Auguste Lechner
Neu überarbeitet sowie mit einem
neuen Prolog und einem Glossar versehen von
Friedrich Stephan
Von Auguste Lechner sind ebenfalls als E-Books erhältlich:
Ilias
Die Abenteuer des Odysseus
Die Nibelungen
Parzival
König Artus
Auguste Lechner (1905–2000) erschließt mit ihren Werken die antike und die mittelalterliche Sagenwelt der Jugend. Insgesamt erschienen von ihr 24 Bücher mit einer Gesamtauflage von weit über einer Million Exemplare. Sie wurde mit dem österreichischen Staatspreis für Literatur sowie dem Europäischen Jugendbuchpreis ausgezeichnet.
E-Book-Ausgabe 2020
© 1977 Verlagsanstalt Tyrolia, Innsbruck
Umschlaggestaltung: Tyrolia-Verlag, Innsbruck
Satz: Arena-Verlag, Würzburg
ISBN 978-3-7022-3906-0 (E-Book)
E-Mail: buchverlag@tyrolia.at
Internet: www.tyrolia-verlag.at
Dieses Buch ist gedruckt als Arena-Taschenbuch erhältlich (Band 50201).
Die Welt des Herkules
Der Sohn von Zeus und Alkmene
Herakles entscheidet sich
Herakles befreit Theben
Der Kampf der Götter und Giganten
Herakles muss dienen
Der Kampf mit dem Nemeischen Löwen
Die Hydra von Lerna
Die Hirschkuh der Artemis
Der Erymanthische Eber
Die Säuberung der Augiasställe
Die Stymphalischen Vögel
Der Stier Poseidons
Die Rosse des Diomedes
Herakles bei den Amazonen
Die Rinder des Geryones
Die Äpfel der Hesperiden
Herakles in der Unterwelt
Wort- und Sacherklärungen
PROLOG Die Welt des Herkules
Dieses Buch erzählt von den Abenteuern des wohl berühmtesten Helden der griechischen Sage. Wir kennen ihn vor allem mit seinem lateinischen Namen, den wir benutzen, wenn wir jemanden als »wahren Herkules« oder eine fast unlösbare Herausforderung als »Herkulesaufgabe« bezeichnen. Darum trägt dieser Band auch den Titel »Herkules«. Da Herkules aber ein griechischer Held war, wollen wir in der Erzählung selbst von Herakles sprechen, denn so nannten ihn die Griechen. Herakles lebte in der Zeit der großen Heroen (Helden) wie Theseus, Perseus oder Iason, die die Welt lebenswert machten, indem sie vorzeitlichen Ungeheuern, gefährlichen wilden Tieren und unmenschlichen Räubern den Garaus machten. In anderen Worten, sie lebten in einer Ära, in der die Welt der Götter und Menschen noch nicht so fest gefügt war wie zu der zivilisierten Zeit, als man die Götter- und Heldensagen aufschrieb und in die Form brachte, in der sie seitdem mit einem angenehmen Gefühl des Schauders erzählt werden.
Für die Entstehung der Welt der Götter und Menschen hatte man unterschiedliche Erklärungen. Am weitesten verbreitet war die Annahme, am Anfang habe ein ungeordneter Urstoff ohne Gestalt, das Chaos, gestanden. Aus diesem ging die erste Generation von Göttern hervor. Sie bestand aus Uranos, dem Himmel , und Gäa, der Erde . Ihre Kinder waren die Titanen. Zu diesen gehörte Kronos, das ist die Zeit . Er stürzte seinen Vater Uranos, der ihm im Sterben weissagte, dass er selbst später von seinem eigenen Sohne enthront werden würde, und vermählte sich mit seiner Schwester Rhea. Wegen der Prophezeiung des Vaters aber verschlang Kronos seine eigenen Kinder, zuerst die drei Töchter Hestia (später die Göttin des Herdfeuers), Demeter (später die Göttin des Ackerbaus) und Hera, dann die Söhne Hades und Poseidon. Ihren dritten Sohn, Zeus, aber versteckte Rhea vor dem Vater und gab diesem dafür einen in Windeln gewickelten Stein. Diesen verschlang Kronos, im Glauben, es handele sich um sein Kind. Als Zeus herangewachsen war, gelang es ihm, unerkannt dem Vater einen Trank mit einem Brechmittel zu verabreichen. Kronos nahm einen tiefen Zug und erbrach zuerst den Stein, dann die Brüder und Schwestern des Zeus. Die drei Brüder nahmen nun den Kampf mit Kronos und den anderen Titanen auf. Diese wurden besiegt und bis auf den starken Atlas in den finsteren Tartaros verbannt. Letzterer musste fortan das Himmelsgewölbe auf seinen Schultern tragen.
