1 ...8 9 10 12 13 14 ...45 Bsp.:Der Ehemann E mischt heimlich Gift in den Tee seiner todkranken Frau, um ihr weitere Leiden zu ersparen. – Obwohl E die Arg- und Wehrlosigkeit seiner Ehefrau ausnutzt, liegt keine heimtückische Tötung vor, da E nicht in feindseliger Willensrichtung handelt. Entsprechendes kann gelten, wenn der Täter im Rahmen eines Suizidversuchs Familienangehörige tötet, um diese nicht mit ihrem Schicksal allein zurückzulassen 99.
(b)Darüber hinaus gibt es freilich weitere Fälle, in denen die lebenslange Freiheitsstrafe nicht unbedenklich erscheint. Der Klassiker ist insoweit der sog. Haustyrannen Fall. Die Lösung ist im Einzelnen sehr umstritten.
Bsp: 100Der gewalttätige und trunksüchtige Ehemann E misshandelt und quält seine Frau F über Jahre hinweg. Diese ist völlig verzweifelt und hegt auch Gedanken an eine Selbsttötung. Eines Tages tötet sie E im Schlaf, um der hoffnungslosen Lage zu entkommen.
Da der Schlafende seine Arglosigkeit mit in den Schlaf nimmt 101, liegt eine heimtückische Tötung seitens der F vor. Eine Rechtfertigung nach § 32 scheidet aus, da zum Zeitpunkt der Tötung kein gegenwärtiger Angriff des E vorlag (Stichwort: keine Präventivnotwehr); auch eine analoge Anwendung des § 32 StGB („notwehrähnliche Lage“) ist abzulehnen 102. Man muss sehen, dass die sehr weitgehenden Eingriffsbefugnisse der Notwehr nur in akut zugespitzten Situationen gerechtfertigt sind und ansonsten das Merkmal der Gegenwärtigkeit in § 32 StGB entwertet würde 103. Ebenso ist eine analoge Anwendung des § 228 BGB, bei dem eine drohende Gefahr genügt, zu verneinen 104, weil sich die auf Tier- und Sachgefahren zugeschnittene Spezialregelung nicht ohne Wertungswidersprüche auf Angriffe durch Menschen übertragen lässt 105. § 34 erfasst zwar auch eine Dauergefahr, rechtfertigt jedoch nicht die Tötung eines anderen Menschen. F kann aber ggf. – was von den Umständen des Einzelfalls abhängt – gem. § 35 entschuldigt sein, falls keine milderen Mittel zur Gefahrenabwehr existierten. Stehen aber andere Mittel (etwa Einschalten staatlicher Behörden) zur Verfügung, ist die Tat auch schuldhaft begangen. Die Strafzumessungsregel des § 213 greift nicht ein, da diese nur bei § 212, nicht aber bei § 211 zur Anwendung gelangt. Da hier jedoch ein Fall gegeben ist, der „nahe“ an einer Rechtfertigung bzw. Entschuldigung liegt und daher der Unrecht- und Schuldgehalt der Tat deutlich vermindert ist, wäre die Verhängung der lebenslangen Freiheitsstrafe nicht mehr verhältnismäßig.
Klausurtipp
In den sog. Haustyrannenfällen sind also zunächst immer sorgfältig Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründe zu prüfen, bevor Korrekturen beim Mordtatbestand diskutiert werden.
51Teilweise wird speziell für die Heimtücke eine Tatbestandslösungdergestalt vertreten, dass das Mordmerkmal überhaupt nur verwirklicht sein soll, wenn ein verwerflicher Vertrauensbruchvorliegt 106. Dem ist jedoch zu widersprechen, weil der Begriff des Vertrauens zu konturenlos ist und ansonsten besonders hinterhältige Angriffe – etwa Erschießen von hinten usw. – mangels einer Vertrauensbeziehung zwischen Täter und Opfer nicht erfasst werden könnten 107.
