»Nein, ich weiß.«
»Ich möchte mit dir über etwas reden.«
»Können wir das nicht später, Lotta. Ich kann das im Augenblick nicht.«
»Wieso kannst du das nicht? Aber Jessica misshandeln, dass konntest du offenbar!«
»Hat sie das gesagt? Hat sie gesagt, dass ich sie misshandelt habe?«
»Du hast sie geschlagen, hat sie gesagt. Und sie war total erschüttert. Sie ist noch nie vorher geschlagen worden, Johnny, noch nie. Begreifst du das? Noch nie hat jemand die Hand gegen sie erhoben. Du bist der Erste, der das gemacht hat. Der Mann, den ich liebe ...«
»Lotta!«
»Und vielleicht war das ja gar nicht das erste Mal.«
»Nun hör aber auf!«
»Man kann ja nie wissen. Das war jedenfalls dumm, mit Gewalt richtet man gar nichts aus. Ich dachte, du als Feuerwehrbeamter würdest das am besten wissen.«
»Feuerwehrmann, Lotta. Nicht Beamter.«
»Nun häng dich nicht an Worten auf!«
»Okay, okay. Ich gebe ja zu, dass das dumm war. Ich habe ganz einfach die Nerven verloren. Sie hat mich provoziert ... bis ich geplatzt bin. Du weißt doch, wie sie ist.«
»Das ist keine Entschuldigung.«
»Verzeih mir.«
»Johnny ... Wir müssen jetzt vorsichtig mit ihr sein, sie ist in einem empfindlichen Alter. In dem mit den Kindern alles schief gehen kann. Ich meine, wenn sie sich zu Hause nicht wohl fühlen. Dann können sie abhauen und auf die schiefe Bahn geraten. In schlechte Gesellschaft kommen. Mit allem, was damit zusammenhängt.«
Es ist dein Kind, dachte er. Aber er sagte es nicht.
»Johnny, ich will das nicht so haben, ich möchte, dass wir es schön miteinander haben.«
»Aber das will ich doch auch.«
»Außerdem hat sie Bauchschmerzen, sie hat ihre Menstruation. Wir müssen ein bisschen Geduld mit ihr haben. Mädchen sind so empfindlich.«
»Okay. Ich werde mir Mühe geben.«
»Ich habe noch zwei Kundinnen, dann fahre ich nach Hause. Hast du was eingekauft?«
»Sollte ich das?«
»Ich habe einen Zettel geschrieben und ihn an den Kühlschrank geklebt.«
»Den habe ich nicht gesehen, hier ist so viel passiert, Almis ist tot. Wir hatten einen Alarm heute Nacht, und er ist aus dem Feuer nicht wieder rausgekommen.«
»Tot! Was sagst du – Almis ist tot?«
»Ja.«
»Mein Gott, Johnny! Das kann doch nicht wahr sein!«
»Doch, leider stimmt es.«
»Aber warum hast du das denn nicht gleich gesagt? Und warum haben sie nichts im Radio gebracht? Ach nein, wir haben heute ja gar kein Radio gehört, da ist irgendwas kaputt mit dem Apparat, wir müssen einen neuen kaufen, der alte funktioniert nicht mehr.«
Er schwieg.
»Johnny«, sagte sie, und ihre Stimme klang angespannt und schrill. »Du musst doch heute Nacht nicht arbeiten, oder?«
»Doch«, sagte er. »Doch. Ich werde arbeiten.«
Franki machte sich immer zuerst auf dem Fahrrad warm. Wenn es noch frühmorgens war, fuhr er mit einem Widerstand von sechzehn, war es schon später am Tag, konnte er bis auf zweiundzwanzig hochgehen. Anfangs, als er die Wohnung gerade neu bekommen hatte, stellte er seinen Radiowecker immer auf halb sechs, um dann aufzustehen und zu trainieren. Um diese Uhrzeit war er noch so verdammt müde. Und so frustriert.
Inzwischen wachte er von allein auf. Das war allein eine Frage des Willens. Sonst nichts. Vollkommene Kontrolle über das eigene Dasein. Nur darum ging es. Und der Schlüssel dazu war, das er einfach anfing. Darauf achtete, sofort aus dem Bett zu springen, sobald das Radio einsetzte, ab in den Trainingsraum, fünfzig Minuten hartes Training, duschen und dann ein ordentliches Frühstück. Anschließend war er bereit, dem Tag in die Augen zu sehen und allem, was dieser wohl für ihn bereithielt. Oder für ihn im Schoß hatte, wie Mutter sich auszudrücken pflegte.
Das Leben war leichter geworden, seit er den Kontakt zu Roger abgebrochen hatte. Das war zum Schluss nur noch chaotisch gewesen, überhaupt nicht so, wie er es geplant hatte. Franki hatte ihn in Verbindung mit dem von seinem Vater geerbten Geld kennen gelernt. Er hatte sich lange mit dem Gedanken getragen, etwas Eigenes zu gründen. Zum Beispiel ein Sportstudio. Zu der Zeit trainierte er bei Aiskilos im Sveavägen. Und dort lernte er auch Roger kennen.