Zeus, Poseidon, der Gott des Meeres, und Hades, der Gott der Unterwelt, beherrschten von nun an die Welt. Die höchste Stellung nahm Zeus ein. Er tat der Welt mit Donner und Blitz seinen Willen kund und wachte über Haus und Hof. Seine Schwester und Gemahlin Hera schützte die Ehe, hatte aber in ihrer eigenen Ehe oft Grund zur Eifersucht, denn Zeus betrog sie mit zahlreichen anderen Frauen, schönen Töchtern der Sterblichen wie auch unsterblichen Nymphen. Zeus und Hera und ihre Nachkommen, aber auch einige Kinder, die von Zeus in den außerehelichen Verbindungen gezeugt wurden, hatten ihren Wohnsitz auf dem hohen griechischen Berg Olymp.
Doch nicht alle griechischen Götter bewohnten den Olymp. Andere wurden als Naturgottheiten in Bäumen, Quellen oder anderen heiligen Orten verehrt. Sie stammten wie die Nymphen oder die Erinnyen , die Rachegöttinnen, vielfach noch aus der Zeit, bevor Zeus die Herrschaft übernahm. Ob die Griechen, die sich die Sagen um Herakles erzählten, an all diese Götter glaubten, ist eher zweifelhaft. Auch wir gehen ja nicht wirklich davon aus, dass die Welt der Märchen mit ihren Hexen, Zauberern und Zwergen real ist.
Überwiegend ganz real ist aber die geografische Welt, in der Herakles seine Aufgaben zu erfüllen hat. Sie erstreckt sich im gesamten Mittelmeerraum, vom Schwarzen Meer im Osten bis zur spanischen Atlantikküste, von Nordafrika und Kleinasien bis zu den Alpen. Die meisten Abenteuer spielen sich aber natürlich in Griechenland ab, vor allem auf der Halbinsel Peloponnes, die auf der Landkarte einer Hand ähnlich sieht, der nur der kleine Finger fehlt, aber auch in Mittel- und Nordgriechenland sowie auf der Insel Kreta.
Der Sohn von Zeus und Alkmene
Hera, die stolze Göttin, Zeus Kronions Gemahlin und Herrin des Olymps, war sehr übler Laune. Und das war kaum verwunderlich, denn sie hatte an diesem Tage eine Botschaft erhalten, die ihr gründlich missfiel.
Nicht dass die Nachricht sie sehr überrascht hätte. Sie kannte ihren erhabenen Gemahl sehr gut und es war nicht das erste Mal, dass ihr Ähnliches zugetragen wurde.
Zeus hatte nun einmal, neben den vielen guten Eigenschaften, die man den unsterblichen Göttern zuschrieb, eine recht menschliche, die Hera schon viel Kummer bereitet hatte. Es geschah nämlich nicht selten, dass der Vater der Götter und Menschen, wenn er sich unerkannt in irgendeiner Gestalt auf die Erde begab, einer schönen Frau begegnete. Und dann erging es dem mächtigen Zeus nicht besser als manchem schwachen Sterblichen: Er vermochte ihrer Schönheit nicht zu widerstehen. Hera kannte sie alle, diese irdischen Frauen, deren Dasein ihr, der obersten Göttin, ein schmerzlicher Dorn im Auge war. Und an diesem bösen Tag fiel ihr in ihrem Zorn mit ganz besonderer Deutlichkeit allerlei wieder ein, was sie gerne vergessen hätte.
Da war das Mädchen Io, die zierliche schnellfüßige Tochter des Pelasgerkönigs Inachos, die auf den Weiden von Lerna die Herden ihres Vaters hütete. Hatte Hera etwa nicht mit eigenen Augen gesehen, wie ihr treuloser Gemahl das erschrockene Mädchen mit den eifrigsten Schmeicheleien zu umgarnen versuchte und wie er, als sie vor ihm floh, einen dichten Nebel über die Gegend fallen ließ, in dem sie nicht mehr aus noch ein wusste und ihm geradewegs in die Arme lief? Freilich hatte sie, Hera, den Nebel sogleich wieder aufgelöst und es war Zeus, als er sich entdeckt sah, in seinem Schrecken nichts Besseres eingefallen, als Io schleunigst in eine Kuh zu verwandeln, um damit seine zürnende Gemahlin – vielleicht – zu täuschen. Hera lächelte grimmig, als sie daran dachte, wie viel Mühe es ihn gekostet hatte, dem Mädchen seine wahre Gestalt wiederzugeben!
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