»Was für eine Waffe hat Johnny Svendsen in seinem Besitz?«
Das Schluchzen verstummte. »Eine neun Millimeter Walther P 88.«
»Woher hat er die?«
Bjørn Tore Lønn schüttelte den Kopf. »Keine Ahnung«, sagte er. »Von irgendwem auf der Straße.«
Cato Isaksen musterte den Mann eine Weile wortlos, dann erhob er sich schwerfällig und wanderte in der kleinen Zelle hin und her. Nach einer Weile sagte er: »Ich glaube Ihnen und glaube Ihnen auch wieder nicht.«
Bjørn Tore Lønn setzte sich sofort aufrecht hin. »Sie glauben mir nicht?«
»Das habe ich nicht gesagt. Ich habe gesagt, ich glaube Ihnen und glaube Ihnen auch wieder nicht.« Cato Isaksen zeigte in einem bissigen Lächeln seine Zähne. »Sie sagen nicht alles.«
Der Bruder der Toten schüttelte verwirrt den Kopf. »Ich begreife nicht, was Sie meinen«, erwiderte er.
»Ich glaube Ihnen, wenn Sie sagen, dass Sie Johnny Svendsen hassen«, erklärte der Ermittler. »Vielleicht glaube ich Ihnen auch, wenn Sie sagen, dass er Ihre Schwester ermordet hat. Vielleicht wird sich das ja als Wahrheit herausstellen.«
»Er war es.« Bjørn Tore Lønn erhob sich halb von seiner Bank. »Wenn Sie mir nicht glauben, dann sind Sie ein Idiot! Sie müssen versuchen, ihn festzunehmen.«
»Wenn Sie von Anfang an offen gewesen wären, dann hätten wir ihn jetzt.«
Bjørn Tore Lønns Gesicht verdüsterte sich.
»Vielleicht haben Sie eine Vorstellung, wo er stecken kann, wissen, wie seine Freunde heißen?«
Der Mann seufzte, dann schüttelte er resigniert den Kopf und setzte sich wieder. »Er ist nicht so blöd, sich an einem auf der Hand liegenden Ort zu verstecken. Und er hat keine Freunde. Nicht einen einzigen.«
»Das können Sie garantieren?«
»Ja.«
Marie Sagen musterte die beiden Männer wortlos. Ab und zu notierte sie etwas auf einem kleinen Block, ansonsten saß sie ganz still da.
»Ich glaube, Sie verschweigen uns etwas und das ist dumm von Ihnen. Wir werden sowieso alles herausfinden. Es wird nur etwas länger dauern«, sagte Cato Isaksen.
Bjørn Tore Lønn gab keine Antwort, sondern wandte sich nur demonstrativ von ihm ab. »Das hat dann aber nichts mit dem Fall zu tun«, sagte er.
»Spielt keine Rolle, in einem Mordfall ist jede Auskunft wichtig. Was haben Sie zum Beispiel in der Hütte oben bei Bogstad gemacht?«
Der junge Mann blickte ihn verwundert hat. »Sie sind mir also die ganze Zeit ...«
»Ja.« Cato Isaksen nickte.
Bjørn Tore Lønn ließ sich müde auf die Bank sinken. Die Gedanken wirbelten nur so hinter seiner Stirn umher. Doch plötzlich ging ihm das Hoffnungslose an der ganzen Situation auf. Das tote Gesicht seiner Schwester tanzte vor seinem inneren Auge auf und ab. Die weiße Haut, die geschlossenen Augen, die stillen Hände. Was sollte das alles?
Er erzählte alles, abgesehen von dem geplanten Mord an seinem Exschwager. Er erzählte, dass er vorübergehend in die Hütte bei Bogstad gezogen war, weil er die Miete nicht bezahlen konnte. Er erzählte von der Pistole, die er für Johnny aufbewahrt hatte. »Ich wollte ihm nur Angst einjagen, damit er sich stellt.«
Esters Bruder starrte seine Hände an, während er von dem fingierten Raub der Versicherungsunterlagen und von seinen erfolglosen Pferdewetten berichtete. Johnny und er, sie hatten das zusammen durchgezogen. »Aber es war Johnnys Idee. Er meinte, ich könnte so tun, als wäre ich überfallen worden. Er hat es gemacht, hat mich angehalten und mir sozusagen den Postsack weggenommen. Sie haben mir nicht geglaubt, konnten aber nichts beweisen. Trotzdem habe ich meinen Job verloren. Ich saß am Ende mit dem ganzen Dreck da«, sagte Bjørn Tore Lønn empört. »Und jetzt komme ich sicher ins Gefängnis«, fügte er hinzu. »Oder?«
»Das weiß ich nicht«, sagte Cato Isaksen. »Die Sache mit dem Postüberfall ist natürlich auch ein Verbrechen und wir werden Ihr Geständnis weiterreichen, aber mit dem Mord hat das nichts zu tun.«
»Es hat uns auch fast gar nichts eingebracht. Wir konnten nur in einigen Ämtern die Summen mit Hilfe von falschen Vollmachten abheben. Es war eine Menge Arbeit und fast keine Kohle.«
»Nur noch eine Frage zum Schluss.« Cato Isaksen erwiderte Bjørn Tore Lønns traurigen Blick. »War die Pistole geladen?«
»Ja«, sagte der junge Mann und schüttelte resigniert den Kopf. »Es tut mir verdammt Leid«, sagte er dann.
