Leutnant von Osten hatte sich entzückt den Schnurrbart gestrichen: wirklich pyramidales Glück! Seine kleine Braut war ein Ideal. Sie war ordentlich poetisch, als sie, sich an ihn lehnend, verschämt flüsterte:
„Mein Carlo! Wo du hingehst, will ich auch hingehen. Dein Volk ist mein Volk, dein Gott mein Gott!“
Sie hatten sich dann zärtlich in die Augen geblickt und lange die Hände gehalten. Das war ein Glück!
Mama Röder vergass ihren geistlichen Berater und ihre Gewissenspein, Papa Röder schmunzelte über das ganze behäbige Gesicht: einen Freiherrn zum Schwiegersohn, schön, jung, reich, das waren Aussichten! Und Gott sei Dank, man hatte die Gewissheit, die Tochter nicht des Geldes wegen geheiratet zu sehen!
So war der grosse Tag endlich herangekommen, der Himmel wolkenlos, strahlend blau. In die Schlosskirche strömte es. Feiertag, schönes Wetter, die bequeme Stunde: zwei Uhr — und dann, was würde es zu sehen geben! Blumen, Toiletten, Luxus, Glanz.
Die ganze Mädchenwelt der höheren Kreise war eingeladen. Anselma von Koch, Lena Röhling, Milchen und Tonchen Zänglein, noch ein paar flotte Offizierstöchter und zwei steinreiche Cousinen Röder waren Brautjungfern; sie würden sich ausgezeichnet neben den sporenklirrenden eleganten Kavalieren ausnehmen. Viele Hoffnungen waren in die funkelnagelneuen Hochzeitstoiletten hineinphantasiert worden; sollten die sich erfüllen, gab’s mindestens ebensoviel neue Hochzeiten binnen nächstem, als Brautführerpaare da waren.
‚Wenn die Hoffnung nicht wär’, wenn die Hoffnung nicht war’‘! Ganz recht, nur dass die Hoffnungen verschieden aussehen. Hier wickelten sie sich alle in lange weisse Schleier und trugen Myrtenkränze
*
Nelda Dallmer hatte auch Hoffnungen.
Zwei Monate waren verstrichen seit jenem Abend bei Xylanders, an dem Leutnant von Ramer ihr beim Nachhausegehen so energisch die Aussichtslosigkeit seiner Zukunft vordemonstriert hatte. Sie hatten sich seitdem oft und viel getroffen — war es Zufall, war es Absicht? In einer kleinen Stadt stossen die Leute leicht aufeinander, wenn sie sich nicht gerade absichtlich aus dem Wege gehen; und das taten die beiden nicht.
Mit den linderen Lüften erwachte die Lust zum Spazierengehen. Ramer schritt öfters am Dallmerschen Hause vorüber ins Freie; und an besonders schönen Tagen machte der Regierungsrat, auf den Arm seiner Tochter gestützt, eine Promenade die Chaussee weiter hinaus. Das erste Mal, als sie sich begegneten, schritten sie stumm grüssend an einander vorbei. Das zweite Mal trafen sie sich in einem kleinen Seitentälchen des Rheins unter eben knospenden Büschen, da blieben sie stehen.
Der Pfad war schmal, ein Ausweichen nicht möglich; Nelda machte die Herren miteinander bekannt, man merkte ihr die Lust an, mit der sie es tat. Ihre Augen strahlten vor Freude auf. Wie sie in dem einfachen Kleid dastand, die ersten bescheidnen Frühlingsblumen in der Hand, frisches gesundes Rot auf den Wangen, erschien sie dem Manne begehrenswert. Nicht zum Besitzenmüssen, nicht zum Erkämpfen allem zum Trotz — nein, zum Daranfreuen, zum angenehmen, erquickenden Gruss an jedem Tag.
‚Und warum soll ich nicht?‘ dachte Ferdinand von Ramer. ‚Soll ich mir selbst diese unschuldige Freude versagen? Sie kennt ja meine Aussichten, und sie ist ein vernünftiges Mädchen!‘
Dallmers machten nicht im geringsten ein Haus, des Regierungsrats Kränklichkeit entschuldigte das. Zu vermeiden war’s aber nicht, dass Leutnant von Ramer eines Tages Besuch machte, lediglich um sich nach dem Befinden des Hausherrn zu erkundigen; er hatte diesen während mehrerer Tage auf dem Spaziergang vermisst.
„O, nur eine leichte Grippe, eine ganz leichte Grippe,“ hüstelte Dallmer.
Sie sassen in der Studierstube, oben im ersten Stock; trotz der leichten Dämmerung fielen dem Besucher die hektische Röte, die glänzenden Augen des Rats auf. Sie unterhielten sich gut miteinander, Politik bildete das Hauptgespräch. Ramer hatte für einen Offizier ein ziemlich klares Urteil, wie es den Menschen eigen ist, die nicht als Herdentier, sondern ein wenig abseits, für sich allein leben. Dallmer freute sich, das Echo seiner Gesinnung zu finden. Die brennendsten Tagesfragen, die Stichworte flogen hin und her. Derweilen lehnte Nelda am Fenster. Sie hatte sich zurückgezogen. Es war kein Gespräch für ein junges Mädchen — mit zwanzig Jahren lassen die Fragen der Politik recht kühl — aber sie neigte doch den Kopf vor und liess kein Wort ungehört vorüberstreifen. Mochte Deutschland untergehn, alles über den Haufen fallen — in diesem Augenblick wäre es ihr nichts gewesen. Wenn er nur da sass, gegenüber dem Vater, und ein so angeregtes, heitres Gesicht machte wie sonst nie!
