Olaf Nägele
Goettle und der Kaiser von Biberach
Kriminalroman
Der Kaiser ist zurück! Zwei Schwimmer machen im Badesee bei Ummendorf einen grausigen Fund: In einem Plastiksack verpackt, treibt ein toter Mann an der Oberfläche des Gewässers. Hinweise auf seine Identität gibt es nicht. Hauptkommissarin Greta Gerber hofft, durch die Veröffentlichung eines Fotos des Toten Hinweise aus der Bevölkerung zu erhalten. Der Plan geht auf. Biberachs Gemeindepfarrer Andreas Goettle erkennt in dem Toten Karlheinz Kaiser, einen der führenden Köpfe beim 1. FC Oberschwaben, der kurz vor dem Aufstieg in die 3. Fußball-Bundesliga steht. Nur: Kaiser ist vor Jahren bei einem Segeltörn in der Ägäis ertrunken. Als wenig später der Mittelfeldspieler Maik Riemenschneider schwer verletzt aufgefunden wird, scheint die Spur unweigerlich zu dem Fußballclub zu führen. Doch nicht nur beim 1. FC Oberschwaben geht es um viel, das es mit allen Mitteln zu verteidigen gilt. Je näher Greta Gerber und Andreas Goettle der Wahrheit kommen, desto gefährlicher wird ihre Situation.
Olaf Nägele, 1963 in Esslingen geboren, hat nach langen Aufenthalten in München, Stuttgart und Hamburg den Weg in seine Heimatstadt zurückgefunden. Dort feilt der Kommunikationswirt (KAH) an PR- und Werbetexten, verfasst als Journalist Artikel für diverse Zeitungen und arbeitet als Redakteur bei der Landeshauptstadt Stuttgart. Der Spaß, Geschichten zu erzählen, hat ihm Beiträge in Anthologien eingebracht, Hörspiele für den SWR, Kurzgeschichtenbände, Romane und Radio-Kolumnen für Neckaralb Live Reutlingen folgten. Für die Kurzgeschichte „Die Sache mit Gege“ erhielt er einen Ehrenpreis der Akademie Ländlicher Raum in Baden-Württemberg und seine Radiokolumne »Ingo lernt schwäbisch« wurde 2020 für den Medienpreis der Landesakademie für Kommunikation nominiert.
Personen und Handlung sind frei erfunden.
Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen
sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.
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Alle Rechte vorbehalten
»Goettle und der Kaiser von Biberach« erschien erstmals
2015 beim Silberburg-Verlag.
Herstellung/E-Book: Mirjam Hecht
Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart
unter Verwendung eines Fotos von: © bajo57 / stock.adobe.com
ISBN 978-3-8392-6828-5
Das Telefon klingelt. Schrill.
Eine Hand ergreift den Hörer, führt ihn langsam zum Ohr.
»Ja?«
»Er ist wieder da!«
Die Stimme am anderen Ende klingt rau, gebrochen.
Knisterndes Schweigen.
»Wer?«
»Na, er. Frag doch nicht so bescheuert. Er ist wieder da! Er!«
Was folgt, ist Stille. Eine Ruhe, die schmerzt.
»Das gibt es doch nicht. Dieser Idiot. Was soll das?«
Heiseres Keuchen, wie der grollende Atem eines wilden Tieres.
»Was will er?«
»Was wird er wohl wollen? Er ist nicht dumm. Er bietet uns ein reines Gewissen, hat er gesagt. Und dafür will er zwei Millionen.«
Empörungsstöhnen.
»Wo ist er?«
»Ich weiß es nicht. Er will uns auf dem Stadionparkplatz treffen. Morgen um Mitternacht. Mit dem Geld.«
»Das geht jetzt nicht. Unmöglich.«
»Das habe ich ihm auch gesagt. Aber er klang sehr entschlossen.«
Wieder Stille, endlos.
»Vielleicht gäbe es da noch eine andere Lösung …«
»Aber wir können ihn doch nicht …?«
»Fällt dir etwas Besseres ein? Er muss wieder weg!«
Ein Knacken unterbricht die Verbindung.
Ruppig, es klingt fast wie ein Schuss.
