Inger Frimansson
Insel der nackten Frauen - Psychothriller
Aus dem Schwedischen
von Paul Berf
Saga
Insel der nackten Frauen – Psychothriller Übersetzer Paul Berf Coverbild / Illustration: Shutterstock Copyright © 2004, 2020 Inger Frimansson und SAGA Egmont All rights reserved ISBN: 9788726445008
1. Ebook-Auflage, 2020
Format: EPUB 2.0
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Ende September
Sie weckte ihn im Morgengrauen. Ihre Stimme war von der Nacht noch heiser und klang verzerrt.
»Tobias . . . Wach auf, es ist so weit. Der Wind hat sich gelegt.«
Er hatte seine Hand zur Faust geballt und den Arm über dem Kopf unnatürlich abgewinkelt. Als die Stimme in sein Bewusstsein drang, schoss seine Faust vor, als wolle er sich verteidigen, und seine Finger schlugen gegen die Wand. Noch halb schlafend fluchte er.
»Verdammter Mist, ich komme gleich.«
Sie hatte im Flur Licht gemacht und unter ihrem Nachthemd erahnte er die Konturen ihres kräftig gebauten Körpers. Er stand auf, und die Haare fielen ihm in die Augen. Der durchdringende Tiergeruch hatte sich festgesetzt, hing in jedem Haar, fraß sich tief in die Hautzellen hinein. Er hatte die Mütze im Stall nicht abgenommen, doch das half nichts.
Bei seiner Ankunft am Donnerstag war ihm aufgefallen, dass auch sie so roch. Sie war sich dessen sicher nicht bewusst.
»Ich gehe mich anziehen.« Ihre Stimme war noch nicht ganz die normale Sabina-Stimme, klang schwerfällig und gepresst. Die Treppenstufen quietschten unter ihrem Gewicht, er hörte sie atmen.
»Okay, ich komme«, flüsterte er in den Raum hinein.
Tobias zog die Rollläden hoch und schob die Gardine zur Seite. Das Gras war mit Raureif bedeckt, scharf und kalt. Er hatte an die Wand gedrängt geschlafen. Im schwachen Säuseln der Heizung, dem Blutkreislauf des Hauses, hatte er dicht neben der großen Ader gelegen und sich am Lebendigen gewärmt.
Der eigene Geruch, intensiv und vertraut, hatte sich nun mit dem Geruch der Tiere vermischt. Die ganze Luft war von ihren Ausdünstungen und Lauten erfüllt.
Er roch nicht mehr nach sich selbst, und das gefiel ihm nicht.
Mitten im Zimmer stand er aufgerichtet und müde und suchte seine Kleider zusammen. Die Tapete war noch die gleiche wie früher, breite silberweiße Streifen zwischen Ornamenten. Die klobigen altfränkischen Möbel, die Couch mit ihrem Gobelinbezug. Kein Mensch schaffte es, längere Zeit auf den üppigen Polstern auszuharren, denn die Neigung der Rückenlehne war ein anatomischer Scherz. Als Kind hatte er sich zwischen den Märchenbäumen des Musters verkrochen, und seine Fingerspitzen waren über den rauen Samt gefahren.
Man konnte sie ausziehen und als Bett benutzen. Görel und er hatten frisch vermählt darauf gelegen, mucksmäuschenstill und atemlos, während sie sich liebten. Görel hatte sich in diesem Haus nie wohl gefühlt, nicht einmal dann, wenn sie alleine waren. Die ungewohnten Geräusche und das Knacken im Gebälk ließen sie verkrampfen, sodass sie von ihrem Stuhl aufstand und nervös zwischen den Fenstern hin und her ging:
»Ich weiß, dass da draußen jemand ist, Tobi, jemand, der ins Haus will!«
Es hatte ihn viel Mühe gekostet, sie wieder zu beruhigen.
Draußen hatten die Hunde bereits bemerkt, dass die Menschen wach waren. Er hörte ihr dunkles, ruhiges Bellen, sie kannten ihn. Ihren Ohren entging nicht der geringste Laut. Manchmal streckten sich ihre Kehlen plötzlich, und ihre Schnauzen hoben sich zu einem Urlaut, dem Wolfsgeheul, gen Himmel. Ein Mensch am Waldsaum! Ein Reh!
Die meiste Zeit blieben sie im Zwinger. Sie waren keine Schoßhündchen, sondern Wach- und Jagdhunde, die darüber hinaus das Vieh zusammenhalten sollten.
