Er hielt einen Augenblick inne und etwas wie ein Lächeln huschte über sein Gesicht. »Wenn du es aber genau wissen willst, König Vortiger, so lass, sobald das Wasser abgeflossen ist, deine weisen Männer in die Gänge kriechen und nachschauen.«
In diesem Augenblick beschlossen die zwölf Weisen, jeder insgeheim, noch in dieser Nacht der Königsburg und der schönen Landschaft von Wales für immer den Rücken zu kehren. Denn nach einem Drachenkampf gelüstete es sie nicht im Geringsten.
Vortiger war von heftigen Zweifeln geplagt. Sollte er Merlin trauen? Aber es blieb ihm wohl nichts anderes übrig, da er seinen Ratgebern kaum noch trauen konnte!
Merlin hatte sich auf einen Felsen gesetzt und kümmerte sich um niemanden mehr.
Zögernd ging der König zu ihm hinüber. »Woher weißt du dies alles?«, fragte er noch einmal fast furchtsam.
»Du fragst zu viel, König«, antwortete Merlin abweisend.
»Aber die Drachen –«, drängte Vortiger, dem dies alles keine Ruhe ließ –, »sie haben doch vor Jahrtausenden gelebt?«
Merlin hob langsam den Kopf und blickte zu ihm hinauf.
»Vielleicht habe ich früher gelebt als sie!«, murmelte er, als sei er mit seinen Gedanken weit fort.
Das schien dem König eine rätselhafte Rede.
Und plötzlich war es Vortiger, als erscheine hinter den glatten, jungen Zügen ein uraltes Gesicht – uralt und merkwürdig traurig. Nur einen Augenblick war es da: Dann verschwand es und der König wusste nicht, ob es Wirklichkeit oder Täuschung gewesen war. –
Am nächsten Morgen gab Vortiger den Befehl, zwei Gänge in den Berg Erith zu graben.
Tag und Nacht mussten die Männer arbeiten, bei Sonnenlicht und Fackelschein.
Nach außen ein wenig schräg abwärts führend, fraßen sich die Gänge in den Berg hinein.
Und dann, am zwölften Tag, fast zur gleichen Zeit, brachen mit ungeheurem Getöse die Wassermassen des unterirdischen Sees auf beiden Seiten hervor, schwemmten ein paar Männer, die noch drinnen gearbeitet hatten, kopfüber, kopfunter ans Tageslicht und suchten sich ihren Weg den Hang hinab zur Küste.
Vortiger hatte den Berg seit zwei Tagen und zwei Nächten kaum mehr verlassen. Eine fast unerträgliche Spannung erfüllte ihn und er hätte gerne Merlin bei sich gehabt: Aber der war verschwunden, wie von der Erde verschlungen.
Da ließ er die Königlichen Ratgeber rufen. Doch sie waren nicht aufzufinden und niemand sah sie jemals wieder.
Aber als das Wasser aus dem Berge aufhörte zu fließen und der König mit den Baumeistern zur Grube kam, um mit ihnen zu beraten, was jetzt geschehen sollte, stand plötzlich Merlin neben ihm.
Er hatte ihn vorher nirgends gesehen.
»Du kannst nun mit dem Turmbau beginnen!«, sagte er nur und wandte sich wieder zum Gehen. »Nur eines noch«, fügte er hinzu, »versuche, einige mutige Männer zu finden, die die beiden Drachen aus ihren Höhlen holen, da deine Ratgeber es vorgezogen haben, das Weite zu suchen. Ich selbst werde nicht mehr da sein, um die Tiere anzusehen. Aber ich weiß, wie sie ausgesehen haben, als sie noch die Erde bevölkerten. Wie sie aber da unten in der Tiefe überleben konnten, das mag Gott wissen!«
Vortiger versuchte, ihn zurückzuhalten. »Bleib bei mir! Ich werde dich reich belohnen!«, sagte er hastig.
Aber Merlin schüttelte den Kopf. »Ich komme und gehe, wann ich will!«, sagte er nur. Dann war er fort und der König fühlte sich merkwürdig verlassen. –
Man begann sogleich mit dem Bau des Turmes. Ein Dutzend Männer, die mutig genug waren, hatten die Drachen mit starken Seilen aus den Höhlen geschleift und das Volk von Wales pilgerte von weit her, um die toten Ungeheuer zu bestaunen.
Später errichtete man einen großen Scheiterhaufen und verbrannte sie.
Unterdessen wurden aus den Steinbrüchen zahllose Karren von Steinen und Erde herangefahren und in die Grube geschüttet, um einen festen Untergrund zu schaffen. –
Auf dem Wachtturm an der Ostküste aber saß Tag für Tag ein Wächter und hielt Ausschau nach den Schiffen, die Hengist und sein Heer übers Meer bringen sollten.
