1 ...7 8 9 11 12 13 ...20 „Auf dein Glück!“ erwiderte die Braut.
„Kommen Sie, Herr von Ramer, darauf stossen wir auch einmal an!“ Nelda rief es übermütig und hob rasch ihr Glas an das seine. Ihre Blicke begegneten sich — ein heftiger Ruck — kling klang — zerbrochen, der dünne Stiel durchgeknickt. Auf dem Tische lagen Scherben, und der Wein floss über das weisse Tuch. Wie unangenehm! Gut, dass Frau Rätin im Nebensaal speiste.
Die Tafel wurde aufgehoben, man schwärmte zum Kotillon aus. Nelda Dallmer und Leutnant von Ramer tanzten auch den zusammen. — — —
So ging das herrliche Fest zu Ende. In der Garderobe dasselbe Bild wie zu Anfang: rauschende Mütter, wispernde Töchter, segelnde Fregatten, geschwellt vom Gefühl des Triumphs. Aber das Gespräch der Mütter nicht mehr so flüssig, bleischwer senkte sich die Abspannung herab. Die Haare der Töchter nicht mehr so lieblich geordnet; mit gelöstem Lockengekräusel, verschwitzten, glühenden Gesichtern, zerdrückten Kleidern glichen sie Mänaden.
Es zog furchtbar auf der Schiffsbrücke. Die dunklen Wellen des Stroms wurden vom Wind gepeitscht; am Himmel jagten sich Wolken, für Augenblicke schimmerte ein klägliches Mondlicht vor, aber es wurde gleich wieder verdeckt von neuen schwarzen Ballen. Vereinzelte Regentropfen klatschten gegen die Scheiben der flackernden Laternen.
Frau Rätin Dallmer liess sich von Hauptmann Xylander führen; die Chausseenachbarn hatten sich nach Schluss des Balles zusammengefunden. Ängstlich klammerte sie sich an den stützenden Arm, die Kapuze tief ins Gesicht gezogen; sie sah und hörte nicht. An ihrer andern Seite stapfte mutig Frau Elisabeth; sie hatte grossmütig auf den Arm ihres Mannes verzichtet, war trotz des schlechten Wetters bester Stimmung und plauderte munter von Toiletten, Courmachereien und allem möglichen.
Hinterher wanderten noch zwei Gestalten; Nelda und ihr Tänzer vom heutigen Abend, Leutnant von Ramer. Er hatte um den Vorzug gebeten, sich den Damen anschliessen zu dürfen, er wohnte auch drüben, unweit der Brücke. Drunten auf der Strasse, entfernt vom Ballgetriebe und Späherblicken, war Frau Rätin gnädiger; schliesslich war’s doch immer nett, wenn die Tochter verehrt wurde, und angenehm, den Heimweg unter doppeltem Schutz zu machen.
Es war schon spät — zwei Uhr — das Leben vollständig erloschen. In der Häuserreihe längs des Rheins, selbst in den grossen Hotels am Landungsplatz, keine Beleuchtung mehr; oben auf dem Ehrenbreitstein noch ein einsames Licht, wie ein schwach schimmernder Stern glomm es nieder. Dunkel schaukelte die Rheinflut; die zwei, drei Laternen an den Pfählen warfen zitternde Kringel darüber hin. Ein Sausen war in der Luft, ein Rauschen im Wasser, die Brückenbohlen schütterten leicht.
„Wenn wir jetzt versänken,“ sagte Nelda plötzlich.
„Um Sie wäre es schade, um mich nicht!“ Ramers Stimme hatte einen bitteren Tonfall.
Sie blieben beide stehen, lehnten sich übers Geländer und schauten hinab. Das Wasser ging hoch. Eine bange Kühle stieg von unten herauf und machte Nelda erschauern; sie hatte den Mantel gelockert, damit er den kleinen Kamelienstrauss an ihrer Brust nicht zerdrückte, nun zog sie ihn fester um sich.
„Geht es Ihnen auch so wie mir?“ fragte die Stimme ihres Begleiters. „Wenn Sie am Wasser stehen und hineinsehen, packt Sie da nicht auch die Lust hinab zu springen und sich im Untergehen willenlos treiben zu lassen, Gott weiss wohin?“
„Nein, das kenne ich nicht,“ — sie wandte ihm das Gesicht zu — „da müsste ich sehr unglücklich sein. So unglücklich, wie ich es mir jetzt gar nicht denken kann. Ich will nicht untergehen ohne Kampf, ich würde mich wehren, ja, bis zum Letzten. Nur nicht so kraftlos versinken! Ach“ — sie lockerte den Mantel wieder und warf den Kopf zurück, mit geblähten Nasenflügeln sog sie die frische Luft ein — „so unglücklich ist niemand, dass er ganz und gar die Courage zu verlieren braucht!“
„So — meinen Sie? — — — Ich bin so unglücklich!“ Heraus war’s. Er hätte das Wort gern zurückgerufen, lautgesprochen kam’s ihm übertrieben vor. Lächerlich, einem jungen wildfremden Mädchen seine Gefühle anzuvertrauen! Es war gegen jede Form.
