V.Klageerhebung und Rechtshängigkeit, §§ 253, 261 ZPO
121Die Klage wird erhoben durch Zustellung eines Schriftsatzes, § 253 Abs. 1 ZPO, der den Anforderungen des § 253 ZPO genügen muss. Sie muss bei Gericht eingereicht werden, damit wird sie anhängig(unten 1.). Der zuständige Richter macht dann seine Eingangsverfügung(unten 2.), worauf die Klage zugestellt wird(unten 3.), damit tritt Rechtshängigkeitein (unten 4.).
1.Eingang der Klageschrift, Anhängigkeit
122 a) Eingang der Klage.Der Kläger hat die Klageschrift– und sonstige Anträge und Erklärungen einer Partei, die zugestellt werden sollen – bei dem Gericht schriftlich mit der erforderlichen Zahl von Abschriften einzureichen, § 253 Abs. 5 ZPO. Im Amtsgerichtsprozess können Klagen oder Anträge auch zu Protokoll der Geschäftsstelle abgegeben werden, §§ 496, 129a ZPO.
123Die Klagen und Schriftsätze werden in der Regel in den Nachtbriefkasten eingeworfen, eine elektronische Einrichtung ermöglicht dabei die exakte Trennung von Eingängen bis 24.00 Uhr und danach. Bei der Einreichung per Telefax oder Computerfax (BGH NJW 2000, 2340) ist für den Zeitpunkt des Eingangs bei Gericht nicht der vollständige Ausdruck, sondern die Aufzeichnung durch das Empfangsgerät maßgebend (BGH MDR 2007, 168). Soweit Klagen in Form elektronischer Dokumente zugelassen sind, sind sie ebenfalls schon im Zeitpunkt der Aufzeichnung durch das Empfangsgerät des Gerichts eingereicht, § 130a Abs. 5 ZPO.
Klausurproblem:Die Klage geht um 23.58 Uhr auf dem Fax des zuständigen Gerichts ein, wird aber erst vollständig ausgedruckt um 00.01 Uhr am nächsten Tag. Nach BGH (MDR 2007, 168) ist nicht der vollständige Ausdruck, sondern der Eingang auf dem Fax entscheidend. Also ist der Schriftsatz noch rechtzeitig eingegangen, wenn es auf den Tag ankommt.
124Die Klage wird mit Eingang bei Gericht anhängig. Dokumentiert wird dies durch einen Eingangsstempel, der auf der Klage angebracht wird. Bei Verweisung des Rechtsstreits wird der Rechtsstreit beim aufnehmenden Gericht mit Eingang der Akten anhängig, § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO; die Anhängigkeit beim verweisenden Gericht endet (BGH NJW-RR 1993, 700). Wird ein gerichtliches Mahnverfahren durchgeführt, so tritt Anhängigkeit mit Einreichung des Antrags auf Erlass des Mahnbescheids beim Mahngericht ein (BGH NJW 1999, 3717). Nach Widerspruch und Abgabe des Verfahrens an das Streitgericht wird die Rechtssache mit Eingang der Akten dort anhängig, § 696 Abs. 1 Satz 4 ZPO.
125 b) Wirkungen.Die größte praktische Bedeutung der Anhängigkeit liegt in der fristwahrenden Wirkung bei „Zustellung demnächst“, § 167 ZPO. Während das materielle Recht für Fristwahrung, Neubeginn oder Hemmung der Verjährung auf die Zustellungeiner Klage oder eines Antrags (Rechtshängigkeit) abstellt, verlagert § 167 ZPO diese Wirkung auf den Zeitpunkt der Anhängigkeitzurück, sofern die Zustellung „demnächst“erfolgt. Dies gilt bei Verjährungsfristen, § 204 Abs. 1 BGB, Klagefristen, § 558b Abs. 2 BGB, § 926 ZPO, § 4 KSchG und Anfechtungsfristen, §§ 121 Abs. 2, 124 Abs. 1 BGB, § 4 AnfG. Nur der rechtzeitige Eingang der Antragsschrift beim zuständigen Gericht ist fristwahrend. Für die Wirkung des § 167 ZPO genügt aber, jedenfalls für die rückwirkende Hemmung der Verjährung, auch die Anrufung des unzuständigen Gerichts zur Fristwahrung (BGH MDR 1978, 750).