Sabina stand in der Küche. Mittlerweile hatte sie sich angezogen und trug die grüne Jogginghose und den Pullover mit den viel zu langen Ärmeln. Sie hatte die Ärmel an den Handgelenken umgeschlagen, aber sie rutschten immer wieder herunter. Sie rieb sich die Hände mit Handcreme ein, knetete und massierte sie.
»Der Kaffee ist gleich fertig.«
Tobias nickte, setzte sich auf den Stuhl am Fenster und hörte ihre Fersen auf dem Teppich. Die Margarine, ein klebriges Buttermesser, das aus ihr herausragte, Leberwurstscheiben, die zusammenklebten und an den Rändern eingetrocknet waren. Jetzt schnitt sie Tomaten und die Kerne schwammen in ihrem Saft.
»Wenn du möchtest, kann ich dir auch etwas Grütze kochen, davon wird einem richtig warm.«
»Grütze?«
»Ja, Hafergrütze.«
»Nein danke, bloß nicht. Davon hat mir meine Mutter als Kind schon mehr als genug reingezwungen.«
Sie wandte ihm den Rücken zu. Ihre Haare hatte sie zu einem dicken Zopf geflochten, der warm glänzend auf dem Rücken hing.
»Hast du schlafen können?«, fragte sie.
»Ja, ich habe geschlafen.«
»Ist das Bett auch gut genug? Für jemanden wie dich?«
»Jemanden wie mich, jetzt hör aber auf.«
Ihre Augen waren wie schiefe Striche auf einer bleichen Fläche.
»Ich könnte mir vorstellen, dass du Besseres gewohnt bist, immerhin bist du schon mal im Fernsehen gewesen und so.«
Er gab ihr keine Antwort. Sie hatte das Klappbett vom Speicher heruntergeschleppt und zusätzlich noch eine zweite Matratze darauf gelegt. Wenn er ehrlich war, hatte er schon bequemer geschlafen. Aber sie hatte sich immerhin Mühe gegeben, und das rührte ihn. Langsam verstrich er Butter auf einer Scheibe Pumpernickel und zupfte ein paar Wurstscheiben auseinander. Ein Scharren an der Tür ließ ihn aufblicken. Sabinas Gesicht war weich und offen, sie sah ihn an und lächelte.
»Er hat es gelernt, er ist jetzt stubenrein«, sagte sie zufrieden.
Er war ein Welpe, ein Golden Retriever, nichts wirklich Nützliches. Der Alte hatte ihr den Hund gekauft, weil sie sich nach etwas Weichem sehnte. Sie öffnete die Tür, und ein Hauch eisig kalter Morgenluft strich entlang der Fußleisten ins Haus. Der Hund machte einen Satz über die Türschwelle, und seine Pfoten kratzten über den Fußboden. Sabina ging in die Hocke, und ihre Hand lag groß und platt auf dem Kopf des Welpen.
»Wie hast du ihn noch mal genannt?«, fragte er.
»Das hab ich dir doch schon gesagt. Frett.«
»Fred?«
»Nein, Frett, das hörst du doch.«
»Frett? Das klingt ja wie Frettchen, das ist doch ein Iltis.«
»Wie bitte?«
»Frettchen ist ein anderer Name für Iltis.«
»Er ist mir einfach so eingefallen. Er ist schön kurz, und der Hund hört auf ihn, wenn man ihn ruft. Er kommt sofort.«
Breitbeinig setzte sie sich ihm gegenüber hin, den kleinen Hund im Arm. Die hellen Pfoten lagen angewinkelt auf ihrem Arm. Auf einmal war er seltsam schüchtern, so als würde sie etwas von ihm erwarten, zum Beispiel, dass er etwas sagte oder seltsame Laute von sich gab.
»Frett«, sagte er nachdenklich. Die Ohren des Hundes bewegten sich.
»Sie sind ja so süß, diese kleinen Racker«, flötete sie.
»Sicher.«
Sie zog an den warmen Ohren des Hundes.
»Löwenbabys sind auch süß«, rutschte ihm heraus, »genau wie kleine Tiger.«
Auf der Treppe waren jetzt schwere Schritte zu hören. Adam war aufgewacht. Er war unrasiert, und seine strähnigen Haare hingen platt am Hals herab. Er ging geradewegs zum Tisch und ließ sich neben seiner Mutter auf einen Stuhl fallen. Der Hund gab leise schrille Laute von sich. Adam warf ihm einen verwirrten Blick zu.
»Du machst ihm Angst«, sagte Sabina. »Man muss sich ruhig verhalten, wenn man mit Tieren zusammen ist, das weißt du doch. Man darf nicht so einen Radau machen.«
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