Cato Isaksen zögerte kurz.
«Sind Sie verheiratet?», fragte er dann.
«Ich habe doch schon gesagt, dass er mein Freund ist. Wir wohnen seit fünf Jahren zusammen.»
«Warum gibt es aber solche Gerüchte?» Roger Høibakk spielte entwaffnend an seiner Sonnenbrille herum.
«Ja, warum.» Helena Bjerke zuckte resigniert mit den Schultern. «So ist das wohl einfach. Die Leute reden. Ich meine, die anderen Bekannten von Kathrine, deren Eltern neue Partner haben, finden das ja auch schwierig. Das ist nun einmal so.»
«Ja, ich verstehe», sagte Cato Isaksen und dachte an seine älteren Söhne und deren Beziehung zu Sigrid.
«Und der Stiefvater», sagte Roger Høibakk. «Wie ist seine Beziehung zu Kathrine?»
«Er ist nicht ihr Stiefvater. Dieses Wort benutzen wir nicht. Tage ist mein Freund. Und ich finde, er geht ihr gegenüber viele Kompromisse ein. Er ist immer für sie da.»
«Erzählen Sie uns ein wenig über Kathrines Freund», bat Cato Isaksen.
«Über Kenneth?» Helena Bjerke hatte die vielen Fragen deutlich satt. «Eigentlich mag ich ihn leiden», sagte sie und drückte ihre Zigarette im Aschenbecher aus.
«Eigentlich?»
«Ja, er ist vielleicht ein bisschen träge», sagte sie müde. «Aber er ist nett. Ich habe nichts gegen ihn.»
«Sie glauben also nicht, dass er auf irgendeine Weise mit der Sache zu tun haben kann?»
«Natürlich nicht.»
Cato Isaksen und Roger Høibakk musterten sie schweigend. Nach einer kleinen Weile redete sie weiter.
«Es kann schon sein, dass er ein wenig zuviel trinkt und zuviel feiert. Aber so sind die jungen Leute heute eben. Kathrine hängt jedenfalls sehr an ihm.»
«Aber sie ist doch erst vierzehn.»
«So ist das heute», sagte sie resigniert.
«Was haben sie für eine Beziehung, was glauben Sie?», fragte Cato Isaksen und setzte sich bequemer hin.
«Sie hat gesagt, dass sie noch nicht miteinander im Bett waren, wenn Sie das meinen sollten.» Helena Bjerke wirkte plötzlich unsicher. «Sie haben doch nicht etwa irgendetwas festgestellt?» Sie setzte sich gerade. «Wissen Sie etwas, das ich nicht weiß?»
«Nein», sagte Cato Isaksen freundlich.
Helena Bjerke atmete erleichtert auf. «Sie ist auch im Fjord gesucht worden. Und in ziemlich weitem Umkreis im Wald.»
«Dass ein Kind auf diese Weise verschwindet, ist das Schlimmste, was passieren kann», sagte Roger Høibakk entgegenkommend.
«Ich habe seither sieben Kilo abgenommen. Ich kann einfach nichts essen. Ich rauche nur. Und ich laufe die ganze Zeit hin und her. Suche und suche. Tage hat mich oft begleitet, aber jetzt hat er es satt, und deshalb ziehe ich allein los.»
«Es werden immer viele Jugendliche vermisst», sagte Roger Høibakk und nahm die Sonnenbrille ab.
«Im Moment sind es vierundzwanzig», fügte Cato Isaksen hinzu. «Die allermeisten finden sich wieder ein», sagte er dann noch tröstend.
Helena Bjerke wandte sich ab und schaute hinaus auf den Drøbaksund.
«Ich habe so schreckliche Angst, sie plötzlich zu finden, wenn ich unterwegs bin», sagte sie. «Dass sie vor mir auf dem Boden liegt und tot ist.»
Beide Ermittler schlugen die Augen nieder.
«Sie muss tot sein.» Helena Bjerke leerte ihr Glas. «Sie wird seit sechzehn Tagen vermisst. Ich habe mich krankschreiben lassen müssen. Ich kann einfach nicht zur Arbeit gehen.»
Cato Isaksen musterte sie mit ernster Miene. «Sie arbeiten in einer Reinigung, nicht wahr?»
«Ja, oben im City Drøbak.»
«Hat Kathrine Bekannte im Ausland?»
«Im Ausland?»
«Leute, die sie zum Beispiel in den Ferien am Mittelmeer kennengelernt hat?»
«Wir waren noch nie am Mittelmeer. Und sie ist nicht freiwillig verschwunden, wenn Sie das meinen sollten. So ist sie nicht. Sie hätte mir Bescheid gesagt, sie hätte nicht gewollt, dass ich mich um sie ängstige.»