»Und jetzt konzentriert euch. Der Atem fließt direkt in eure Muskeln, der Körper ist angespannt. Bündelt eure Energie und nehmt sie mit in den Schlag. Eure Hände werden zu geschärften Äxten, die sich butterweich durch das Holz arbeiten.«
»Jetzt leg scho des Brettle na. I han a g’scheite Wuat, da muss i koi Energie mehr bündla, um Kleinholz draus zum macha.«
Karatetrainer Daniel Bischoffsberger öffnete die Augen und sah den Eleven strafend an, der es gewagt hatte, seine Konzentrationsphase auf das Empfindlichste zu stören.
Andreas Goettle erwiderte seinen Blick in seiner ureigenen Weise, die man fast als rebellisch bezeichnen konnte. Es hatte keinen Zweck, den etwas untersetzten Mittfünfziger mit hohem Haaransatz, dessen dunkle Augen unter buschigen Brauen angriffslustig funkelten, zurechtzuweisen. Goettle, der in seinem weißen Kampfanzug wie eine unkolorierte Version seines sonstigen Erscheinungsbilds wirkte – schließlich trug er als katholischer Gemeindepfarrer von Biberach ausschließlich schwarze Kleidung –, ließ sich von nichts und niemandem in die Schranken weisen, und schon gar nicht, wenn er im Harnisch stand.
Bischoffsberger seufzte, legte ein Holzbrett auf die dafür vorgesehene Vorrichtung, machte eine einladende Geste und überließ dem Geistlichen mit dem blauen Gürtel den Vortritt. Mit stoischer Miene und ausgeprägter Zornesfalte auf der Stirn brachte sich Goettle in Position, presste die schmalen Lippen aufeinander, holte mit dem rechten Arm weit aus und zerschmetterte unter dem Ausstoß eines wilden Schreis – der sich rein lautmalerisch an der Kante eines beliebten schwäbischen Fluchs entlanghangelte – das Brett. Die anderen Karateschüler applaudierten.
»Reschpekt, Herr Pfarrer. Des Brettle hot koi Schahs ghet«, befand Renate Münzenmaier, mit 65 Jahren die älteste Teilnehmerin des Kurses. Eigentlich hatte die rüstige Dame gar keine Karateausbildung nötig. Sie hatte eine Zunge, die schärfer war als eine geschliffene Axt. Wenn sie sich in eine ihrer gefürchteten Litaneien hineinsteigerte, dann ermüdete jegliches Material. So sah es zumindest Andreas Goettle, der sich tagtäglich mit seiner Haushälterin konfrontiert sah und sich nicht selten ihrer bissigen Angriffe erwehren musste.
»I kann mir des scho denka, wem der Schlag g’olta hot«, krächzte die agile Seniorin und kicherte. Wenn sie lachte, dann schien es, als rollte eine Welle durch ihren massiven Leib, die sich langsam von unten ausdehnte, Bauch und Busen ergriff und schließlich den Kopf zum Wackeln brachte. 94 Kilogramm, ohne Schuhe.
Die anderen Karateschüler grinsten. Es war ein offenes Geheimnis, dass es vor allem einer war, der das Blut des Gemeindeseelsorgers in Wallung bringen konnte. Landrat Helmut Mössinger. Durch seine unbestreitbare Nähe zur Industrie – schließlich hatte er lange die Geschicke der IHK geleitet – förderte er so ziemlich jede Idee, die das Zeug hatte, das oberschwäbische Idyll aus seinem Dornröschenschlaf zu wecken. Auf sein Geheiß wurden Wellness-Tempel inmitten von Naturschutzgebieten errichtet und für den Stadion-Neubau des 1. FC Oberschwaben vor den Toren Ummendorfs waren mehrere Hektar landwirtschaftliche Nutzfläche vernichtet worden. Mobilfunkmasten und Windräder wurden in die Landschaft gesetzt, als gälte es, sein Revier zu markieren. Die Steuergelder wurden mit offenen Händen ausgegeben, als kämen sie aus einer nie versiegenden Quelle, und selbst Umweltschützer und Naturfreund Goettle hatte wenig Verständnis für die sündhaft teure Errichtung der beiden Fledermausbrücken, die über die Nordwestumfahrung führten. Offenbar wollten auch die kleinen Vampire nicht mit dem Bauwerk in Verbindung gebracht werden, denn bislang nutzten sie es so gut wie nicht.
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