8Auch, wenn eine Situation vorliegt, die es nach § 8 Abs. 3eigentlich erlauben würde, derzeit vorläufig von der Eröffnung eines Disziplinarverfahrens abzusehen, muss auf den Selbstreinigungsantrag des Beamten hin ein Disziplinarverfahren eröffnet werden. Der Antrag darf eben nur dann abgelehnt werden, wenn keine tatsächlichen Anhaltspunkte bestehen, die den Verdacht auf ein Dienstvergehen rechtfertigen.
9Nach Satz 3ist die (positive wie negative) Entscheidung dem Beamten schriftlich und mit Begründung (vgl. § 39 Abs. 1 LVwVfG) 13bekannt zu geben. (Eine Zustellung ist hier nicht vorgeschrieben, vgl. zur Abgrenzung § 38 Abs. 2 Satz 1, der die förmliche Zustellung von Disziplinarverfügungen verlangt). Das gilt insbesondere für den Fall, dass der Selbstreinigungsantrag auf Eröffnung eines Disziplinarverfahrens (mangels konkreter tatsächlicher Anhaltspunkte für ein Dienstvergehen) abgelehnt wird. Denn die Schriftlichkeit dieser Ablehnung (inkl. korrekter Begründung) gewährleistet die „Entlastungsfunktion“ 14zugunsten des Beamten, die der Gesetzgeber mit der Norm intendiert. Der Beamte hat es nun „schwarz auf weiß“, dass keine konkreten Anhaltspunkte für ein Dienstvergehen vorliegen.
10 Satz 4verweist auf die entsprechende Anwendung von § 8 Abs. 4 und 5. Diese Normen behandeln Zuständigkeitskonflikte (insbesondere für den Fall, dass der Beamte Haupt- und Nebenämter innehat, § 8 Abs. 4) bzw. Zuständigkeitsklärungen (für den Fall, dass der Beamte beurlaubt, abgeordnet oder zugewiesen ist, § 8 Abs. 5). Diese Regelungen sollen auch dann gelten, wenn das Disziplinarverfahren nicht von Amts wegen sondern auf einen Selbstreinigungsantrag des Beamten hin eröffnet werden soll.
6.Rechtsschutz des Beamten
11Gegen die Ablehnung seines Antrags auf Disziplinarverfahrenseröffnung mit der Begründung, es lägen keine tatsächlichen Anhaltspunkte für ein Dienstvergehen vor, wird sich der Beamte nicht zur Wehr setzen – denn sein (wahres) Ziel der Reinwaschung hat er damit ja erreicht. Anders, wenn sein Antrag als unzulässig verworfenwird (etwa, weil die Behörde das Rechtsschutzbedürfnis verneint). Hier hat der Beamte die Möglichkeit, sich (nicht mittels Widerspruchs, denn dieser ist nach § 15 Abs. 2 AGVwGO hier richtigerweise unstatthaft, aber) durch Klage zu wehren. Statthafte Klageart dürfte die Verpflichtungsklage mit dem Ziel der Verbescheidung in der Sache sein (eine Verpflichtungsklage mit dem Ziel, dass das Gericht zu einer Nichteröffnung verurteilt, kommt richtigerweise nicht in Betracht, weil das Gericht damit wohl unzulässig in die allein der Behörde zustehende Disziplinarkompetenz eingreifen würde). Entscheidet die Behörde nicht zeitnahüber den Antrag nach Abs. 1, kommt eine Untätigkeitsklage nach § 75 VwGO in Betracht.
§ 10Ausdehnung, Beschränkung, Wiedereinbeziehung
(1) Das Verfahren kann auf weitere Handlungen ausgedehnt werden, die den Verdacht eines Dienstvergehens rechtfertigen.
(2) Aus dem Verfahren können Handlungen ausgeschieden werden, die für die Bemessung der Disziplinarmaßnahme voraussichtlich nicht ins Gewicht fallen. Ausgeschiedene Handlungen können wieder einbezogen werden, wenn die Voraussetzungen für die Beschränkung entfallen sind.
(3) Ausdehnung, Beschränkung und Wiedereinbeziehung sind aktenkundig zu machen.
(4) Die Maßnahmen sind längstens bis zum Erlass der Abschlussverfügung zulässig. Nicht wieder einbezogene Handlungen können nicht Gegenstand eines anderen Disziplinarverfahrens sein.