Roger Høibakk suchte Cato Isaksens Blick. Die Stille wurde nur vom Autolärm aus der Ferne und einigen kleinen Vögeln unterbrochen, die in ihrer Frühlingslaune in einer Kiefer jubilierten.
Als Helena Bjerke sie durch das Wohnzimmer zur Haustür führte, fiel Cato Isaksen ein Kinderbild der vermissten Tochter auf. Es hing hinter dem Sofa an der Wand und befand sich in einem dicken braunen Rahmen. Ihre Augen lächelten in die Kamera. Sie hatte oben keine Zähne und ihre blonden Haare waren zu zwei starren Zöpfchen geflochten.
Kenneth Hansen Sah zwei Paar Beine an seinem Kellerfenster vorübergehen. Er ließ sich auf die Kissen zurücksinken und fluchte inniglich, griff nach der Fernbedienung und drückte die Musik leiser, die aus zwei großen Lautsprechern strömte. Einige Minuten später hörte er die Polizei die Treppe herunterkommen. Seine Mutter öffnete die Tür des Kellerraumes.
«Kenneth», begann sie, und sie benutzte ihre irritierende besorgte Stimme. Sein Gesicht war heiß, sein Hals wie ausgedörrt. Unter seinen Armen strömte der Schweiß.
Cato Isaksen musterte den ungepflegten Sechzehnjährigen, der auf dem unordentlichen Sofa herumlungerte. Er war dicklich und trug Jeans und ein schwarzes T-Shirt mit rotem Aufdruck und weißer Schrift. SOFT, stand quer über seiner Brust. Seine zerzausten braunen Haare waren offenbar lange nicht mehr gewaschen worden. Unter seinen Augen hatte er dunkle Ringe. Was kann ein Mädchen wie Kathrine Bjerke nur an so einem Gammler finden, fragte Cato Isaksen sich erstaunt.
Im Zimmer herrschte das Chaos. CD-Cover, Videos und schmutzige Kleider lagen überall auf dem Boden verstreut. Leere Colaflaschen und benutzte Teller mit Ketchupresten standen auf dem braunen Tisch. Die Luft war stickig und roch ein wenig nach Schimmel. Eine Lichtsäule ragte vor dem kleinen Kellerfenster auf. In der Säule tanzten Staubkörner.
Cato Isaksen stellte Roger Høibakk und sich selber vor und erzählte kurz, dass sie von Kathrine Bjerkes Mutter kamen. Kenneth Hansen musterte sie wütend. Er blieb stumm wie ein Fisch.
«Wir wissen, dass du im Zusammenhang mit Kathrines Verschwinden schon mehrmals vernommen worden bist», sagte Cato Isaksen jetzt.
«Scheißbullen», murmelte Kenneth Hansen.
«Was hast du gesagt?»
«Könnt ihr nicht einfach versuchen, Kathrine zu finden?»
«Bist du immer so frech? Solltest du dich nicht darüber freuen, dass wir uns bei der Suche alle Mühe geben?», fragte Cato Isaksen und ließ sich auf einer Stuhlkante nieder. Kenneth Hansens Mutter stand bei der Tür und umklammerte die Klinke.
«Hau ab», sagte der Sohn düster und nickte zu ihr hinüber. Dann erhob er sich langsam und drehte die Musik aus. Er rieb sich die Stirn und holte tief Luft. In ihm loderte die Angst mit neuer Kraft auf.
Roger Høibakk ging im Zimmer langsam hin und her. Er hob ein gerahmtes Foto auf, das in einer Ecke auf einem kleinen Tisch stand. Es war ein Farbbild der lächelnden Kathrine Bjerke. Hinter ihr, die Arme beschützend um ihre Schultern gelegt, stand Kenneth Hansen mit einer blauen, tief in die Stirn gezogenen Mütze. Auch er lächelte. Kenneth ließ den Ermittler nicht aus den Augen. «Das hat Kathrine mir geschenkt.» Die Stille danach wurde nur von den Schritten der Mutter auf der Treppe unterbrochen.
«An dem Abend, an dem Kathrine verschwunden ist ...»
«Das habe ich schon hundertmal erzählt. Sie sind von hier zu Maiken gegangen. Ich war nicht dabei. Fragen Sie die anderen.»
Cato Isaksen musterte ihn. «Kathrines Großmutter ...», fing er an, wurde aber wieder unterbrochen.
«Ich weiß. Verdammt, das weiß ich doch.» Er verschränkte beschützend die Arme vor seinem Bauch und wiegte sich hin und her. «Maiken hat angerufen und alles erzählt.»
«Kathrines beste Freundin?»
Kenneth Hansen nickte.
«Wir werden so bald wie möglich mit ihr reden», sagte Cato Isaksen und setzte dann die Vernehmung fort. «Hast du die Großmutter gekannt?»
Читать дальше