Liane Sanden - Herzen im Kampf

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Hanna Sturm – aufgrund ihres Temperaments auch «Stürmchen» genannt – arbeitet als erfolgreiche Journalistin für eine große Berliner Zeitung. Heute hat sie den besonderen Auftrag, den Mediziner Geheimrat Schrombeck zu interviewen, der ein neues, narbenloses Transplantationsverfahren entwickelt hat. Marlene Hagen dagegen ist völlig mittellos und mit ihren Nerven am Ende. Mit ihrer Vorgeschichte – ein aufsehenerregender Prozess und allseits bekannte Verurteilung – ist es der hochbegabten Tochter einer Französin und eines Polfahrers völlig unmöglich, eine Stelle zu finden, die sie zu ernähren vermag. «Setzen Sie sich doch einmal mit Hanna Sturm von der ›Zeit‹ in Verbindung», hat ihr ihr gütiger Verteidiger, Dr. Lerch, wiederholt geraten, doch mit ihrer Vorgeschichte ist sie ein gebranntes Kind und scheut die Presse wie der Teufel das Weihwasser. Doch schließlich begegnen sich die beiden jungen Frauen doch, und das ist auch gut so … Als «Hilde Hall» tritt Marlene Hagen in die Redaktion der «Zeit» ein und wird zum Ersatz für Hanna Sturm, als diese sich auf eine abenteuerliche Reise nach Schweden begibt … Liane Sandens einfühlsamer Roman über die Geschicke zweier junger Frauen und ihre «Herzen im Kampf» fesselt und begeistert den Leser von den ersten Seiten an, so dass sie oder er das Buch am liebsten überhaupt nicht mehr aus der Hand legen will!-

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Liane Sanden

Herzen im Kampf

Roman

Saga

Herzen im Kampf

© 1934 Liane Sanden

Alle Rechte der Ebookausgabe: © 2016 SAGA Egmont, an imprint of Lindhardt og Ringhof A/S Copenhagen

All rights reserved

ISBN: 9788711593424

1. Ebook-Auflage, 2017

Format: EPUB 3.0

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach Absprache mit Lindhardt und Ringhof und Autors nicht gestattet.

SAGA Egmont www.saga-books.com– a part of Egmont, www.egmont.com

I.

„Stürmchen, machen Sie Ihrem Namen und unserer Zeitung Ehre, und stürmen Sie davon! Wenn Sie hören, was man von Ihnen erwartet, werden Sie vor Begeisterung gleich den Kopf verlieren!“

Unwillig fuhr ein blondes Geschöpf von der Arbeit auf. Ein nicht allzu freundlicher Blick traf den hünenhaften Christians, den Chef vom Feuilleton, Hanna Sturms direkten Vorgesetzten. Wäre er es nicht gewesen, sie hätte wohl in ihrer temperamentvollen Art ihrer Wut in ein paar energischen Ausdrücken Luft gemacht.

Das war nun ungefähr die sechste Unterbrechung während der letzten halben Stunde. Und dabei sollte man die Post sichten, Korrekturen lesen und dem Falter, der kleinen buckligen Sekretärin mit dem lieblichen Namen, das Interview mit dem berühmten Wirtschaftsführer diktieren, das Hannas Tüchtigkeit früher als ihre Konkurrenz ergattert hatte.

„Sie scheinen es heute besonders auf mich abgesehen zu haben, Chef!“ brummte sie halb lachend, halb ärgerlich. „Ich habe doch heute Umbruch der Frauenseite, die Atelierbesichtigung in Staaken und abends die Uraufführung ...“

„... und dass morgen Sonntag ist, weiss ich auch! Da können Sie ja stundenlang in Ihrem neuen Auto spazierenfahren. Heute müssen Sie noch einmal fort. Und zwar zu Ihrem alten Freunde, Geheimrat Schrombeck.“

Ein schneller Schatten flog über Hanna Sturms Gesicht. Doch schon hatte sie sich wieder in der Gewalt.

„Was soll ich bei Schrombeck?“

„Durch Ihre journalistische Gewandtheit herausbekommen, wie es um sein neues, narbenloses Transplantationsverfahren steht. Wetten, dass Sie bei diesem Auftrag nicht streiken?“

Hanna Sturm ging ganz gegen ihre sonstige Gewohnheit diesmal nicht auf den freundschaftlichen Neckten des Chefredakteurs Christians ein. Sehr knapp kam ihre Gegenantwort:

„Sie sind mit Wetten voreilig, verehrter Chef. Natürlich streike ich nicht. Aber ich sehe nicht ein, warum gerade ich ausgerechnet zu diesem Interview angespannt werden soll. Da sind doch noch andere, die das auch können.“

„Nee, können sie eben nicht. Ich habe schon den kleinen Fischer hingeschickt. Aber Schrombeck hat erklärt, es wäre ihm unmöglich, sich mit einem Laien so schnell zu verständigen, wie seine beschränkte Zeit das fordert. Wenn wir nicht jemand hätten, der einigermassen mit ihm Fach reden könnte, bedauert er. Und das war doch ein Wink mit dem Zaunpfahl, Stürmchen; damit meinte Schrombeck doch natürlich Sie ehemalige Medizinerin. Vermutlich tat er Sehnsucht, Sie zu sehen.“

Hanna Sturm antwortete nicht.

Sie sprach zu dem ältlichen Mädchen hinüber, das von seiner Schreibmaschine her verzückt den stattlichen Christians anstarrte.