Sie sah ihn an, ein grenzenloses Mitleid überkam sie; ein Mitleid mit Unverstandenem, mit ihm, mit der ganzen Welt. Ihr Herz klopfte rascher, ohne Bedenken streckte sie die Hand aus dem Mantel und fasste nach der seinen.
„Sie dürfen nicht so unglücklich sein — nein, nein!“ Gesteigerte Erregung klang aus ihrer Stimme; der Tanz, die Musik, die einsame Nacht, die Übermüdung machten sich geltend, sie wusste selbst nicht, was ihr so unbedacht über die Lippen glitt:
„Ich kann’s nicht gut anhören!“
Er führte ihre Hand an seinen Mund, dann liess er sie fallen. — — —
„Nelda, Nelda! Herr von Ramer! Schneller, schneller!“
Wie ein Trompetenstoss klang die helle Stimme der Frau Hauptmann durch die Nacht. Die beiden Nachzügler setzten sich in Trab, stillschweigend liefen sie nebeneinander her, am Brückenende holten sie die andern ein.
„Nicht so langsam,“ flüsterte Paul Xylander verstohlen an Neldas Seite, „die Mama ist ärgerlich!“
Lächelnd zwinkerte das junge Mädchen dem guten Freund zu, ein Wort war nicht möglich, denn Frau Rätin fasste jetzt ziemlich energisch das Handgelenk ihrer Tochter: „Komm hierher, Nelda!“ Sie war wieder ungnädig.
Die schmutzige Chaussee patschte unter ihren Füssen; es wurde wenig mehr gesprochen, jeder hatte zu achten, wohin er trat. Endlich war die Tür des Dallmerschen Hauses erreicht. „Mein Gott, der Papa ist noch wach?“ Nelda wies hinauf zum Zimmer des Vaters, wo noch Licht schimmerte. „Der gute Papa, er wacht für mich!“ Sie klingelten, das Licht im Fenster verschwand, durch die Stille hörte man innen die Stiege knarren.
„Jetzt kommt er!“
„Gute Nacht, gute Nacht, meine Herrschaften, lassen Sie sich’s wohl bekommen!“
„Gleichfalls! Gute Nacht, gnädige Frau! Gute Nacht, Fräulein Nelda, lassen Sie sich bald bei uns sehen — gemütlich, ohne Ansage!“
Allgemeines Händeschütteln und Empfehlen.
„Gute Nacht,“ sagte Nelda, und ihre Hand ruhte einen Augenblick länger in der des jungen Mannes.
‚Nettes, kluges Mädchen,‘ dachte Leutnant Ramer, als er allein die Chaussee nach Ehrenbreitstein zurückschritt. ‚Aber selbst wenn sie mir noch tausendmal besser gefiele, als sie mir gefällt — für mich ist ja alles ausgeschlossen — für immer!‘
Regierungsrat Dallmer hatte lange auf seine Damen gewartet; blass und übernächtig stand er im Flur vor ihnen, die Lampe in der wachsbleichen Hand, mit den vortretenden blauen Adern. Er hüstelte.
„Nun, mein Kind, wie war’s?“
Statt der Tochter antwortete die Mutter, sie brach in einen Strom von Klagen aus. Alle hätten es gesagt — ganz abscheulich, der Mutter zum Trotz! Ein Kreuz, mit Nelda auf den Ball zu gehen! Und so weiter, und so weiter. Nelda stand in Mantel und Kapuze und liess alles ruhig über sich ergehen, sie hörte gar nicht, was da gesagt wurde.
Jetzt trat sie auf den Vater zu und schlang beide Arme um seinen Hals.
„Papa, diesmal ist’s doch ein Fortschritt,“ lachte sie fröhlich, „ich habe zwei Kotillonbuketts. Das eine von Xylander, das andre — riech mal!“
Sie nahm das kleine Sträusschen, eine rote Kamelie und wenige Veilchen, von der Brust und hielt es ihm entgegen.
„Schön, nicht wahr? Und nun gut’ Nacht, ich bin todmüde!“
Sie küsste den Vater wiederholt und strich der Mutter über die Wange.
„Solch eine grässliche Tochter! Arme Mama!“ Mit Lachen sprang sie die Treppe hinan, vom obersten Flur tönte bald ihr hüpfender Schritt.
„Sie ist vergnügt,“ sagte Dallmer zufrieden und lauschte.
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