„Ein sehr netter Mensch,“ sagte Regierungsrat Dallmer zu seiner Frau, als diese zwei Stunden später aus ihrem Bostonkränzchen nach Hause kam.
„Mein Gott, was will der hier?!“
„Aber Lorchen, muss er denn gleich was wollen? Ich habe mich vorzüglich mit ihm unterhalten; er hat eine selbständige Meinung und vertritt sie auch, das ist etwas wert in der Welt.“
„Ja, Papa, wenn der Leithammel ‚Bäh‘ schreit, schreien sie sonst auch alle ‚Bäh‘!“ Nelda war ganz übermütig und lachte ausgelassen.
„Nelda, Nelda!“ Frau Rätin setzte sofort im Klageton ein. „Diese entsetzliche Ausdrucksweise! Hörst du so etwas von einer deiner Altersgenossinnen? Ich hatte schon gehofft, du liessest es jetzt, du warst in letzter Zeit etwas weiblicher.
„Geh jetzt mal gleich hinunter und sieh, was die Laura tut. — Und ich sage dir, Dallmer, mir ist das gar nicht angenehm, dass der Leutnant hier Besuch gemacht hat — wozu?! Du sitzest immer in deiner Stube bei den Akten, du siehst von Gott und der Welt nichts, du solltest aber mal im Kaffee hören! Ein junger Mann macht unaufgefordert in einer Familie Besuch, wo ein junges Mädchen ist, ohne dass er Absichten hat! Und er hat ja nichts, rein nichts! Die Schmidt sagt, für die geisteskranke Mutter in Endenich bezahlen die Verwandten. Was das kosten mag! Und die Zänglein sagt — — na!“ Sie schüttelte den Kopf und hob das spitze Näschen in die Luft, als wittre sie Unheil; ihre Stimme erhielt den tragischen Ton einer Sibylle: „Ich sage dir, Dallmer, mir ist es sehr unangenehm — und nicht mal einen anständigen Namen! O — o! Könnte es nun nicht anders sein?! Nie etwas Angenehmes!“
„Nun höre aber auf, Lorchen,“ sagte der Regierungsrat fast gereizt, „das sind die reinen Hirngespinste. Davon kann ja gar keine Rede sein, dazu ist der Mensch viel zu verständig und Nelda auch!
Viel zu verständig —?! Nelda liess die Tür hinter sich zuklappen — sie hatte bis dahin lauschend auf der Schwelle gestanden — es gab ihr einen Stich durchs Herz. Aber als sie die Treppe hinunterschritt, warf sie trotzig den Kopf in den Nacken.
„Warum denn nicht? Nun gerade!“
Dachte Nelda Dallmer noch an jenes ‚viel zu verständig‘, als jetzt Orgelklänge sie umbrausten und sie, als erste der Brautjungfern, dicht am Altar hinter der Freundin stand?! Die Leute waren erstaunt über ihr Erscheinen; man hatte eigentlich gar nicht an Nelda Dallmer gedacht.
Durch die bunten Kirchenfenster flutete ein warmer Lichtstrom. Er tänzelte über die teppichbelegten Quadrate des Steinbodens, über die hohen Lorbeer- und Myrtenbüsche, über die Blumensträusse in den Händen der jungen Damen, über die leuchtende Glatze des hochwürdigen Oberkonsistorialrats Zänglein und über den weissen Schleier der Braut. Der warme Strahl legte sich auf Nelda Dallmers Haar, dass es goldig glänzte.
‚Wo du hingehst, da will ich auch hingehen; wo du bleibst, da bleibe ich auch. Dein Volk ist mein Volk, und dein Gott ist mein Gott. Buch Ruth, Kapitel I, Vers 17.‘
Das war der Trautext, die junge Braut hatte ihn selbst gewählt. Schauer auf Schauer überlief Neldas Rücken; sie hörte nicht den salbungsvollen Ton, nicht die blühenden Floskeln des Kanzelredners, vor ihre Augen trat die Gestalt der treuen Moabitin, greifbar, lebendig. Die biblische Landschaft verwandelte sich in wohlbekannte Gefilde, der Rhein floss, die Häuser lagen diesseits und jenseits. Die Moabitin verschwand — es war die eigne Gestalt, die dort wanderte. Sie sah sich selbst, Nelda Dallmer, im schlichtesten Kleid — Menschen hasteten vorüber ohne Gruss — sie ging mit zuversichtlichem Schritt, sie lächelte. Und neben ihr wanderte einer — sie ergriff seine Hand, sie sah ihn an mit dem Blick höchster Liebe: „Wo du hingehst, will ich auch hingehen; wo du bleibst, bleibe ich auch!“ — — —
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