1 ...8 9 10 12 13 14 ...17 „Ja“, grunzte Hahnemann zwischen seinem Paffen, „det war kolossal. Ick weeß ’t noch wie heute, wie Mutter mir aus ’s Bett holte: ‚Junge, steh man uf, janz Tempelhof brennt!’ Ick freute mir sehr. Det war mal ’n Fez! Ick rannte los mit die anderen Jungens, wir schrieen immerzu: ‚Feurio!‘ Un von Rixdorf kam die Feuerspritze anjerasselt –“
„Falsch!“ Schellnack fiel ihm wütend in die Rede. „Wat du weest! Von Alt-Schöneberg kam die erste Spritze, un denn erst die von Rixdorf. Aber helfen konnten se alle nich. Als et Morjen war, krähten die Hähne über lauter Schutt. Da lagen acht Jehöfte die Reihe lang, janz schwarz in Asche. Andere jlimmten immer noch, un wo eener stökerte, und wollte sich noch wat rausholen aus seinem Hause, da schlug noch die Flamme auf. Viel Vieh war verbrannt; dem einen die janzen Schafe, dem andern sechs Kühe. Aber die janze Hinterpartie von Längnicks, die stand unversehrt; det kam von den Störchen, die der Storchen-Paule anjezahmt hatte uf der jroßen Scheune. Det sind Jlücksvögel. Kein Stück Vieh war verbrannt, nur der Längnick.
„Et kamen nu die Berliner an in hellen Haufe. Wat Beene hatte, spazierte vor die Tore. Kremser, janz voll bepackt, fuhren raus, un Kutschen, un Schlächterkarren, alle Sorten Jefährte; bei dem schönen Wetter machte det Verjnüjen. Die Felder waren ganz pickevoll von Menschen. Und die jaben alle den Abjebrannten.
„Det machte sich Längnicks Mine denn nu ooch zunutze, und die hätte et doch am wenigsten nötig jehabt, denn sie waren ja hoch versichert. Sie hockte uf ’ner Hutsche vor ihrem Hof, hatte sich in ’n schwarzes Tuch injewickelt, det nur de Nasenspitze rauskuckte und die jlubschen Oogen. Sie streckte die Hand aus. Und in’n Schoß hatte se in ’ner Molle ihren seligen Längnick. Nur ’n paar Knöchelchen waren iebrig von dem.
Det machte böses Blut. Et kamen welche zu mir jelaufen und beklagten sich: Mine Längnick hätte den meisten Ankratz. Da jing ich hin. Aber wie se mir kommen sah und det Schimpfen hörte, da schnitt se mir ’ne Fratze wie dem Teufel seine Leibhaftige, sprang in ihr Hinterjebäude und schlug mir die Tür vor der Neese zu!“
Der Alte griente boshaft: „Det war deine Jrößmutter, Paule!“
Die Zuhörer lachten laut.
Paul Längnick war nun doch verlegen; er wußte nicht, was er sagen sollte.
Aber Mister Brown half ihm gewandt aus der Situation: „Well, eine tüchtige Dame! Sie würde bei uns sehr bewundert werden!“ Er lächelte ein wenig malitiös.
Da waren sie wie aufs Maul geschlagen.
Und dann nickte der Engländer Paul zu: „Kommen Sie, Mister Längnick, wir wollen jetzt gehen!“
Was half es Rieke Längnick, daß sich ihr ganzes Innere gegen das fremde Mädchen sträubte?! Sie hatte die Sache mit der Millionenwitwe so schön eingefädelt gehabt. Auf ihr Geheiß war der Sohn nach Britz gefahren, zwei Stunden und länger hatte er dort gesessen. Die Mutter wußte es wohl, er konnte immer den „Dreh“ nicht finden, aber die Marianne mußte doch auch sehr nett zu ihm gewesen sein.
Wenn die Längnick gewußt hätte, daß ihr Paul stockstumm dagesessen hatte! Seine Gedanken waren weit abgeirrt, vergebens hatte Marianne Badekow versucht, nachdem die üblichen Redensarten gewechselt worden waren, ein Gespräch anzufangen. Er sagte nur „Ja“ oder „o ja“ und „nein“. Marianne war eine muntere Frau, trotz allem, was schon hinter ihr lag; die Grübchen in ihren runden Wangen vertieften sich immer mehr. Zuletzt ging sie in die Küche, sie konnte das Lachen nicht mehr verhalten und ließ ihn allein drinnen sitzen. Das war ihm auch das liebste gewesen. Auf die begierige Frage der Mutter: „Na, wie war se denn?“ antwortete er ehrlich und mit Nachdruck: „Sehr nett!“ Und aus diesem aussichtsreichen Plan sollte nun nichts werden.
