Klausurtipp
In Klausuren wird das Merkmal grausam oft vorschnell und ohne hinreichende Subsumtion bejaht, da die Tötung eines Menschen an sich als „grausam“ angesehen wird. Dabei wird übersehen, dass der Normalfall der Tötung jedoch von § 212 erfasst wird und die lebenslange Freiheitsstrafe des § 211 demgegenüber einen erhöhten Unrechts- und Schuldgehalt der Tat verlangt.
56Das grausame Verhalten muss dabei vor Abschluss der den tödlichen Erfolg herbeiführenden Handlung auftreten und vom Tötungsvorsatz umfasst sein 117. Einbezogen werden damit nur Handlungen, die vom unmittelbaren Ansetzen bis zum Erfolgseintrittreichen.
Bsp.:T fügt O mit Tötungsvorsatz über einen Zeitraum von zwei Stunden zahlreiche Messerschnitte zu, bis O – wie von T gewollt – schließlich qualvoll verblutet.
Gegenbsp.:T fügt O auf grausame Weise Körperverletzungen zu. Dann erschießt er den schwer verletzten O. – Es liegt hier lediglich ein Totschlag, jedoch kein Mord vor. Lediglich die Körperverletzungen wurden grausam begangen, nicht jedoch die Tötung.
57 cc) Gemeingefährliches Mittel.Das Mordmerkmal findet seinen Grund in der besonderen Rücksichtslosigkeit des Täters, der sein Ziel durch die Schaffung unberechenbarer Gefahren für andere durchzusetzen sucht 118.
Definition
Ein gemeingefährliches Mittelliegt vor, wenn das Tatwerkzeug in der konkreten Tatsituation geeignet ist, eine Mehrzahl von Menschen (als Repräsentanten der Allgemeinheit) an Leib oder Leben zu gefährden, weil der Täter seine Wirkungsweise und damit die Ausdehnung der Gefahr nicht beherrschen kann 119.
58 Nicht erforderlichist, dass tatsächlich eine konkrete Lebensgefahr für eine Mehrzahl von Menscheneintritt 120. Auch ein Mittel – z. B. ein KFZ –, das bei abstrakter Betrachtung grundsätzlich nicht gemeingefährlich ist, kann in der konkreten Tatsituation gemeingefährlich eingesetzt werden 121.
Bspe.:T möchte O töten und zündet eine Bombe in einer Menschenmenge; – T setzt ein Haus in Brand, in dem eine große Anzahl von Menschen wohnt.
59Ist das Mittel nicht geeignet, eine Mehrzahl von Personen zu gefährden, so liegt kein gemeingefährliches Mittel vor 122. Dies gilt auch dann, wenn zwar eine Mehrzahl von Personen in den Gefahrenbereich geraten kann, tatsächlich aber – wie bei einem Schuss aus einer Pistole – die Wirkungen begrenztsind. Das Tötungsmittel wird also nicht allein dadurch zum gemeingefährlichen Mittel, dass der Täter die Waffe nicht ausreichend beherrscht, sein Ziel verfehlt und nur eine andere als die anvisierte Person trifft. Ein gemeingefährliches Mittel ist nach h. M. ferner nicht gegeben, wenn der Täter nur eine bereits vorhandene gemeingefährliche Situationzur Tat ausnutzt, so dass bloßes Unterlassen grundsätzlich nicht erfasst wird 123.
60 c) Persönliche Mordmerkmale der 3. Gruppe.Die Ermöglichungs- und Verdeckungsabsicht sind wie die Merkmale der 1. Gruppe subjektive Tatbestandsmerkmale (nach a. A. spezielle Schuldmerkmale). Sie kennzeichnen den besonders verwerflichen Zweck der Tötung und beruhen auf dem Gedanken, dass Unrecht durch den Täter mit weiterem Unrecht verknüpft wird 124. Die Absicht ist im Sinne eines zielgerichteten Wollens hinsichtlich der Ermöglichung bzw. der Verdeckung einer anderen Straftat zu verstehen 125. Die Ermöglichungs- oder Verdeckungsabsicht kann dabei neben andere Motive des Täters treten (sog. Motivbündel), muss aber auch hier Haupttriebfeder sein.
61aa) Ermöglichungsabsicht.Strafschärfend wirkt zunächst ein Handeln in der Absicht, eine andere Straftat zu ermöglichen.
