Joachim Theisen - König Artus
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König Artus
Seine Beschwerden und der Orden der goldenen Feder
Die Berichte der Schreiber
Mediales Antiquus
Sapiens ad Portam Celestem
und Theodor von Toledo
wiedergefunden
von
Joachim Theisen
1
Fragmentarischer und dennoch literaturtheoretisch bedeutender Prolog, in welchem auch zunächst Merlin und dann die ersten Gäste erscheinen.
........
die Freude ist nicht am geringsten
zu Beginn des Sommers, nämlich an Pfingsten,
wenn der Geist, der heilige, kommt vom Himmel,
dann satteln Könige ihre Schimmel
oder aber ihre Rappen,
denn dann geht es Happen pappen
im Land von Uterpandragon,
bei Artus, das ist dem sein Sohn.
Auf diesem großen Artusfeste
gibt’s von allem nur das Beste:
Hasen, Rehe, wilde Schweine,
Enten auch, für jeden eine;
was eben noch im Wald gelaufen
hat dann aufgehört zu schnaufen
und hängt überm Feuer in den Küchen,
umgeben von herrlichen Wohlgerüchen:
große Hirsche, kleine Wachteln -
Hei, da heißt es fröhlich spachteln!
Doch da gibt’s auch schöne Frauen,
sind gar reizend anzuschauen,
und natürlich edle Damen,
die aus allen Ländern kamen,
die wollen auch gesehen sein:
hübsch und blond und schlank und fein.
Starke Männer auch nicht minder -
ein Hoch auf Artus, den Erfinder
dieser Pfingstenlustbarkeit!
Ein Vorbild an Großzügigkeit!
Das alles geschieht aus seiner Huld,
wer nicht kommt, ist selber schuld.
Die Einladung erging auch dieses Jahr
- natürlich mit Gattin, das ist klar,
soweit eine Gattin vorhanden,
oder mit weiblichen Verwandten,
am liebsten Töchter, unbemannt:
am Hofe werden, wie bekannt,
besonders gerne Ehen geschlossen. -
Da kommt plötzlich angeschossen
mit wallendem Mantel, mit rauschendem Bart,
er ist mal wieder mächtig in Fahrt,
Merlin aus dem Zauberkeller.
Was ist das? Er rennt immer schneller
- Merlin ist Zauberer und Prophet,
ein altes Männchen - und jetzt geht
er hin zu Artus seinem Thron,
nein, Moment, da ist er schon!
Er ergreift erbost das Wort,
er schimpft und flucht in einem fort.
„Nun mal langsam“, der König spricht,
„sprichst du so schnell, versteh ich dich nicht.
Trink erst ‘nen Schluck, das tut dir gut.
Also, was ist? Warum diese Wut?“
Merlin verschnauft. Dann legt er los:
„Hörst du das nicht? Nennst du das grandios?
Ich bitte dich, mir dein Ohr zu schenken:
Dies Auf und Ab, dies Heben und Senken,
dies immer gleiche Hoch und Runter,
das ginge auch ein bisschen bunter.
Das sage ich nicht zum ersten Mal,
doch diesmal werd’ ich radikal:
Verbiete den Schreibern endlich das Dichten
und lass sie einfach und nüchtern berichten,
was hier passiert, was du so tust,
z.B. wen du einzuladen geruhst
zu deinem nächsten Artusball!
Hör zu, ich erläutere dir den Fall:
Ich hab’ ja nichts gegen Poesie,
aber manche Könige kommen nie
zu dir, obwohl sie’s gern täten,
wenn wir sie nur darum bäten.
Und warum ist das so? wirst du fragen.
Das will ich dir in Folgendem sagen:
Weil sie sich auf andre nicht reimen!
Du musst damit rechnen, in diesen keimen
schon lange Gedanken an Rache auf,
denn das nimmt niemand gern in Kauf,
dass man sie um das Artusfest prellt,
nur weil deinen Schreibern kein Reim einfällt.
Und außerdem“, fährt Merlin fort,
doch der König selbst ergreift das Wort:
„Du willst mir also damit sagen,
dass manche Könige Unbehagen
empfinden, weil sie schon seit Jahren
nicht auf meinen Festen waren?“
„Seit Jahren?“ ruft Merlin. „Dass ich nicht lache!
Das ist doch grade die brenzlige Sache!
