»Dich hält man auch nicht für eine CIA-Agentin, die in die Privatwirtschaft gewechselt ist.«
»Was ich schon immer mal wissen wollte: Warum macht ein Mann wie du so einen Job? Ich habe gehört, du warst auf einem guten College?«
»Weil ich es gelernt habe. Erst bei einer Spezialeinheit der Army, später bei den Navy Seals, und danach im Dienst gewisser Regierungsorganisationen. Klingt vielleicht komisch, aber dazu gehörte auch ein gewisser Patriotismus.«
Sie hielt seinem Blick stand.
»Und heute? Bei Blackbird Global Security geht es dir nur noch um das Geld?«
»Eine halbe Million Dollar für diesen Auftrag – das ist mehr als ›nur Geld‹.«
Und er fuhr fort: »Mein Großvater hat sich freiwillig als Henker gemeldet. Das ist in Arizona ein Ehrenamt. Und mein Vater hat im Staatsgefängnis von Arizona gearbeitet. Er war für die Death Row zuständig, für die Abteilung mit den Todeskandidaten.«
»Töten ist also eure Familientradition?«
»Könnte man so sagen.«
Er stand abrupt auf.
»Es reicht. Ich rede zu viel!«
McGovern ging auf den Balkon hinaus. Wie ein Scherenschnitt hob sich seine Silhouette scharf gegen den helleren Hintergrund ab.
Bevor sie sich an diesem Abend verabschiedete, gab sie ihm eine Telefonnummer.
Geschäftsmäßig sagte er, er werde das Dossier bis zu ihrem nächsten Treffen morgen Mittag durchsehen und durchlesen.
Kaum hatte sie die Tür der konspirativen Wohnung hinter sich ins Schloss gezogen, ärgerte er sich über sich selber. Er hätte nicht so viel erzählen sollen. Whiskey und Frauen machten ihn redselig. Ein alter Fehler in seinem Gewerbe.
Nachdem er geduscht hatte, fühlte er sich besser. Er zog den bereitliegenden Bademantel an, nahm ein Sandwich aus dem Kühlschrank und öffnete eine Flasche Wasser. Dann machte er es sich auf dem Ledersofa bequem und begann zu arbeiten.
Ein beeindruckendes Dossier hatte seine neue Partnerin da zusammengestellt. Mit Beschreibungen und Gewohnheiten der Zielpersonen. Lebensläufe, Berufe, Geschäfte, Familien, private Vorlieben – sie hatte an alles gedacht. Sogar an ein Orts- und Namensregister.
Er machte sich Notizen, skizzierte Ideen und verwarf sie wieder. Ein Blatt legte er zur Seite. Und bevor er das Dossier mit der Kassette in das tiefgekühlte Geheimfach zurücklegte, notierte er sich alle fünf Namen. Den wichtigsten markierte er mit einem Ausrufezeichen: Malte von Mellin!
Nach einigem Suchen fand er auch die Notiz wieder, die er sich noch im Flugzeug vor der Landung in Hamburg gemacht hatte: Monday, 26th, 2 p.m. – Little Girl’s Birthday Party, Herrensee Castle .
Herrensee, Montag, 26. Juli 1993
Es war so ein Morgen, an dem selbst hartgesottene Atheisten gläubig werden könnten. Jedenfalls, wenn sie Golfspieler sind.
In aller Herrgottsfrühe war ich am ersten Abschlag gestartet, ohne in den nächsten beiden Stunden auch nur einer einzigen Menschenseele zu begegnen. Die paradiesische Ruhe. Das prächtige Sommerwetter. Die norddeutsche Landschaft mit den Laubwäldern und Rapsfeldern im Hintergrund! Das an diesem Tag noch jungfräulich unberührte Gras der Fairways, die sich über Hügel hinzogen, die Bäche überquerten und an Seen entlangliefen, auf denen Schwanenpaare ihrem Nachwuchs vorausschwammen. Es war wirklich zum Niederknien! Und dazu wehte auch noch ein kleiner Wind das Glockengeläut der Dorfkirche herüber.
Sogar mein Spiel schien an diesem Morgen von ganz oben gelenkt zu werden. Anders als sonst umfassten meine Hände die Griffe der Schläger nicht zu fest. Ausholbewegung und Durchschwung waren rund und locker. Die Eisenköpfe fegten präzise über die Grasnarbe. Und die Bälle flogen mit einer selbstverständlichen Leichtigkeit weit und gerade, hoch und kurz, flach und gefühlvoll – genau so, wie ich es gewollt hatte. Selbst Bunkerschläge waren kein Problem. Und natürlich machen an so einem begnadeten Golftag auch die Putts keinen Ärger. Im Gegenteil. Nach fein dosierten Schlägen liefen die kleinen weißen Bälle mit einem zufriedenen »Plopp« in die Löchern, als hätten sie Heimweh gehabt.
