vortiger in diesem Kriege, an dem er schuld war, niemals im Kampf gesehen wurde?«
Merlin blickte hinüber zu den verkohlten Trümmern. »Vortiger ist in diesem Turm verbrannt; ich konnte ihn nicht mehr warnen.«
»Man erzählte mir, du hättest manches vorhergesagt, das sich später als wahr erwies?« Das war eine vorsichtige Frage, denn Uther war ein kluger Mann.
Merlin erhob sich. »König Uther«, sagte er ernst und verneigte sich nach höfischer Sitte, »ich muss auch dir –«
Aber Uther hob gebieterisch die Hand. »Woher weißt du, wer ich bin? Und warum nennst du mich König?«, fragte er in scharfem Ton.
»Versuche nie, von mir zu erfahren, woher ich etwas weiß, denn ich kann es dir nicht sagen«, antwortete Merlin müde. »Du aber weißt noch nicht, dass dein Bruder Aurelius Ambrosius tot ist. Und dass du morgen König von Britannien sein wirst.«
Erschrockene Ausrufe kamen aus den Reihen der Ritter, die ihre Pferde näher herangedrängt hatten.
Uther war so heftig aufgefahren, dass sein Hengst unruhig zu tänzeln begann.
Er beugte sich zu Merlin hinab. »Woher weißt du –« Aber im selben Augenblick schüttelte er den Kopf und wandte sich zu seinen Begleitern. Es kam ihm gar nicht in den Sinn, dass die Nachricht etwa nicht wahr sein könnte.
»Wir reiten sogleich zurück zur Hauptstadt!«, sagte er nur. Seine Stimme war rau vor Kummer.
Er lenkte seinen Hengst zurück auf den Weg, den sie gekommen waren.
Merlin trat zur Seite, um ihm Platz zu machen. Da hielt Uther sein Pferd noch einmal an. Dieser Fremde – irgendetwas war an ihm, das ihn merkwürdig anzog! Und plötzlich, ehe er es noch recht wusste, hörte er sich sagen: »Willst du mich nach London begleiten?«
Da lächelte Merlin, als habe er diese Frage erwartet. Aber er sagte: »Nein, König Uther! Ich muss in den Wald von Kaledon; dort lebt mein alter Lehrer Blaise als Einsiedler. Er soll alles aufschreiben, was in diesem Sommer in Britannien geschehen ist, damit die Menschen, die nach uns kommen, es erfahren. Aber eines Tages werden wir uns wiedersehen. Wenn du mich brauchst, kannst du mich rufen. Ich werde es hören.«
Im nächsten Augenblick hatte er sich abgewandt und verschwand hinter den Trümmern des verbrannten Turmes.
Uther und seine Ritter aber jagten zurück auf die Straße nach London.
Man bestattete Aurelius Ambrosius mit allen königlichen Ehren und Uther trauerte redlich um ihn, denn die Brüder waren einander zeitlebens herzlich zugetan. »Ich will ihm ein Grabmal errichten, über das noch die Menschen späterer Zeiten staunen werden«, schwor er.
Die Herzöge, Grafen und Barone riefen Uther zum König aus, obgleich einige unter ihnen waren, die gerne selbst den Thron Britanniens bestiegen hätten.
Die Edelherren begannen, ihre zerstörten Burgen wieder aufzubauen, die zertrümmerten Stadtmauern wurden neu befestigt und die Bauern zogen wieder den Pflug über die zerstampften Felder.
Ein harter Winter kam über das Land und ging zu Ende. Und als das Hohe Osterfest herannahte, ließ König Uther seine Boten von Burg zu Burg reiten und die Ritterschaft zu einer prunkvollen Krönungsfeier in die Hauptstadt laden. »Nicht nur die edlen Herren, sondern auch ihre Damen mögen kommen, damit ihre Schönheit uns beim Fest erfreue«, ließ er sagen.
Niemand zögerte, dieser Einladung zu folgen. So herrschte am Vorabend der Krönung in den Höfen, Gängen und Sälen der riesigen Burg ein fröhliches Gedränge und eine Pracht, wie man sie noch nie gesehen hatte. Die Herbergen der Stadt waren überfüllt mit vornehmen Gästen und viele, die spät kamen, mussten mit Zelten außerhalb der Mauern vorlieb nehmen.
Das festliche Treiben dauerte bis spät in den Abend hinein, und als es auf Mitternacht zuging, waren noch immer viele in den Straßen, auf den Wällen und vor den Stadtmauern unterwegs.
Der Himmel war voll Sterne, aber der Mond war schon untergegangen.
Da schien es plötzlich, als schimmerte am samtschwarzen Nachthimmel eine jähe Helligkeit auf wie von einer riesigen Fackel.
Das fröhliche Lachen und die unzähligen Stimmen verstummten mit einem Mal.
Und dann erscholl ein tausendstimmiger Schrei: Hinter dem Horizont stieg ein grelles Licht herauf, ein riesiger Stern, vor dem alle anderen ihren Schein verloren. Er begann, mit großer Schnelligkeit über den Himmel zu ziehen. Aber er hatte eine seltsame Gestalt. Er sah aus wie der Kopf eines Drachen, aus dessen Rachen zwei feurige Strahlen kamen; auch der Schweif und der gezackte Rücken schienen einem Drachen zu gehören und sieben Strahlen leuchteten nach verschiedenen Richtungen.
So durchraste das glühende Ungeheuer die Kuppel des Himmels und verschwand westwärts hinter den Bergen. Es war wieder Nacht, eine viel dunklere Nacht als zuvor – so schien es den erschrockenen Menschen, die erst allmählich die Sprache wiederfanden.
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