„Falterchen, du wirst’s schon ohne mich schaffen, gelt? Alles, was mir der schwedische Nobelpreisträger im ‚Adlon‘ gesagt hat, habe ich gleich so mitstenographiert, dass es nur übertragen zu werden braucht. War keine Kleinigkeit; denn entweder er überlegte sich jedes Wort stundenlang, oder er sprach ohne die geringste Atempause. Und wenn du alles fein säuberlich zu Papier gebracht hast, bringst du’s dem Chef! Aber nicht kürzen, und die Autorin nicht vergessen, mein Lieber!“ Ein lachend drohender Blick traf den Hünen, ehe Hanna Sturm fortfuhr, zu reden: „Sie wissen doch, dass ich es vertraglich habe, bei grossen Artikeln mit Namen herauszukommen!“

„Weiss schon, werde nichts vergessen!“ knurrte es unzufrieden zurück. Unsanft flog eine Tür ins Schloss — der Feuilletonchef liebte es nicht, an Schlappen irgendwelcher Art erinnert zu werden.

Draussen stand Hanna Sturm einen Augenblick still. Nun sie allein war, flog die Maske der munteren Forschheit gleichsam von ihrem Gesicht ab. Unruhe, Schmerz und Beherrschenwollen dieser Empfindungen gingen wie Licht und Schatten wechselnd über ihre strengen, schönen Züge.

„Herrgott, immer noch diese Torheit“, dachte sie dann. Energisch warf sie den Kopf zurück. Sie hatte sich wieder in der Gewalt. Fünf Minuten später sauste ein roter Sportzweisitzer, von Hanna gesteuert, die Strasse entlang. Geschickt wand er sich durch alle Lücken, jeden zwangsläufigen Aufenthalt auf das geringste Minimum beschränkend.

An einer Kreuzung musste sie ein wenig länger warten. Ein paar Lastwagen sperrten den Übergang. Diesen Augenblick der Musse benutzte Hanna Sturm, um die Passanten zu mustern. Ihr lebhafter Geist nahm das Strassenbild in sich auf wie eine Reihe von Momentphotographien. Jeder Mensch hier, selbst der gleichgültigste, war ja ein Lebensschicksal für sich. Sie hatte es geradezu zu einem Sport ausgebildet, aus Gang, Haltung, Gesichtsausdruck das Milieu und das Erleben des Menschen in sich zu konstruieren. Dieser ältliche Herr, der da mit kurzen pedantischen Schritten gleichsam abgehackt die Strasse überquerte, drei abgezählte Stengel Goldlack in den mageren Händen, war sicher ein pedantischer Angestellter, der daheim eine Frau und jetzt hier irgendwo ein Rendezvous mit einem kleinen Mädchen hatte. Er sah geradezu nach schlechtem Gewissen aus, und das kümmerliche Bündelchen Blumen in seiner Hand nach abgezirkeltem Geiz. Der junge Mann dort, in dem etwas zu knappen, modischen Anzug, der sich in jeder Spiegelscheibe musterte, war sicherlich ein Jüngling aus der Konfektion. Sie musste lächeln über die eitle Gebärde, mit der er sich immer wieder das Jackett zurechtzog. Aber nun wurde ihr Blick ernst. Gerade ehe das grüne Licht die Freifahrt anzeigte, ging ein junges Mädchen über den Damm. Es sah Hanna Sturm au. Das heisst, eigentlich sah es durch sie hindurch mit einem Ausdruck der vollkommenen Verzweiflung. Dies völlig Gebrochene war zu der zarten Schönheit des jungen Gesichts ein so erschütternder Kontrast, dass Hanna Sturm geradezu einen Ruck am Herzen spürte. Es war eine jener Begegnungen, an denen man nicht so achtlos hätte vorübergehen sollen. Bei denen man das unabweisbare Bedürfnis spürte, ein verzweifeltes Menschenkind anzuhalten, zu fragen: „Was ist dir, wer bist du? Woher kommst du? Wohin gehst du? Kann man dir helfen?“

Aber ehe noch Hanna Sturm diesen jähen Anruf ihres Herzens richtig ins Bewusstsein dringen fühlte, flammte das Freifahrtzeichen auf. Ganz mechanisch schalteten ihre Hände den Wagen ein. Schon fuhr er an. Nun war es zu spät. Hinter ihr kamen schon die anderen Fahrzeuge. Das blasse junge Gesicht war bereits auf der anderen Strassenseite im Gewühl verschwunden.

*

Hanna Sturm durchfuhr schon die Vorortsstrassen, da ging Marlene Hagen noch ganz mechanisch den Weg an der Universität entlang. Die Sonne schien heisser, als es an Maitagen üblich war — Marlene hatte das pelzbesetzte Jäckchen über der blauen Bluse geöffnet und das schwarze Mützchen in die Hand genommen. Ab und zu hob ein Luftzug ihre rötlichbraunen, lockigen Haare. Dann sah das ganze schlanke, grauäugige Mädel aus, als ob eine Wolke von gesponnenem Golde es umwehte.

Verzweifelt blickte Marlene Hagen vor sich hin. Wieder war der Gang nach Arbeit, den sie so hoffnungsvoll angetreten hatte, ein vergeblicher gewesen. Am Morgen hatte sie das Inserat in der Zeitung gefunden, durch das eine Übersetzerin gesucht wurde, die das Argot, jene südfranzösische, heute fast ausgestorbene Mundart ins Deutsche zu übertragen verstand; da hatte sie aufgeatmet. Ihre verstorbene Mutter war in Arles geboren und erzogen worden. Sie hatte der kleinen Marlene schon in ihrer frühesten Kinderzeit Märchen in jener weichen Sprache erzählt und vorgelesen, deren Kenntnis jetzt durch das Inserat verlangt wurde.

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