Der König, der, von Höflingen und Damen umgeben, auf dem äußeren Wall stand, rief nach Fackeln. »Weiß Gott«, sagte er aufatmend, »das war eine seltsame Himmelserscheinung! Was mag sie bedeuten?«
»Willst du, dass ich die Sterndeuter rufe?«, erbot sich Ulfin, sein Vertrauter, selbst noch ein wenig verstört.
Aber in diesem Augenblick fuhr der König herum. »Ich grüße dich, König Uther!«, sagte eine Stimme, die er sogleich wiedererkannte.
»Merlin!«, rief er verblüfft. »Ob du es nun glaubst oder nicht – ich habe gerade an dich gedacht!«
»Ich weiß es«, antwortete Merlin und verneigte sich. »Du brauchst deine Traumdeuter nicht zu befragen, denn ich werde dir sagen, was die Erscheinung bedeutet.«
»Ja?«, fragte Uther begierig und die Umstehenden reckten die Hälse. Manche von ihnen kannten Merlin und die merkwürdigen Geschichten, die man über ihn erzählte.
»Nicht heute, aber morgen nach deiner Krönung sollst du es erfahren«, sagte Merlin und es kam dem König nicht einmal der Gedanke, ihm zu widersprechen, obgleich er es sehr gern sogleich gewusst hätte.
»Und jetzt erlaube mir zu gehen, Herr«, fuhr Merlin fort. »Ich werde morgen nicht im Dom sein, wenn du gekrönt wirst.« Er lachte plötzlich, es war ein leises, spöttisches Lachen. Ganz nahe zum Ohr des Königs geneigt, fügte er, unhörbar für die anderen, hinzu: »Mir scheint, der Sohn des Teufels sollte keine Messe hören. Gehab dich wohl, König Uther Pendragon!«
Uther horchte auf. »Was hast du da gesagt?«, wollte er fragen. Aber Merlin war schon flink wie eine Katze im Gedränge verschwunden.
Der König wunderte sich über den seltsamen Namen, den er ihm gegeben hatte. Uther Pendragon – das bedeutete »Drachenhaupt«. Er dachte an den feurigen Drachen am Himmel – was hatte er mit ihm zu tun? Nun, morgen würde er es wissen! Damit musste er sich zufriedengeben.
Ich freue mich, dass Merlin wieder da ist, dachte er, und das schien ihm merkwürdig, denn was ging ihn dieser geheimnisvolle Fremdling an? –
Am Morgen des Osterfestes wurde Herr Uther im Dom feierlich gekrönt, der Bischof und viele Priester sangen eine Messe und der Dom vermochte die Menge der Gäste nicht zu fassen.
Nur Merlin war nicht da.
Auch beim Festmahl in den großen Sälen der Burg war er an keiner der vielen Tafeln zu sehen.
Der König sah sich ein paarmal nach ihm um. Dann vergaß er ihn.
Denn an seiner Tafel, ihm gerade gegenüber, saß Frau Igerne, die Gemahlin des Herzogs Gorlois von Cornwall, und sie war die schönste Frau, die er je gesehen hatte.
Und er wusste im selben Augenblick, dass er sie liebte und nie eine andere als sie lieben würde.
Das war ein Unglück, auch das wusste er.
Aber er vermochte kein Auge von ihr zu wenden, wie sie da saß in ihrem weißen Brokatgewand, das mit goldenen Fäden durchwebt war, und mit den funkelnden Steinen im Krönlein.
Und als Herr Uther schon viel von dem dunklen Wein getrunken hatte, den die römischen Händler ins Land brachten, da ergriff er die Schale, die vor ihm stand. Sie war aus purem Gold, mit Diamanten und Rubinen übersät und so kostbar, dass man eine Grafschaft dafür hätte kaufen können. Er winkte dem Ritter Ulfin und befahl ihm, Frau Igerne den Pokal zu bringen und ihr zu sagen, der König wünsche, ihn ihr zum Geschenk zu machen, weil er sie liebe.
Ulfins Gesicht zeigte deutliche Bedenken, denn es war gegen alle höfische Sitte, der Frau eines anderen Edelmannes so kostbare Geschenke zu machen! Und schon gar, ihr zu sagen, dass er sie liebe!
Doch er war ein erfahrener Hofmann und traute sich zu, diesen heiklen Auftrag so geschickt auszuführen, dass er keine üblen Folgen haben würde. So nahm er den Pokal und machte sich auf den Weg.
Aber er irrte sich. Er kam gar nicht dazu, seinen Auftrag auszuführen.
