Annelore musste lachen:
„Sie sind doch keine alte Frau, Frau Doktor.“
„O bitte, Fräulein Werffen, ich bin ja schon sooo lange verheiratet“, lachte Frau Brigitte, „schon über ein halbes Jahr.“
Annelore lachte noch lauter:
„Das ist ja entsetzlich lange! Da müsste ich ja eigentlich tatsächlich einen ungeheuren Respekt vor Ihnen haben. Aber ich habe ihn wirklich nicht, denn Sie sehen trotz der langen Ehe aus, wie ein ganz junges Mädel. Ich könnte schon Vertrauen zu Ihnen haben, Frau Doktor.“
„Das ist ein gutes Wort, Fräulein Annelore. Also, dann erzählen Sie mal. Wie leben Sie so?“
Annelore schwieg einen Augenblick. Die alte Scheu wollte sie wieder überkommen. Aber die Stimme Frau Brigittes hatte etwas so Weiches, dunkel Beschwichtigendes, dass Annelore ganz warm ums Herz wurde. Die Sehnsucht, von sich zu sprechen, wurde übermächtig.
„Einsam lebe ich, Frau Doktor. Meine einzige Freundin ist in Genf in Pension und weibliche Verwandte habe ich gar nicht. Ich habe nur den Vater und meinen Vetter — das heisst, den habe ich ja auch gar nicht“, fügte sie schnell hinzu. Etwas Wehes lag in ihrem Ton.
Ganz zart strich Frau Brigitte über Annelores weiches Haar.
„Aber Kindchen, haben Sie denn gar keine Frau in Ihrer Nähe, mit der Sie sich mal richtig ausplaudern können?“
Es klang wie ein Schluchzen, als Annelore antwortete:
„Ach nein, das ist es ja eben. Ich bin immer allein. Papa ist ja reizend zu mir, aber der steckt doch den ganzen Tag im Werk. Manchmal sehnt man sich direkt nach einem Menschen, und dann dehnt sich der Tag bis ins Endlose.“
Wieder strich Frau Brigitte zärtlich über Annelores Kopf. Aber ihre Hand kam nicht weit. Zaghaft tastete Annelores Hand nach Brigittes Fingern.
„Sehen Sie, Frau Doktor“, jetzt unterdrückte sie ein Schluchzen, „das erlebe ich heute zum erstenmal, dass eine Frau mir so über den Kopf streicht.“
Mit einer schnellen Bewegung stellte Frau Brigitte die Lampe ab. Dann umfasste sie das schluchzende Mädchen.
„Aber Kindchen, liebes, wenn Sie wirklich so allein sind, kommen Sie in Zukunft zu mir! Wir werden gute Freunde werden. Wenn mein Mann unterwegs ist, dann bin ich auch allein. Aber ich hab’ zu tun. Wissen Sie was, Fräulein Annelore, wenn ich zu tun habe, dann helfen Sie mir. Und wenn Sie es gut machen, dann bekommen Sie zur Belohnung einen schönen Kuss. So. Hier haben Sie einen auf Vorschuss!“
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