Mit schwankenden Schritten ging Mister Brown zu dem Bräutigam. Er ließ sein Glas an dessen Glas klingen: „Es lebe Tempelhof! Nanu, Pauleken, was sagste nu zu dem Schwiegerpappappa?“
Paul sagte nichts. Der Schwiegervater kam ihm heute wohl etwas merkwürdig vor, aber er hatte nicht weiter darauf acht. Während des ganzen, stundenlang währenden Hochzeitsmahles hielt seine Rechte die Hand Ethels fest; er aß mit der Linken. Das war nun seine Frau, seine Frau, die er liebte, wie er noch niemals geliebt hatte! Als Knabe hatte er ein schneeweißes Kaninchen gehabt, als Dragoner sein Pferd – was war das, was er für diese beiden gefühlt hatte, gegen das, was er jetzt fühlte?! Immer wieder faßte seine Linke nach dem Glas, er leerte es immer wieder in seligem Rausch.
„Paul, Paul“, flüsterte die Braut leise, „ach ich bitte dich, trinke nicht so viel. Es macht mir sehr Angst!“
Er drückte ihre Hand, daß er sie fast zerquetschte, und sah sie dabei an mit Augen, die vor Zärtlichkeit schwammen. „Wenn du nicht willst, daß ich trinke, trinke ich nich. Da!“ Er warf sein Glas hin und lachte laut.
Alle sahen nach ihm: das war mal ein verliebter Bräutigam! Er fraß sie ja mit den Augen auf. Er konnte es kaum abwarten. Schon schmiß er das Glas hin vor Ungeduld! Es kamen die üblichen Scherze. Man war nicht sehr zartfühlend in Tempelhof.
Ethel wurde blaß und rot und wieder blaß; nicht alles verstand sie, aber daß sie nun diejenige war, der diese Blicke galten – Blicke, die sich weideten an ihrer Verlegenheit –, diese Scherze, über die die Frauen kicherten, die Männer laut herauslachten mit dröhnendem „Hoho“, das fühlte sie. Wie um Hilfe bittend, hingen ihre Augen sich an die Schwiegermutter.
Aber die alte Frau verstand die Blicke der jungen Frau nicht. Sie lachte zwar nicht mit – für solche Scherze hatte Rieke Längnick nie Ohren gehabt –, aber gleichgültig sah sie an der Schwiegertochter vorbei: hinten im Saal stand der Engländer und schwatzte laut mit Gottfried Lietzow.
Durch den ganzen Saal tutete Mister Browns durchdringende Stimme: „Neunzigtausend Taler – neunzigtausend Taler!“
Rieke horchte auf, ihr scharfes Gesicht wurde wie das eines Habichts. Waren das ihre neunzigtausend Taler, von denen da die Rede war? Was der Lietzow wohl dazu für ein Gesicht machte, daß sie neunzigtausend Taler für die Äcker bekommen hatte?! Sie stand auf: das mußte sie sich doch mit ansehen! Raschen Schrittes ging sie auf die beiden los.
Mister Brown hatte eben mit einem ganz verschmitzten Lachen gesagt: „Ei weh, wenn die alles wüßte! Wenn se wüßte, daß –“ rasch schlug er sich auf den Mund, als er sie vor sich sah: „St!“ So betrunken war er doch noch nicht. „Well“, sagte er bloß noch und zwinkerte Gottfried vergnügt zu.
„Wat sagten Sie eben?“ fuhr sie ihn an. Sie hatte es gemerkt, da sollte ihr etwas verheimlicht werden.
„Ich?!“ Mister Brown nahm sich zusammen, ihr scharfer Ton ernüchterte ihn plötzlich. Er spielte den Harmlosen. „Ich habe gar nichts gesagt!“ Und als sie beharrte: „Ick habe et ja eben deutlich jehört: neunzigtausend Taler, neunzigtausend Taler! Un warum haben Se denn jesagt: ei weh, wenn die alles wüßte?!“ – wurde er auf einmal wieder betrunken. Er faßte sie um die Taille und drehte sie herum, ihr Widerstreben bändigend mit, so nerviger Faust, daß sie nicht anders konnte, sie mußte mit ihm durch den Saal tanzen.
Und er sang dazu mit krähender Stimme:
„Denkste denn, denkste denn,
Tempelhofer Flanze,
Denkste denn, ick liebe dir,
Weil ick mit dir danze?“
Das war das Signal. Nun war die Hochzeit wie alle Hochzeiten. Die Längnicks hatten sich warm getrunken, nun konnten sie auch reden. Das war ein Geschnatter, ein Gelächter, ein Gegröhle; der vordem zu große Saal in seiner leeren Weite schien jetzt zu eng. Es war, als hätte sich jeder verdoppelt und schrie für zwei.
Da war es die Braut, die zum Bräutigam ganz leise sagte: „Komm!“ Ethels zitternde Hand schmiegte sich in die Pauls.
Er kam nicht gleich in die Höhe. Er hatte es ja nicht ändern können, denen, die ihm zutranken, hatte er doch wieder zutrinken müssen, wenn auch in ganz kleinen Schlucken. Aber er wollte ja so gerne tun, wie sie wollte – immer wie sie, immer, immer! Mühsam strebte er auf. Da war es ihre zitternde Hand, die ihn stützte und ihn aus dem Saale führte.
Sie kamen heraus, unbemerkt. Und dann gingen sie draußen Hand in Hand unter den entblätterten Linden ihrem künftigen Leben zu.
Конец ознакомительного фрагмента.
Текст предоставлен ООО «ЛитРес».
Прочитайте эту книгу целиком, купив полную легальную версию на ЛитРес.
Безопасно оплатить книгу можно банковской картой Visa, MasterCard, Maestro, со счета мобильного телефона, с платежного терминала, в салоне МТС или Связной, через PayPal, WebMoney, Яндекс.Деньги, QIWI Кошелек, бонусными картами или другим удобным Вам способом.