Beim Rådhusplass wollte gerade eine Frau in einen roten Toyota einsteigen. Sie hatte vorher noch das Eis von den Scheiben gekratzt. Johnny Svendsen überlegte nicht lange. Zielstrebig steuerte er auf die Frau zu, trat dicht an sie heran und bat sie um ihren Autoschlüssel. Sie drehte sich verwirrt um. Er stand so nah vor ihr, dass ihr Atem über sein Gesicht huschte. Der Kragen ihres Pelzmantels kitzelte ihn am Kinn. Ihre Augen veränderten sich, wurden dunkel und füllten sich mit Tränen. Dieser Anblick gefiel ihm. Die Angst anderer erheiterte ihn.
»Die Wagenschlüssel«, sagte er noch einmal und zeigte ihr die Pistole, die er in der Hand hielt.
Er fuhr in dem roten Toyota in Richtung Østfold. Ein Jahr zuvor hatte die Polizei von Fredrikstad es ihm untersagt, sich Markus weiter als auf dreihundert Meter zu nähern. Ester Synnøves Eltern hatten einem Psychologen eingeredet, der Junge habe schreckliche Angst vor seinem Vater. »Bis auf weiteres«, hatte in der Anordnung gestanden. Er hatte dieses Verbot mehrere Male übertreten. Der Junge schien sich immer zu freuen, wenn er ihn sah. Und jetzt wollte er ihn zu sich holen.
Esters Eltern hatten ihren Willen durchgesetzt. Er wurde gejagt und vielleicht bildeten sie sich ein, der Junge gehöre jetzt ihnen. Johnny Svendsen lachte kurz. Sie hatten es schon immer auf ihn abgesehen. Hatten herumgenörgelt, er sei nicht gut genug, sei faul und unzuverlässig. Unzuverlässig, meine Güte, gerade er. Wenn hier jemand unzuverlässig war, dann sie. Ester hatte ihn verlassen. Nicht umgekehrt. Er hatte sie nie betrogen. Nie. Sie waren an allem Schuld, Ester Synnøve und die Schwiegereltern. Sie hatten ihn schließlich in den Wahnsinn getrieben. Ester hatte nie einen unzufriedenen Eindruck gemacht. Aber wenn er sich das genauer überlegte, dann war sie in der letzten Zeit, in der sie zusammengelebt hatten, ziemlich unmöglich gewesen. Hatte wegen nichts geweint, war ihm ausgewichen, hatte am Telefon geflüstert.
Eines Tages war sie dann verschwunden gewesen. Das Reihenhaus war leer und dunkel. Sie hatte fast alle Möbel mitgenommen. Er hatte zwei Tage lang nach ihr gesucht, hatte alle Bekannten angerufen, ihre Familie, Speditionen, die Bank, Markus’ Schule. Alle. Aber die beiden waren spurlos verschwunden.
Als ihm aufging, dass sie sich eine geheime Adresse und eine geheime Telefonnummer besorgt und ihm Markus damit entzogen hatte, war in seinem Gehirn etwas explodiert. Er liebte sie nicht mehr. Jetzt hasste er sie. Sie war seine größte Feindin.
Ihr Vater hatte ihn aufgesucht. Er war sehr kurz angebunden gewesen, fast bedrohlich. Er hatte ihm geraten, Ester Synnøve und Markus in Ruhe zu lassen.
Die Muskeln in seinem Gesicht spannten sich. Die Kopfschmerzen wanderten hinter seiner Stirn. Ester war daran schuld, dass alles so gekommen war. Sie waren eine Einheit gewesen, ehe sie sich von ihm weggeschlichen, ihm seinen Sohn gestohlen hatte.
In der letzten Zeit, bevor sie ihn verlassen hatte, hatte sie ihn bewusst provoziert. Ein einziger Blick von ihr hatte in ihm eine wahnwitzige Wut entfachen können. Und ihr Verhalten hatte ihn dazu gebracht, sie zu schlagen.
Seine Persönlichkeit war von dem scheinbar ruhigen Familienleben in Schach gehalten worden. Erst als ihm aufgegangen war, dass Ester Synnøve ihn wirklich verlassen wollte, war sein gefährliches Ich an die Oberfläche getreten. Am Ende hatte sein geringes Selbstbewusstsein, gut verborgen unter einer frechen, redseligen Fassade, die Kontrolle übernommen und die weiteren Spielregeln festgelegt. Und für den Rest konnte sie sich bei sich selbst bedanken.
Es hatte ihm nicht gepasst, wenn sie Freundinnen besucht hatte. Wenn er nur hätte sicher sein können, dass es wirklich Freundinnen waren. Er hatte Monate hindurch mit einem Gefühlschaos kämpfen müssen, ehe sie dann ihre Drohungen in die Tat umgesetzt hatte. Das war jetzt fast zwei Jahre her.
Zweimal hatte er sie gefunden. Er hatte nur mit ihr reden wollen. Er hatte sie zwar einmal zu Boden gerissen, gleich hinter einer Bushaltestelle, aber nur, weil sie bei seinem Anblick losgekreischt hatte. Er war weggelaufen und dann hatte die Polizei ihm telefonisch mitgeteilt, er dürfe sie nicht mehr aufsuchen.
Johnny Svendsen lenkte den roten Toyota auf die linke Spur und jagte an einer Reihe von Wagen vorbei. Dann fuhr er wieder auf die rechte Spur, vor einen Lastzug. Plötzlich sah er sich die Straße entlanggehen. Einsam, mit hängenden Armen. Er hörte in Gedanken Stimmen. Er hörte seinen alten Klassenlehrer, hörte das jämmerliche Weinen der Tante, wenn sie ihn bat, sich anständig zu benehmen, er hörte auch Esters Eltern und den Unterton in allem, was sie sagten.
»Alles ist nur Johnnys.Schuld.« Die Stimmen gingen in seinem Kopf in einen schrillen Ton über. Und der vermischte sich mit einem dunklen Trauergefühl. Er hatte den Halt verloren. Zwischen den Bäumen sah er den grauen Winternebel, der langsam über den Boden kroch.
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