Klausurproblem:Der Anspruch des Klägers über 10.000 Euro verjährt am 31.12.2019. Die Leistungsklage über 10.000 Euro geht am 31.12.2019 um 23.59 Uhr im Nachtbriefkasten beim zuständigen Gericht ein. Der zuständige Richter ist bis 20.1.2020 im Urlaub. Die Zustellung der Klage erfolgt erst am 10.2.2020. An sich ist der Anspruch verjährt, §§ 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB, 253 Abs. 1 ZPO, denn die Verjährung ist nur bei Klageerhebung, also Rechtshängigkeit, gehemmt. Hier greift aber eventuell § 167 ZPO bei „demnächstiger“ Zustellung ein. Ob eine Zustellung noch „demnächst“ ist, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Der Zustellungsadressat darf durch allzu großzügige Bemessung nicht dadurch unbillig belastet werden, dass ihm eine rechtzeitig eingereichte Klage erst Monate später zugestellt wird. Andererseits muss der Zustellungsbetreiber alles ihm Zumutbare tun, damit die Zustellung „demnächst“ erfolgen kann (BGH NJW 2005, 1194). Bereits leicht schuldhaft verursachte Verzögerungen sind schädlich, etwa unzureichende Adressierung (OLG Naumburg FamRZ 2000, 899), fehlende Nachfrage bei ausbleibender Zustellung (BGH MDR 2007, 45) oder Einreichung beim unzuständigen Gericht (OLG Naumburg NJW-RR 2003, 1662). Als geringfügigsind nach Ansicht des BGH – auch bei nur leicht fahrlässigem Verhalten – i. d. R. nur Zustellungsverzögerungen bis zu 14 Tagenanzusehen (BGH NJW 2004, 3775). Verzögerungen, die ihre Ursache nur im Geschäftsbetrieb des Gerichts haben oder dem Adressaten zuzurechnen sind, hindern i. d. R. eine Rückwirkung nicht (BGH NJW 2000, 2282).
Die Anhängigkeit einer Streitsache begründet auch die Zuständigkeit dieses Gerichts für ein Eilverfahren, §§ 916, 937, 943 ZPO, und für ein selbstständiges Beweisverfahren, § 486 ZPO.
126 c) Zuteilung.Die beim Gericht eingegangene Klage kommt in die Registratur, wird registriert und bekommt ein eigenes Aktenzeichen. Bundeseinheitliche Registerzeichen sind z. B. „C“ – allgemeine Zivilsache beim Amtsgericht, „O“ – allgemeine Zivilsache beim Landgericht, „S“ – Berufungssache beim Landgericht und „U“ – Berufungssache beim Oberlandgericht. Das Az. „2 O 12/20“ bedeutet, es handelt sich um eine allgemeine Zivilsache beim Landgericht, sie ist der 2. Zivilkammer des Landgerichts zugeteilt worden und ist das 12te Verfahren, das im Jahr 2020 bei der 2. Zivilkammer des Landgerichts eingegangen ist. Die Sache wird dann entsprechend des Geschäftsverteilungsplans des Gerichts („gesetzlicher Richter“ – hierzu noch unten bei den Verfahrensgrundsätzen) der Geschäftsstelle des zuständigen Richters weitergeleitet, die eine Akte und eine Zählkarte anlegt.
2.Eingangsverfügung des Richters
127 a) Vorlage der Akte an Richter.Nach Zuteilung der Rechtssache wird die Akte dem Richter vorgelegt. Er hat dann:
(1) Den Streitwert festzusetzen, damit der Kostenbeamte den Vorschuss nach § 12 Abs. 1 GKG einfordern kann, dabei ist nach § 4 Abs. 1 ZPO für die Wertberechnung zunächst der Zeitpunkt der Einreichung der Klage bei Gericht entscheidend;
(2) Die Verfahrensart zu wählen, § 272 Abs. 2 ZPO: Früher erster Termin, § 275 ZPO, oder schriftliches Vorverfahren, § 276 ZPO;
(3) Die Zustellung der Klage und der getroffenen Verfügung zu veranlassen (siehe insoweit unten 3.).
128 b) Verfahrensart.Nach § 272 Abs. 1 ZPO ist der Rechtsstreit in einem umfassend vorbereitetenTermin zur mündlichen Verhandlung zu erledigen. Dieser Haupttermin und die Güteverhandlung sollen so früh wie möglichstattfinden, § 272 Abs. 3 ZPO. Der Richter soll daher bereits bei Klageeingang die umfassende Vorbereitung des Haupttermins in die Wege leiten. Die ZPO bietet hierfür zwei Möglichkeiten. Entweder den frühen ersten Terminzur mündlichen Verhandlung nach § 275 ZPO oder das schriftliche Vorverfahrennach § 276 ZPO. Die Entscheidung welche Verfahrensart angeordnet wird trifft der Richter, § 272 Abs. 2 ZPO, unter dem Gesichtspunkt, auf welchem Weg die frühzeitige Sammlung des entscheidungserheblichen Streitstoffs besser oder die Erledigung des Rechtsstreits schneller herbeizuführen ist. Ganz entscheidend ist sicher der Typ des Richters. Will er Sicherheit und alles ausgeschrieben haben, damit keine Überraschungen mehr auftreten können, dann wählt er das schriftliche Vorverfahren. Ist er offen für Überraschungen und kann damit gut umgehen, dann wird er den frühen ersten Termin mit den besseren Erledigungsmöglichkeiten wählen. Er hat vor seiner Entscheidung kein rechtliches Gehör zu gewähren, sie ist in Form einer „Verfügung“ unanfechtbar(BGHZ 86, 31).
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