Die Fahnder versammelten sich um den ovalen Tisch. Abteilungsleiterin Ingeborg Myklebust fehlte. Cato Isaksen stutzte, als er es bemerkte. Er würde sie nachher anrufen müssen.
»Jetzt bekommen sie bald ein anderes Thema«, sagte er und legte die Zeitung auf den Tisch. Noch immer füllte das Eisenbahnunglück bei Åsta die Titelseiten. Und noch immer erregte diese schlimme Geschichte aus Nordnorwegen die Gemüter. Der zuständige Behördenleiter sollte an einen anderen Ort versetzt werden, während die Internuntersuchungen liefen. Der Fall wies klare Parallelen zu dem von Ester Synnøve Lønn auf.
»Bewaffnete Aktion gegen Polizei«, stand jedoch weiter hinten in einer Zeitung über einem langen Artikel, der sich mit dem Fall Lønn beschäftigte. Das Bild von Roger Høibakk, der mit einem Pflaster über dem Auge aus dem Krankenhaus kam, leuchtete ihnen entgegen.
Preben Ulriksen legte einen Papierstapel auf den Tisch. Roger Høibakk kam wie immer zu spät und ließ sich mit viel Lärm zwischen Randi Johansen und Asle Tengs fallen. Neugierig zog er die Zeitung zu sich und öffnete sie.
»Bleiben wir noch ein wenig bei dem Fall dieser jungen Frau, die von ihrem Exfreund ermordet worden ist, nachdem sie ihn immer wieder wegen Körperverletzung und Morddrohungen angezeigt hatte«, sagte Cato Isaksen. »Besser, wir sind schon mal vorbereitet. Wahrscheinlich wird dasselbe Problem auf uns zukommen.«
»Aber wie gesagt, in Oslo werden deshalb keine Fackelzüge veranstaltet. Hier gibt es keine solchen Idealisten.« Roger Høibakk stöhnte und machte sich an dem Pflaster über seinem Auge zu schaffen.
»Sicher gibt es die.« Randi Johansen beugte sich empört vor.
»Machen wir, dass wir vorankommen. Preben, was kannst du uns erzählen?«
Preben Ulriksen legte seine schmalen Hände auf die Papiere, die er mitgebracht hatte. »Fest steht«, sagte er dann, »dass Ester Synnøve Lønn unmittelbar vor Weihnachten, nachdem sie ihren Mann wegen Morddrohungen angezeigt hatte, ohne dass etwas Erwähnenswertes passiert wäre, sich noch einmal um Hilfe an das Frauenhaus gewandt hat. Ich habe mit Sonja Pettersen gesprochen, sie kann sich übrigens noch von dem anderen Fall her an dich erinnern.« Er nickte kurz zu Cato Isaksen hinüber.
»Ja.« Cato bekam bei dieser Vorstellung eine Gänsehaut. »Das war 1996 dieser schlimme Fall mit den vier ermordeten Männern.« Die Tafelrunde nickte zustimmend. »Das war die Frau mit den tollen roten Haaren«, sagte Randi Johansen. »Ich sehe sie noch genau vor mir.«
Preben Ulriksen nahm einen Apfel aus der Schale auf dem Tisch und biss herzhaft hinein. Er kaute fieberhaft und schluckte, ehe er weiterredete. »Auf jeden Fall weiß ich jetzt, dass derzeit fünfhundertundzehn Frauen unter geheimer Adresse wohnen. Siebenundneunzig sind kodiert, wie das so schön heißt, aus Angst vor ihren Exmännern oder Freunden. Das bedeutet, dass alle Informationen über sie aus allen Registern gelöscht worden sind. Nur durch den Code lässt sich ermitteln, wer sie sind.«
Randi Johansen schlug kurz mit der Faust auf den Tisch, um ihren Abscheu zu bekunden. »Und kein Mann, stelle ich mir vor.«
»Kein Mann?«
»Ja, kein Mann hat eine kodierte Adresse.«
Roger Høibakk grinste. »Ich kann dir gern meinen Code verraten«, sagte er und zwinkerte ihr zu.
Randi Johansen bedachte ihn mit einem eiskalten Blick.
»Hat Lønn auch unter Code gelebt?« Cato Isaksen blickte gereizt in die Runde.
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