Definition
Ermöglichungsabsichtliegt dann vor, wenn die Tötung als Mittel zur Begehung oder Erleichterung von Straftaten eingesetzt wird.
62Prinzipiell ist auch bei dolus eventualis hinsichtlich des Todesdie Ermöglichungsabsicht nicht ausgeschlossen 126, jedoch muss hierbei der Tod das Mittel zur Ermöglichung der weiteren Tat sein 127. Nicht erforderlich ist, dass sich die weitere Straftat nach Vorstellung des Täters nur durch die zum Tode führende Handlung oder gar den Todeserfolg und nicht auch auf andere Weise erreichen lässt. Vielmehr genügt es, dass deren Begehung durch die Tötungshandlung erleichtert werden soll.
Bsp.: 128T überfällt O und betäubt ihn mit Chloroform, um ihn auszurauben. Nach ca. 30 Minuten erholt sich O. T entschließt sich nunmehr, auf andere Weise dafür zu sorgen, dass er die Suche nach Wertgegenständen ungestört fortsetzen kann. Er würgt sein Opfer massiv am Hals und erkennt dabei und billigt es auch, dass sein Handeln zum Tode führen kann. O stirbt kurz darauf. – T macht sich nach §§ 211, 212 strafbar, da seine Absicht darauf gerichtet war, einen Raub zu ermöglichen. Es ist weder erforderlich, dass das Würgen, das zum Tod führte, für die Begehung des Raubes ein notwendiges Mittel war, noch dass der Raub nur durch den Tod des Opfers begangen werden konnte. Auch der Umstand, dass T hinsichtlich des Todes nur mit dolus eventualis handelte, ist unschädlich.
63 bb) Verdeckungsabsicht. In solchen Fällen ist häufig eine Konfliktlage gegeben, weil der Täter sich selbst (bzw. einen Dritten) hinsichtlich der vorangegangenen Tat einer Bestrafung entziehen möchte. Bei solchen Begünstigungen handelt es sich aber um Motivationen, die das Strafgesetzbuch in §§ 257, 258 sogar als strafausschließend wertet. Der entscheidende Unterschied liegt allerdings darin, dass der Täter bei §§ 257, 258 lediglich die Wiederherstellung des rechtmäßigen Zustandes bzw. die Bestrafung durch staatliche Organe hindert, ohne dabei jedoch weitergehenden Schaden anzurichten. Hingegen wird in den Fällen der Verdeckungsabsicht das Unrecht der Vortat mit neuem, zusätzlichem Unrecht verknüpft 129.
Definition
Mit Verdeckungsabsicht(„um eine andere Straftat zu verdecken“) handelt der Täter, wenn er die eigene Bestrafung oder die Bestrafung eines Dritten vereiteln will.
64 (1)Die Absicht des Täters muss sich zunächst auf eine Straftat(nicht nur auf eine Ordnungswidrigkeit) beziehen. Verdeckungsabsicht ist zu bejahen, wenn die Handlung dazu dient, eine vorangegangene Straftat oder auch Spuren zu verdecken, die bei einer näheren Untersuchung Aufschluss über bedeutsame Tatumstände geben könnten 130. Klassischer Fall der Verdeckungsabsicht ist damit die Tötung eines Polizisten, Verfolgers oder Zeugen, der dem Täter auf der Spur ist. Auch das Liegenlassen eines Unfallopfers, um durch dessen Tod die im Zusammenhang mit dem Unfall stehende Straftat – wie etwa eine Trunkenheitsfahrt nach § 316 – zu verdecken, kann das Mordmerkmal begründen.
65 (2)Auch wenn aus Tätersicht nur die Tat, nicht jedoch seine Tatbeteiligungbekannt ist, ist Verdeckungsabsicht noch möglich 131. Entsprechendes gilt, wenn die genaue Kenntnis über den strafrechtlich bedeutsamen Sachverhalt allein bei Täter und Opfer liegt, so dass die Tatumstände deshalb noch nicht in einem die Strafverfolgung sicherstellenden Umfang aufgedeckt sind 132. Keine Verdeckungsabsichtist allerdings gegeben, wenn der Täter davon ausgeht, dass bereits Tat und Täter aufgedeckt sind und er durch die Tötung nur noch seine Überführung erschweren oder die Festnahme verhindern möchte. Letzterenfalls kann jedoch ein niedriger Beweggrund in Betracht kommen 133.
Читать дальше