Es war am Abend des Tages, an dem Paul mit Mister Brown im Kruge gesessen hatte. Er hatte den Fremden noch ein Stück auf dem Heimweg begleitet; Mister Brown hatte lebhaft geredet und zuletzt seinen Arm in den des jungen Mannes gelegt. Langsam war Paul dann zurückgeschlendert, die Hände in den Hosentaschen; er pfiff sich leise eine Melodie. Das dämmerige Feld, das sich einsam dehnte in verwaister Endlosigkeit, diese graue Weite, in der herbstliche Nebel wie Gespenster spazieren gingen, hatte für den Tempelhofer nichts Trauriges und Erschreckendes. Ein glückliches Lachen, das sein alltägliches Gesicht veredelte, lag in Pauls Mienen. Wie erwachendes Selbstbewußtsein, das den Knaben zum Manne macht, kam’s über ihn. War es möglich, die schöne Ethel hatte ihn gern?! Mister Brown hatte es ihm eben gesagt, wieviel seine Tochter von ihm hielt.
„Ethel!“ Ganz hingenommen vor Seligkeit warf der junge Mensch beide Arme in die Luft, und dann trat er rascher zu: nun war es Zeit, daß er es der Mutter sagte!
Der Mond schien unsicher, als Paul zu seiner Mutter in den Flur trat. Die Längnick hatte noch keine Lampe angesteckt; in so etwas sparte sie. Sie schälte ja auch nur die Kartoffeln für den morgenden Tag, und die konnte sie fühlen. Einen großen Eimer mit Wasser hatte sie vor sich stehen, rasch fiel eine Kartoffel nach der anderen hinein.
„Mutter“, sagte Paul ganz atemlos, „morgen kommt Mister Brown zu uns; schon zu Mittag. Koch was Feines, Mutter, bitte!“
„Wat? Essen will er bei uns?“
Der Sohn nickte glücklich. „Ja! ‚Er käme bei guter Zeit, daß Ethel auch alles noch ordentlich sehen könnte.‘ Da sagte ich: Kommen Sie doch zu Tisch. Was haste zu essen, Mutter? Die sind fein gewöhnt!“
„Eetel – seit wann sagste denn Eetel zu det englische Mächen?“ Rieke Längnick richtete ihre Augen auf den Sohn; sie sah scharf trotz des unsicheren Mondlichtes. Und sie sah alles. „Wat jeht dich det fremde Mächen an?“
„Mutter!“ Er schnappte nach Luft. Aber dann sagte er rasch, sich selber gar keine Zeit lassend: „Ich habe sie so lieb, Mutter!“
„Na“ – sie lachte kurz auf –, „det wird sich ja finden. Vorerst wollen wir mal mit ’m Ollen sehen. Du warst ja heute so lange mit dem zusammen – na?“ Ungeduldig warf sie eine Kartoffel in den Eimer, daß das Wasser hochspritzte. „Nu? Jib doch Antwort, Döskopp!“
Hundert Mal hatte sie den Sohn „Döskopp“ genannt, er hatte es sich immer gefallen lassen; heute nich. „Was geht es mich an, was du spekulierst! Laß den Engländer kaufen oder nich kaufen, mir is ’s Wurst. Ich bin kein Döskopp!“
„En Schlummerkopp biste!“ Sie schrie ihn gehörig an., „Mir is et nich Wurscht, verstehste? Land muß er mir abkaufen. Da rennste immer mit ’m rum, kannste nich sagen: ‚Hören Se, Herr Mister Braun, hier hat meine Mutter ’n paar schöne Äcker, prachtvolle Äcker, aber se will se an Ihnen verkoofen, weil se so dicht bei Ihrem Besitz liegen – un aus Freundschaft. Sonst verkaufte sie se nich.‘ Na?!“ Sie sah ihn aufmunternd an.
Er schüttelte den Kopf: „Das kann ich nich sagen!“
„Kotzdonner, warum denn nich?“
„Weil ich nich will!“ Er sagte es eigensinnig.
„Ich will nich, ich will nich!“ Sie höhnte ihn aus. „Det ich dir nich die Hosen stramm ziehe! Wenn ick will, haste zu wollen!“
„Ich will aber nich!“ Er ward plötzlich wütend, alles Blut schoß ihm zu Kopf; er stieß mit dem Absatz gegen den Eimer, schleuderte ihn mit dem Fuß so heftig, daß das Wasser in vollem Schutt auf den Ziegelflur schoß und die Kartoffeln in alle Ecken tanzten. Er trampelte den Boden, und dann ballte er die Fäuste und schwang sie gegen die Mutter: „Du sollst mich nich mehr behandeln wie ’nen dummen Jungen! Ich laß es mir nich mehr gefallen!“
Sie wollte erst lachen, ein höhnendes Lachen, aber dann verstummte sie. Der Schaum war ihm vor den Mund getreten. Nun durfte sie ihn nicht mehr reizen, wenn seine Augen so rollten. „Aber, Paule“, sagte sie einlenkend, „wie kannste nu gleich so wütend sein. Ich sage ja jar nischt!“ Er sah sie von unten herauf mit den rollenden Augen an wie ein Stier, der losstoßen will.
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