Herzog Gorlois war ebenfalls keineswegs unerfahren, und da er auch nicht blind war, hatte er mit wachsendem Zorn gesehen, dass der König Frau Igerne nicht aus den Augen ließ.
Und als der Ritter Ulfin jetzt mit dem kostbaren Pokal in der Hand an der Tafel entlangkam, stand der Herzog schnell auf. Er sprach ein paar Worte zu seiner Frau, bot ihr die Hand und führte sie aus dem Saal ohne Gruß und Abschied.
Die Gäste an der Königstafel saßen starr vor Schrecken da. Denn dies war eine Beleidigung, die der König nicht ungerächt lassen konnte, auch wenn er einen Fehler begangen hatte!
Herr Uther hatte sich in seinem Thronsitz vorgebeugt; sein Gesicht war feuerrot und ungläubiges Staunen stand darin. Das konnte doch Herzog Gorlois, der sein Lehnsmann war, nicht wagen!
Im nächsten Augenblick sprang er auf, befahl einigen seiner Ratgeber, ihm zu folgen, und verließ mit wütenden Schritten den Saal. Er riss die Tür zum Ratssaal auf und warf sich mit finsterer Miene in seinen Sessel. »Nun? Was meint ihr?«
Die erschrockenen Herren versuchten zu vermitteln. »Herzog Gorlois ist dein getreuer Vasall. Es ist wahr, er hat dich beleidigt. Aber du solltest ihn nicht sogleich bestrafen, sondern ihm erlauben, wieder vor dir zu erscheinen und deine Verzeihung zu erbitten.«
Sie mussten lange reden, ehe der König endlich einwilligte. Einer der Herren wurde zu den Gemächern geschickt, die der Herzog mit seiner Gemahlin bewohnte.
Doch er fand leere Räume. Und die Diener sagten ihm, der Herzog sei mit Frau Igerne und seinem Gefolge fortgeritten, heim nach Cornwall.
Der König tobte nicht, als er es erfuhr, er befahl auch nicht, man solle Herzog Gorlois augenblicklich verfolgen. »Lasst mich allein!«, sagte er nur und die Räte gehorchten eilig.
Dann saß er in dem großen Saal, vor den Fenstern stand die mondlose Nacht und die Leuchten an den Wänden verbreiteten nur einen trüben Schein.
Uther achtete nicht darauf, als sich die Tür wieder geöffnet hatte. Er sah Merlin erst, als er vor ihm stand.
»Ich habe dir versprochen, dir noch heute die Himmelserscheinung zu deuten, König Uther Pendragon!«
Uther fuhr auf. »Du bist es? Ich habe dich nicht gerufen! Doch, weiß Gott, ich habe sehr gewünscht, du wärest hier!«, stieß er hervor. »Aber sage mir, was soll der Name? Warum nennst du mich ›Drachenhaupt‹?«
»Weil der Drache dein Zeichen ist und weil dich in Zukunft alle so nennen werden!«, antwortete Merlin ruhig. »Die Erscheinung des Drachen am Vorabend deiner Krönung bedeutet, dass du, solange du lebst, König des Reiches sein wirst, über das er hinweggezogen ist. Die zwei Feuerzungen, die aus seinem Rachen kamen, bedeuten, dass zwei aus eurem Geschlecht gegen viele Feinde kämpfen und sie besiegen werden, du und dein Sohn. Und die sieben Strahlen, die vom Schweif des Drachen ausgingen und nach allen Himmelsrichtungen wiesen, zeigen an, welche Länder einst unter eurer Herrschaft zu Britannien gehören werden!«
Uther hatte atemlos zugehört – so herrlich schien ihm Merlins Weissagung über eine ruhmvolle Zukunft.
Aber noch war sein Zorn über Herzog Gorlois zu groß und sein Wunsch, die schöne Frau Igerne wiederzusehen, zu übermächtig. Er würde keine Ruhe finden, ehe er nicht getan hatte, was er tun musste.
So begann die Fehde zwischen König Uther und dem Herzog von Cornwall.
Natürlich wusste der Herzog, dass es Kampf geben würde. Also ließ er in Eile seine Burgen befestigen und mit Vorräten versehen.
Er brachte seine Gemahlin nach Tintagol; denn er fürchtete, der König wolle sie entführen. Tintagol aber war eine feste Burg an der Küste, an drei Seiten vom Meer umschlossen und vom Lande her nur auf einem schmalen Felsenpfad zu erreichen.
Er selbst begab sich mit einer Schar von Rittern und Knechten in die Burg Terrabil, die nicht weit entfernt war.
Dann wartete er.
Er brauchte nicht lange zu warten.
Zwölf Tage später erschien Herr Uther an der Spitze eines Heeres vor Tintagol.
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