Sie sind doch gar nicht existent,
wenn alle Welt zu Artus rennt,
erst recht nicht, wenn in den Romanen
du und die andern den Ruhm absahnen.
Das lässt man sich nicht gerne bieten,
sie sind ja auch nicht alle Nieten.
Auch sie wollen mal ihren Namen
in Büchern lesen, in arthurischem Rahmen.
Doch können sie’s nicht! Und wieso?
Weil deine Schreiber nirgendwo
auf ihren Namen ‘nen passenden Reim
finden. Und dann? Sie bleiben daheim
und werden niemals literarisch
und schon gar nicht exemplarisch.
Und das heißt“, die Stimme bebt,
„sie haben niemals richtig gelebt.
Und außerdem“, setzt Merlin an,
doch jetzt ist der König wieder dran:
„Du meinst also, die Leute sind sauer?
Das ist nicht gut, denn auf die Dauer
fällt das ja auf mich zurück.
Das ist schlecht. Doch zum Glück
hab ich dich. Was rätst du mir?
Merlin sprich: ich lausche dir.“
„Hast du diesen Reim vernommen?
‚Mir’ auf ‚dir’ und jetzt kommt ‚kommen’.
Klar, was soll man auf ‚vernommen’
andres reimen? Dabei kommen
einem entweder die Tränen
oder man fängt an zu gähnen.
Das ist wirklich nicht erträglich,
ja, ich finde es unsäglich
schlimm und schlecht und mies und ka-
tastrophal!“ schreit Merlin da.
„Das kannst du niemandem mehr bieten,
deine Schreiber, das sind Nieten!“
(So sagte es Merlin freilich nicht.
Er ging zwar mit uns ins Gericht,
doch wir sind hier vom Reim gezwungen,
bei ihm hat es etwas anders geklungen.
Wir gäben uns Mühe, warn seine Worte,
wir wärn noch die besten unserer Sorte,
wir ließen so lange keine Ruh,
bis ein Reim gefunden. Klammer zu.)
(Klammer auf. „Auch wenn er nicht passt“,
sagte er noch und einschränkend: „Fast
stimmt es ja immer oder meist.“
Das fanden wir ein bisschen dreist.
Wenn’s mal nicht stimmt, dann höchstens semantisch,
doch wer wäre da denn so pedantisch?
Bisher ging uns kein Vers daneben,
und wenn wir sie mühsam zusammenkleben
und zusammenfügen, zur Not mit dem Hammer.
Jetzt wieder Merlin! Zu die Klammer.)
„Und außerdem, nein, lass mich sprechen!
Diesmal lass ich mich nicht unterbrechen:
Und außerdem: mir wär’ es leid
um die viele verlorene kostbare Zeit,
die deine Schreiber mit Reimen verbringen,
die sie brauchen, um alles zu zwingen
- ob getan oder gesagt,
ob gedacht oder gefragt -
in die üblichen vier Takte.
Außerdem: das so Verpackte
klingt doch schlichtweg abgehackt;
heut’ ist so was abgewrackt.“
(Das hat Merlin ganz exakt
Wort für Wort so gesagt.
Und er sagte es voller Hohn -
auch nicht grad’ der gute Ton.)
„Heut’ ist das nicht mehr modern!“
„Dann sage mir, wie hättst du’s gern?“
spricht der König in Gedanken.
Er denkt: ‚Ich hasse dieses Zanken
mit Merlin, meinem Zauberer.’
(Stimmt doch, oder?) ‚Ungefähr,
so zirka hab’ ich das gedacht.’
Laut: „Wir wird’s denn heut’ gemacht?
Sprich, wie werd’ ich aktueller?“
Merlin: „Prosa! Geht viel schneller!
Das ist die ganze Zauberei:
Weg mit dieser Reimerei!
Damit sparst du Satz für Satz
außerdem noch ziemlich Platz
auf dem teuren Pergament,
weil Prosa keine Verse kennt.
Also: Keine Reime mehr!
Keine Takte! Prosa her!“
ruft Merlin laut, enthusiastisch.
Und der König? „Na, fantastisch!
Damit wären alle Probleme
wohl gelöst, und ich nehme
an, die drei da drüben,
die sich noch im Versen üben
werden einverstanden sein.“
Was kümmert Artus unser „Nein!“?
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