Leider war nur die Sonne mein Zeuge. Sie strahlte von einem blauen Himmel, an dem nur vereinzelte Schäfchenwolken weideten. Obwohl mein bester Schlag – jeder Golfer hat auf jeder Runde wenigstens einen Schlag, von dem er noch tagelang erzählt – doch nicht unbemerkt blieb. Es war eine besonders schwierige Annäherung aus dem Semirough. Ich nahm das Lobwedge und machte einen lockeren Probeschwung. Den Ball legte ich zwischen die etwas geöffnet stehenden Füße, ein wenig rechts von der Mitte. Während ich konzentriert ausholte, fixierten meine Augen den Ball. Der flog, von dem 60-Grad-Schläger ein wenig unterschnitten, beinahe senkrecht in die Höhe, überquerte eine etwa zehn Meter hohe Baumgruppe und verharrte einen längeren Moment auf dem höchsten Punkt, bevor er wieder von der Anziehungskraft der Erde erfasst wurde. Dann landete er mitten auf dem Grün. Kaum einen Meter von der Fahne entfernt.
Als ich den Ball aus dem Loch holte und die Fahne zurücksteckte, hörte ich eine Stimme: »Glückwunsch! Superschlag!«
Leider war es Jansen: der Vermögensberater und Schwarzgeldinvestor Dr. Laurenz Jansen. Er hatte auf einem gegenüberliegenden Abschlaghügel gestanden.
»Wollen wir die Runde zusammen weiterspielen?«, fragte er.
Ich lehnte dankend ab, sagte, ich sei in Eile und hätte gleich eine Verabredung im Clubhaus.
Jansen sah beleidigt aus. So wird er mir in Erinnerung bleiben, denn es war meine letzte Begegnung mit ihm, bis zu dem dramatischen Ereignis, dem er drei Wochen später nur wenige hundert Meter entfernt zum Opfer fallen sollte.
Zufrieden beendete ich an diesem Montagmorgen mein Spiel. Das Ergebnis konnte sich für einen Bogey-Spieler wahrhaftig sehen lassen: Auf der Scorekarte zählte ich 83 Schläge. Fünf Schläge besser als mein aktuelles Handicap!
So eine ideale Runde und so ein perfekter Vormittag waren allerdings nur ein mehr als gerechter Ausgleich für all jene Qualen, Demütigungen und Verzweiflungsattacken, die einem dieses Spiel zufügen kann. Denn allzu oft nur verschwinden Abschläge spurlos in der Wildnis. Annäherungsbälle hoppeln wie desorientierte Feldhasen in der Gegend herum. Und Putts rollen mit peinlicher Regelmäßigkeit an den Löchern vorbei. An solchen Tagen ist Selbstmord eine denkbare Alternative. Golfspieler wissen, wovon ich rede.
Aber an diesem Montagmorgen war ich so lebensfroh wie lange nicht, als ich auf dem Parkplatz meinen Trolley zusammenlegte und die Schlägertasche im Kofferraum verstaute.
Da geschah ein weiteres Wunder. Ein kerniges Röhren näherte sich aus der von Linden gesäumten Zufahrtstraße. Vögel flatterten auf. Aus den Augenwinkeln sah ich, wie ein paar Meter weiter ein Maserati Spyder hielt. Knallrot mit Speichenrädern. Mit einem letzten kernigen Blubbern verstummte der Achtzylindermotor. Die Fahrerin nahm schwungvoll ihr Kopftuch ab, schüttelte eine dunkelblonde Mähne mit hellen Strähnen und schob eine übergroße Sonnenbrille ins Haar. Und dann sprach eine lange nicht gehörte, leicht angeraute Stimme:
»Das ist ja eine Überraschung! Was machst du denn zu dieser Zeit schon hier, Bogey?«
Es war Irma ...!
Neben ihr kletterte ihre kleine Tochter vom Beifahrersitz. Ein süßes Mädchen mit einer großen Schleife im Blondhaar.
Während Irma das Faltverdeck schloss, kam die Kleine angelaufen.
»Wer bist du denn?«, rief sie.
»Ich bin Jonas«, sagte ich. »Du kannst auch Bogey zu mir sagen.«
»Bogey ist lustiger.«
»Und wer bist du?«
»Ich bin Lena. Ich bin jetzt schon sooo alt!« Sie streckte fünf Finger in die Luft.
Ich gratulierte ihr, schüttelte lange ihre Hand und warf sie schließlich hoch in die Luft, wie ich das früher mit meiner Tochter auch gemacht hatte.
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