§ 19 BDG
§§ 58 Abs. 2, 27 Abs. 2 LDO
1Die Vorschrift regelt die Ausweitungund Begrenzungdes Disziplinarverfahrens, d. h. die Einbeziehung bzw. Ausscheidung einzelner weiterer Handlungen, die dem Beamten zur Last gelegt werden. Dies dient der Konzentrationdes Verfahrens auf die wesentlichen Vorwürfe bzw. der Beschleunigungdurch Ausscheiden unwesentlicher Vorwürfe. Einmal ausgeschiedene Handlungen können ggf. später wieder einbezogen werden. Das geht aber nur bis zum Erlass der Abschlussverfügung: Danach können die ausgeschiedenen Handlungen nicht mehr zum Gegenstand eines (neuen) Disziplinarverfahrens gemacht werden – insoweit enthält die Vorschrift ein absolutes Verfolgungsverbot.
2.Abs. 1: Ausdehnung des Verfahrens
2Nach Abs. 1kann das Disziplinarverfahren nach seiner Eröffnung auf weitere Handlungen ausgedehntwerden, die den Verdacht eines Dienstvergehens rechtfertigen. Dabei ist einerlei, ob diese Handlungen vor oder nach der Einleitung begangen wurden; gleichgültig ist auch, ob diese Handlungen schon vor der Einleitung des Disziplinarverfahrens bekannt waren oder erst danach bekannt wurden. 1Die Vorschrift erlaubt auch mehrmalige Ausdehnungen. Sie dient grundsätzlich der Durchsetzung des Grundsatzes der Einheit des Dienstvergehens, denn durch die Einbeziehung(en) können alle Dienstvergehen (wie vom Gesetzgeber intendiert) in einem einheitlichen Disziplinarverfahren gebündelt und mit einer einheitlichen Disziplinarmaßnahme geahndet werden.
Die Ausdehnungs-Entscheidung steht im Ermessender Disziplinarbehörde, das – wie gewöhnlich – gemäß § 40 LVwVfG 2aktiv auszuüben ist, entsprechend dem Zweck der Ermächtigung, wobei die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten sind, namentlich der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. 3 In der Regelwird das Ermessen dahingehend auszuüben sein, den weiteren Vorwurf einzubeziehen– denn der Grundsatz der Einheit des Dienstvergehens verlangt es eben, alle Pflichtenverstöße grundsätzlich in einem einzigen Verfahren zu verfolgen und zu ahnden. 4Das wird insbesondere der Fall sein, wenn der zusätzliche Vorwurf eine gewichtigere oder graduell verschärfte Disziplinarmaßnahme rechtfertigt. 5
3 Zwingend ist die Ausdehnung aber nicht: Vielmehr ermöglicht die Vorschrift es auch, den Grundsatz der Einheit des Dienstvergehens zu durchbrechen, wenn andere disziplinarrechtliche Grundsätze der Ausdehnung entgegenstehen – namentlich kann von einer Ausdehnung abzusehen sein, wenn sich andernfalls das laufende Disziplinarverfahren erheblich verzögern würde (Beschleunigungsgrundsatz, Ziel einer effektiven Ahndung des Dienstvergehens durch rasche Einwirkung auf den Beamten). 6Letztlich sind bei der Ermessensausübung die beiden unterschiedlichen Ziele in Ausgleich zu bringen (Einheit des Dienstvergehens einerseits – Beschleunigungsgebot andererseits).
Wird von der Ausdehnung vorläufig abgesehen, kann sich die Situation ergeben, dass der nicht einbezogene Vorwurf später in einem weiteren, neuen Disziplinarverfahren verfolgt wird. In dieser Nicht-Einbeziehung des weiteren Vorwurfs in das laufende Disziplinarverfahren liegt (wie dargelegt) eine gewisse Durchbrechung des Grundsatzes der Einheit des Dienstvergehens. Der Gesetzgeber lässt dies in Abs. 1 aber ausdrücklich zu – und überlässt die (ermessensgerechte) Entscheidung der Nicht-Ausdehnung der Disziplinarbehörde. Dies bedeutet in der Konsequenz, dass für ein materiell eigentlich einheitlich zu beurteilendes Dienstvergehen am Ende mehrere Disziplinarmaßnahmen ausgesprochen werden – diesem Umstand muss daher bei der Bemessung der späteren Disziplinarmaßnahme Rechnung getragen werden. 7Will heißen: Es mag zwar verfahrensrechtlich nach Abs. 1 zulässig sein, den weiteren Vorwurf nicht in das laufende Disziplinarverfahren einzubeziehen – im späteren Disziplinarverfahren zum zweiten Vorwurf muss dann aber materiell-rechtlich (d. h. bei der Bemessung der zweiten Disziplinarmaßnahme) sichergestellt werden, dass der Beamte nicht schlechter gestellt wird als wären beide Vorwürfe von vornherein in einem einheitlichen Disziplinarverfahren gleichzeitig und einheitlich geahndet worden. 8
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