52Andere Stimmen im Schrifttum gehen hingegen davon aus, dass zwar das Merkmal der Heimtücke verwirklicht sein könne, im Einzelfall jedoch geprüft werden müsse, ob die Tat insgesamt als besonders verwerflich zu bewerten sei. Nach einer Ansicht soll dabei dem Gericht die Möglichkeit offen stehen, trotz Verwirklichung eines Mordmerkmals ausnahmsweise die besondere Verwerflichkeit der Tat im Wege einer Gesamtwürdigung von Tat und Täter und damit den Tatbestand des § 211 zu verneinen ( Lehre von der negativen Typenkorrektur) 108. Nach anderer Auffassung soll stets eine Gesamtwürdigung von Tat und Täter erforderlich sein, die positiv zur Feststellung einer besonderen Verwerflichkeit der Tötung und damit zur Anwendung des Mordtatbestandes führt ( Lehre von der positiven Typenkorrektur) 109. Gegen derartige Lösungsansätze lässt sich jedoch anführen, dass sie im Hinblick auf Art. 103 Abs. 2 GG zu unbestimmt sind und daher kaum noch vorhersehbar ist, in welchen Fällen der Tatbestand des § 211 verwirklicht ist 110. Auch ist es dogmatisch wenig überzeugend, eine Gesamtwürdigung nach Strafzumessungsgrundsätzen bereits auf Tatbestandsseite vorzunehmen.
53Der BGH vertritt hingegen die Ansicht, dass auch bei Vorliegen von außergewöhnlichen Umständen, die den Unrechts- und Schuldgehalt der Tat vermindern, die Tat grundsätzlich einen Mord darstelle. Zur Wahrung der verfassungsrechtlichen Vorgaben soll aber im Wege einer Rechtsfolgenlösung, die freilich nur für die Heimtücke gilt 111, im Einzelfall (contra legem) eine übergesetzliche Strafmilderung entsprechend § 49 Abs. 1 Nr. 1 in Betracht kommen 112. Es muss sich demnach um eine Tat handeln, die durch „eine notstandsnahe, ausweglos erscheinende Situation“ motiviert ist, die „in großer Verzweiflung“ begangen wurde oder ihren Grund „in einem vom Opfer verursachten Konflikt“ hat 113. Es reicht dafür nicht jeder Entlastungsfaktor, der im Rahmen des § 213 Berücksichtigung finden würde, zur Annahme der Unverhältnismäßigkeit der lebenslangen Freiheitsstrafe aus. Vor allem darf aber auch nicht zu großzügig auf die Rechtsfolgenlösung ausgewichen werden 114. Die Rechtsfolgenlösung muss sich allerdings Wertungswidersprüche entgegenhalten lassen 115. Denn über die analoge Anwendung des § 49 Abs. 1 Nr. 1, die zu einem Strafrahmen von drei bis zu fünfzehn Jahren Freiheitsstrafe anstelle der lebenslangen Freiheitsstrafe führt, wird sogar die für § 212 vorgesehene Mindeststrafe von fünf Jahren Freiheitsstrafe unterschritten und damit der Täter gegenüber einem Totschlag bessergestellt. Vermeiden lassen sich diese Ungereimtheiten nur, wenn man verlangt, dass das Gericht sich bei der Bemessung der Freiheitsstrafe hinsichtlich der Strafrahmenuntergrenze von der Wertung des § 212 leiten lässt und das dort genannte Mindestmaß nicht unterschreitet.
Hinweis
Auf den eben dargestellten Meinungsstreit ist überhaupt nur dann einzugehen, wenn der Sachverhalt Anlass dafür bietet, dass die lebenslange Freiheitsstrafe unverhältnismäßig wäre. Soweit bereits eine gesetzliche Milderungsmöglichkeit – wie etwa beim Versuch nach § 23 Abs. 2 – besteht, bedarf es der übergesetzlichen Rechtsfolgenlösung zur Verhinderung übermäßiger Härten nicht.
54 bb) Grausam.Für das Mordmerkmal grausam genügt eine äußerlich brutale Vorgehensweise des Täters für sich genommen noch nicht.
Definition
Das Mordmerkmal grausamist verwirklicht, wenn der Täter seinem Opfer in gefühlloser, unbarmherziger Gesinnung Schmerzen oder Qualen körperlicher oder seelischer Art zufügt, die nach Stärke oder Dauer über das für die Tötung erforderliche Maß hinausgehen 116.
55Das Merkmal grausam ist daher bei einer Tötung mit einer Waffeoder einem gefährlichen Werkzeugnicht ohne weiteres erfüllt.
Bsp.:T tötet O mit einem Messerstich. Obwohl O bereits tot ist, sticht T noch eine Weile auf O ein. – Das Merkmal grausam ist hier nicht verwirklicht, weil O bereits nach dem ersten Messerstich tot war.
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