»Das …« Das kommt daher, dass ich keine Freunde habe und schon gar keine wie dich und sie sich fragt, was du von mir willst , wollte er sagen. Tat er aber nicht. Er fürchtete sich vor dem, was Charles davon halten würde.
»Wo gehen wir hin?«, fragte er stattdessen.
»Zu einem Freund. Ins Mephistos .«
»Wohin?«
»Den Laden, in dem ich meine Klamotten kaufe«, sagte Charles leichthin. »Ich krieg da Rabatt.«
»Oh. Oh, gut.« Rabatt, das würde seiner Mutter gefallen, wenn er … Würde er wirklich mit einer neuen Garderobe heimkommen? Was würden seine Eltern dazu sagen? Aber daran wollte er gerade nicht denken. Außerdem war er erwachsen. Und … Nun, Charles würde sich bestimmt bald mit ihm langweilen, also musste er die Zeit nutzen.
»Kann ich dich was fragen?«
»Klar, was denn?« Felsgraue Augen betrachteten ihn. Schritte hallten dumpf über den Asphalt.
»Heißt du wirklich Charles?«, platzte Korbinian heraus. »Oder ist das ein Spitzname?«
»Ne, so heiße ich wirklich.« Ein Schatten flog über Charles' Gesicht. Oder bildete er sich das ein? »Meine Mutter kommt aus England.«
»Oh. Ach so.«
»Was hast du denn gedacht?«
»Äh …« Korbinian kratzte sich mit der linken Hand an der Nase. »Dass du in Wahrheit Karl heißt oder so.«
Charles lachte, voll und dröhnend. Passanten sahen sich nach ihm um. So lustig war das doch gar nicht gewesen, oder? Aber Korbinian mochte dieses Lachen. Er mochte es auch, Seite an Seite mit Charles durch die grauen Straßen zwischen den noch graueren Hochhäusern zu schlendern. Der Großteil des Schnees war schon weggeschmolzen und es sah ziemlich trostlos aus.
»Ne, zum Glück ist das mein richtiger Name.« Charles schüttelte den Kopf.
»Ja, das ist wohl besser als Karl«, murmelte Korbinian in seinen Kragen. Hm. »Kann ich dich noch was fragen?«
»Okay, wenn ich danach dich was fragen kann.« Charles schenkte ihm ein Lächeln, das ihm den Atem verschlug. Er … Nein, das konnte kein Date sein. Bestimmt nicht. Aber er traute sich auch nicht, danach zu fragen. Stattdessen sagte er:
»Warum bist du so nett zu mir? Ich … also … Warum willst du, dass ich morgen mitkomme?«
Charles schaute ihn an. Etwas flackerte in seinem Blick, aber Korbinian war heute furchtbar darin, Leute zu lesen. Eigentlich war er das immer.
»Das klingt bestimmt komisch«, sagte Charles schließlich. Er wirkte ernster. »Aber ich habe dich mit deiner Cherry gesehen und … ich versteh dich. Sie hat dich gerettet, oder?«
Korbinian starrte ihn an. Schluckte hart.
»Ja.« Ja, so könnte man das ausdrücken. »Ja. Ich …«
Er wusste nicht, was er sagen sollte. Wie viel er von seinem traurigen Leben verraten sollte, dessen absoluter Höhepunkt es jeden Tag war, sich in seinem Zimmer einzuschließen und stundenlang zu spielen? Meistens mit Kopfhörern, weil der Sound seinen Vater in den Wahnsinn trieb.
»Was immer du denkst, ich kenn das«, sagte Charles.
»Meinst du?«, sagte Korbinian und dachte: Nein, tust du nicht. Du weißt nicht, wie sich das anfühlt, wenn man ein totaler Versager ist. Wenn alle ständig enttäuscht von dir sind.
Sie redeten über unverfängliche Dinge, während sie weiterliefen. Irgendwie fiel es ihm leicht, mit Charles zu reden. Vielleicht, weil er sonst niemanden kannte, der sich so für Musik interessierte wie er. Vielleicht, weil Charles' Lächeln ihm Sätze entlockte, von denen er selbst nicht gewusst hatte, dass sie in ihm steckten.
Charles erzählte von dem Konzert gestern, mit Worten, von denen Korbinian nicht jedes kannte, die aber toll klangen. Er mochte die Begeisterung in Charles' Blick. Seinen tigerhaften Gang und die Tatsache, dass sich bestimmt niemand trauen würde, Korbinian ein Weichei zu nennen, während er mit einem Kerl in einer Lederjacke und schweren Stiefeln unterwegs war.