Roger war in seinem Alter. Er arbeitete als privater Fitnesstrainer und war äußerst geschätzt, besonders von verfetteten Vierzigjährigen, die langsam ahnten, dass ihre Glanzzeit dem Ende zuging. Als Franki Roger von seiner Idee erzählte, stellte sich heraus, dass dieser schon seit mehr als einem Jahr die gleichen Pläne hatte.
Also beschlossen sie, Kompagnons zu werden. Sie mieteten Räume an der Tulegatan und warfen allen alten Plunder hinaus, renovierten und kauften die notwendige Einrichtung. Das war eine schöne Zeit, voller Erwartung und Zufriedenheit. Er dachte oft daran, nicht mit Verbitterung, sondern eher mit einer Art ungewohnter Wehmut.
Dann sollte es losgehen. Aber da war es nicht mehr schön, und das lag an Roger. Er hatte versprochen, Kunden zu besorgen, hatte groß mit seinen weitläufigen Kontakten geprahlt. Doch plötzlich verschwand er einfach.
Es wäre zu peinlich gewesen, bei Aiskilos anzurufen und zu fragen, ob die wüssten, wo er war. Doch nach ein paar Tagen traf Franki ein Mädchen von dort in der Schlange vor dem Bankautomaten. Sie erzählte, dass Roger wegen Unterschlagung und Betrugs zu einer Gefängnisstrafe verurteilt worden war.
»War dir das denn nicht klar?«, fragte sie, und ihr Pferdeschwanz schaukelte verächtlich hin und her. »Man konnte ihm doch ansehen, dass er ein Gauner war!«
Es gelang Franki, einen Teil der Einrichtung zu sich zu schaffen, bevor der Konkurs eröffnet wurde. Aber ansonsten war er vollkommen abgebrannt. Seine Mutter hatte nichts dazu gesagt, in der Beziehung war sie sehr diskret. Stattdessen hatte sie versucht, ihm zu helfen. Sie war es übrigens auch, die diese Wohnung für ihn gefunden hatte. Sie lag an der Persikogatan in Hässelby Strand, im Erdgeschoss eines Mietshauses. Als er sie zum ersten Mal sah, störte ihn der Gedanke, ebenerdig wohnen zu müssen. Er dachte an Einbrüche und an Kinder, die ihn ärgern und Dreck gegen die Fenster werfen konnten. Aber es war schwierig, eine billige Wohnung zu finden. Also hatte er keine große Wahl.
Seine Mutter lieh ihm Geld für ein paar Gitter in schwarzem, gedrehtem Schmiedeeisen. Die setzte er vor die Fenster – und das half. Nur einmal hatte ein Kind draußen gestanden und ihn angestarrt. Da hatte Franki sich seine Mütze aufgesetzt und so getan, als wollte er rausgehen. Er hatte das Licht in der ganzen Wohnung gelöscht und war im Dunkeln stehen geblieben, unsichtbar, abwartend. Und schließlich war das Kind davongetrottet.
Im Sommer wurde die ganze Wohnung von duftenden Rosenbüschen versteckt, da konnte er auf der Terrasse sitzen und sich einbilden, er wäre ganz woanders. InVisby. Oder im Ausland, in Spanien, auf Kos. Zumindest solange, bis ein U-Bahn-Zug in die Station einlief, fauchend und stinkend wie nach einer besonderen Leistung. Es gab auch ein Stückchen weiter noch eine Bushaltestelle, aber an das Busgeräusch hatte er sich gewöhnt, er hatte so lange damit gelebt, dass es zu einem Teil seiner selbst geworden war.
Die Übungsgeräte hatte er in das größere der beiden Zimmer gezwängt. Das war sicher eigentlich als Wohnzimmer gedacht, und seine Mutter hatte sich darüber beklagt, wie er es eingerichtet hatte. Aber schließlich musste sie es doch akzeptieren.
»Na, es ist sicher gut, dass du dich fit hältst«, erklärte sie. »Man soll auf sein Humankapital achten, das ist das einzige Vermögen, über das man wirklich verfügen kann.«
Das andere Zimmer, das kleinere, hatte er mit ihrer Hilfe eingerichtet, und hier hatte sie ihre weibliche Fantasie und Schöpferlust voll entfaltet. Die Gardinen waren gelb und gebauscht, wie Taschen genäht, in die leicht zusammengeknülltes Seidenpapier gestopft wurde. Aus dem gleichen Stoff war die Tagesdecke und eine staubige kleine Decke, die auf der Anrichte lag. Sie hatte ihm angeboten, sie ab und zu zu waschen und sich sowieso um seine Wäsche zu kümmern. Aber das hatte ihn sehr verletzt.
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