In Britannien war es zu dieser Zeit ruhig. Niemand fiel in Wales ein oder versuchte, Vortiger zu ermorden, und seine Angst schwand allmählich.
Und eines Tages im Sommer stand auch der Turm fertig da; Vorräte waren in den Kammern aufgehäuft, damit man einer längeren Belagerung standhalten könne. Nur einige treue Knechte durften den Turm betreten und das eiserne Tor mit den schweren Riegeln hätte niemand aufzubrechen vermocht. Ja, es war gewiss eine sichere Zuflucht!
Vortiger stand oben im höchsten Erker und blickte zufrieden über das Land. Nun kann ich ruhig auf Hengist warten, dachte er. Die Sachsen werden mit den stolzen Edelherren in Britannien schnell fertig sein und ich werde wieder König.
Während er das dachte, sah er plötzlich unten am Fuß des Turmes Merlin stehen, der zu ihm heraufblickte.
Wie merkwürdig, dass ich ihn nicht kommen gesehen habe, dachte Vortiger verwundert.
Eilig befahl er einem Knecht, ihn einzulassen.
»Ich habe dich lange nicht gesehen!«, sagte er, als Merlin vor ihm stand.
»Es war nicht nötig!«, antwortete Merlin kurz. Er schien sehr ernst. »Jetzt aber ist es Zeit. Du wartest auf Hengist. Seine Schiffe segeln schon auf die Küste von Kent zu und er wird in wenigen Tagen in Britannien landen!«
»Oh, das ist gut!«, rief Vortiger voll Freude. »Schon allzu lange warte ich auf diese Nachricht!«
»Nein, es ist nicht gut!«, entgegnete Merlin zornig. »Denn jetzt wird der Krieg abermals über Britannien hinwegrasen.« Er zögerte einen Augenblick. »König Vortiger, hast du Uther und Aurelius Ambrosius vergessen?«, fragte er langsam.
Vortiger zuckte zusammen. Oh nein, er hatte die beiden Brüder des ermordeten Königs, die vor ihm nach Kleinbritannien geflohen waren, keineswegs vergessen. Er mochte nur nicht gerne an sie denken, weil er sicher war, dass sie eines Tages den Mord an ihrem Vater und ihrem Bruder rächen würden.
»Ich habe sie nicht vergessen.« Seine Stimme klang jetzt unsicher. Eine Ahnung von Unheil überkam ihn. »Was ist mit ihnen?«
»Sie sind mit vielen Schiffen und einem großen Heer von ihren Häfen in Kleinbritannien und in der Normandie ausgefahren«, sagte Merlin. »Sie haben drüben in Gallien viele Bundesgenossen gegen dich und die Sachsen gefunden. Auch sie werden in wenigen Tagen an unserer Küste landen«, schloss er in düsterem Ton.
Vortiger saß zusammengesunken auf der Bank im Erker und schwieg. Was hätte er auch sagen sollen? Er hatte ja immer gewusst, dass sie kommen würden!
Er überlegte schnell. Sie würden sich mit den Edelherren Britanniens vereinigen und die Sachsen aus dem Lande jagen, wenn Hengists Heer nicht stärker war. Aber – war es stärker? Er musste es wissen!
»Merlin«, sagte er hastig, »ich habe längst gemerkt, dass du mehr weißt über Vergangenes und Zukünftiges als andere Menschen. Ich frage nicht danach, ob dein Wissen dir von guten oder von bösen Geistern kommt. Aber es ist schon manches geschehen, was du gewusst hast, obgleich du es eigentlich gar nicht wissen konntest. Ich bitte dich, sage mir, ob Hengist meine Feinde besiegen wird – und ob ich am Leben bleibe!«
Voll atemloser Spannung starrte er in Merlins Gesicht; und plötzlich schien ihm, wie schon einmal, als sei dieses junge Gesicht mit einem Mal uralt geworden und von einer tödlichen Traurigkeit überschattet.
Und als Merlin dann sprach, war auch seine Stimme voll Trauer.
»Ich weiß nur, was mir zu wissen erlaubt ist«, sagte er müde. »Und glaube mir, ich wollte, dies wäre mir erspart geblieben: Denn es liegt auf mir wie ein Fluch, seit ich denken kann. Wenn andere glauben, dies oder jenes wird geschehen, so weiß ich schon genau, dass es nicht so sein wird. Wenn sie erzählen, was früher einmal geschah, dann muss ich lachen, weil ich weiß, dass es ganz anders war. Und dann ist mir, als habe ich schon vor langer, langer Zeit gelebt.
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