Mephistos lag in einem riesigen Kellergewölbe. Nur wenig Licht drang hinein und die Beleuchtung war … ungewöhnlich. Ungewöhnlich rot. Man konnte kaum erkennen, welche Farben die Kampfstiefel, Lederjacken und unzähligen Bandshirts in den Regalen hatten. Na ja, vermutlich waren die schwarz.
Die Mädchen, an denen sie vorbeiliefen, hatten so bunte Haare, dass sie ihn an Einhörner erinnerten. Harte Musik dröhnte aus den Lautsprechern, so ähnliche wie eben in Bellas Laden.
»Ist das auch deine Ex-Band?«, fragte Korbinian Charles.
Der schüttelte grinsend den Kopf und Korbinian wusste, dass er etwas Blödes gesagt hatte. Aber da war keine Bosheit in Charles' Lächeln. Nur sanfter Spott und Unglaube.
Er leitete Korbinian an Kleiderständern und leuchtenden Totenköpfen vorbei, als wäre er sein Führer durch den Dschungel. Bis zur Kasse.
Die Ladentheke war so schwarz wie alles hier. Der Kassierer ruhte seine Füße darauf aus und hing in seinem Stuhl, als würde er in Kürze einschlafen.
»Nathan!«, rief Charles und der Typ setzte sich auf.
»Du Sack!« Der Kassierer grinste, irgendwie … fragwürdig. »Hättest du mir gestern kein Bier eingeflößt, hätte ich einen perfekten Tag gehabt. Mein Schädel platzt gleich.«
»Von wegen eingeflößt. Das hast du ganz allein verbrochen.« Charles lachte.
Der Typ erhob sich langsam. Schlangenartig. Er kam Korbinian etwas … böse vor. Klar, Charles war ein Riesenkerl mit Kampfstiefeln, aber der da sah aus wie die personifizierte Sünde. Wunderschön mit seinen dunklen Locken und dem schlanken Körper in der engen Lederhose, aber eben … böse. Kirschrotes Licht erhellte sein Engelsgesicht. Irgendwie schüchterte er Korbinian ein. Na gut, sehr viele Dinge schüchterten ihn ein. Er beschloss, mutig zu sein.
»Hallo«, sagte er und nickte dem finsteren Engel zu. Der schaute überrascht. Er betrachtete Korbinian eingehend, sah dann zu Charles und zurück zu ihm. Oh nein. Mochte er ihn nicht? Fragte er sich, warum Charles so einen Versager anschleppte?
»Hi. Ich bin Nathan.« Ein frisches Grinsen ging über das Gesicht des Verkäufers. »Wie sieht's aus, hast du Lust …«
»Hat er nicht«, sagte Charles. Hart. Nathan hob eine Augenbraue.
»Lass mich doch meine Frage stellen«, beschwerte er sich.
»Egal, was sie ist, die Antwort lautet: Nein.« Was hatte Charles?
»Pff.« Der Dämon schaute verärgert. »Da dachte ich, du bringst mir ein Versöhnungsgeschenk, weil du mich gestern so abgefüllt hast … Na gut. Was wollt ihr?«
»Kor braucht was zum Anziehen, meint er. Er kommt morgen mit zu Orkus Orbus .«
Nun wanderten beide Augenbrauen nach oben. Nathan legte den Kopf schief.
»Kor? Wie in Kirchenchor? Oder in … Hardcore?«
Charles schnaubte leise.
»Wie in Korbinian, du Trottel.«
»Ach so.« Nathan reckte sich. »Na, dann schaut euch mal um.«
»Wie sieht's mit meinem Rabatt aus?«
»Zehn Prozent Freundschaftspreis und zehn Prozent, weil du der Chefin nicht verraten hast, dass ich John im Lager flachgelegt habe.«
»Und zehn, weil ich nicht sage, was du mit Nancy auf der Theke getrieben hast.«
»Die zehn Prozent geb ich gerne.« Ein genüssliches Lächeln kräuselte Nathans Lippen. »Das hat sich gelohnt.«
»Kor.« Charles drehte sich zu ihm um und Korbinian zuckte zusammen. Dieses Gespräch überstieg eindeutig seine Fähigkeiten. »Wie du siehst, nimmt Nathan alles mit, was er kriegen kann. Halt dich von ihm fern.«
»O-kay«, stotterte er. Er warf Nathan einen schnellen Blick zu und sah dessen belustigtes Gesicht.
Charles zog seine Jacke aus und warf sie hinter die Theke. Dann befahl er Korbinian, ihm zu folgen und schritt voran durch den schwarzroten Dschungel.
»Der Freund, von dem Bella geredet hat«, begann Korbinian und beeilte sich, hinterherzukommen. »Das war Nathan, oder? Der, wegen dem sich die Band aufgelöst hat.«
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