Auch das klang wie das Piepen einer Maus; das Kind war entschieden nicht angenehm, fast unheimlich mit seinem alten Gesicht. Paschke machte, daß er fortkam, die Teckel fuhren ihm an die Hosen. – – –
Und dann hatte er und Ida Lietzow sich nicht wiedergesehen bis zum heutigen Tage. Er hatte sie wohl bemerkt, als er seiner Angetrauten draußen vorm Kirchhofsgatter in den Wagen half. Und auch das heiße Brennen ihrer Augen gespürt. Donnerwetter ja, wenn er die heute abend in seinen Armen halten könnte, das wäre etwas anderes als die Auguste Badekow!
Mit einem leisen Seufzer fügte Julius Paschke sich in sein Schicksal.
*
Zwei Tage nach Auguste Badekow heiratete Paul Längnick. Zwei bedeutsame Hochzeiten in so kurzer Zeit, das war ein Ereignis für Tempelhof. Die erste Hochzeit war die größere; die Längnicks hatten nicht so viel Verwandtschaft, aber bei dieser zweiten Hochzeit war die Braut schöner.
In der dunklen, niedrigen Wohnstube von Rieke Längnick wurde die Braut geschmückt. Da sollte die junge Frau nun auch wohnen, bis die Villa fertig war, die Paul ihr bauen wollte, auf dem Hofgrundstück dicht nebenan. Im Sommer vielleicht schon konnte das neue Heim fertig sein, bis dahin mußte sie sich gedulden im alten Längnickschen Haus. Die Mutter hatte es ihnen eingeräumt, sie selber zog sich zurück in das Hofgebäude, wo unten die Waschküche war und allerlei Vorratskammern. Der jungen Braut, die keine Mutter hatte, keine Schwester und keine Freundin, setzte Rieke Längnick den Brautkranz auf. Wie es hergebracht war, sollte die Schneiderin, die für ganz Tempelhof arbeitete, die Braut frisieren, aber Ethel war förmlich davor zurückgeschaudert. Sie wußte es, die Zeit war vorüber, in der sie ihr schönes Haar offen tragen durfte – wie eine goldige Mähne hing es ihr um die Schultern – aber sie wollte sich nun selber die Zöpfe flechten, sie zur glatten Krone aufstecken. Die Krone war so schwer! Sie senkte den Kopf. Und nun kam noch der Kranz oben darauf. Er war nicht von frischem Grün, in Tempelhof hob man die Brautkränze auf hinter Glas und Rahmen über dem Sofa der guten Stube. Künstliches Grün, künstliche Blüten und schwere, dicke Knospen aus überwachstem Stoff drückte die Längnick fest auf den gesenkten Kopf. Sie hatte keine leichte Hand. Aber hübsch sah die Braut aus, das sah heute selbst Rieke.
Gestern war es endlich perfekt geworden: die englische Terraingesellschaft hatte ihre anliegenden Äcker noch zugekauft. Die neunzigtausend Taler, die sie gefordert hatte, hatte sie bekommen. Das war ein Geschäft! Die ganze Nacht hatte sie im Fieber gelegen; vor ihren Augen rollten die Talerstücke, in ihren Ohren rauschten die Papierscheine. So glänzend hatte noch keiner in Tempelhof Land verkauft – und würde auch keiner je mehr verkaufen! Dafür mußte sie sich denn auch schon die Schwiegertochter gefallen lassen. Die war ja auch ein ganz gutes, sanftes Ding, die zudem von gar nichts etwas verstand. Sie, Rieke Längnick, würde nach wie vor diejenige bleiben, die befahl, wenn sie von nun ab auch hinten wohnte und die Junge nach vorn heraus.
Mitleidige Geringschätzung war in dem Lächeln, mit dem die Schwiegermutter auf die Tochter heruntersah: um der Äcker willen wollte sie der denn auch verzeihen, daß sie gar keine, aber auch gar keine Aussteuer hatte.
Mister Brown war sehr verwundert gewesen, als Rieke gefragt hatte: „Nanu, was jeben Sie denn mit?“ Es war in England Sitte, daß der Bräutigam für alles Sorge trug. Na, das mochte am Ende ja sein, aber daß der Paul auch das Leinenzeug anschaffen mußte, Bettwäsche, Hemden und Hosen für seine Braut, das war doch stark. Wenn der Schmuck nicht gewesen wäre, die Brillantknöpfe, die Ethel Brown in den Ohren trug, ihre goldene Kette, ihr Perlenhalsband und die vielen Armringe, man hätte wirklich denken können, ihr Vater hätte gar nichts.
Rieke Längnick verschloß ihre Enttäuschung in sich. Nur nichts davon sagen, sie würden ja alle schadenfroh sein! Das Gefühl, von vielen im Dorfe mit unfreundlichen Augen angesehen zu werden, gab ihr stets die Kraft, den Kopf hoch zu tragen. So war sie damals auch hinter dem Sarge ihres Mannes hergegangen, den kleinen Paul an der Hand. Der Junge hatte geweint aus Angst vor dem schwarzen Wagen, aus Angst vor den schwarzen Männern, die den Vater aus dem Hause holten; die Witwe hatte die kalte, zitternde Kinderhand fest mit der ihren gepreßt, das war das einzige Zeichen von Erregung gewesen. Der selige Längnick hatte getrunken, er war zum Futterboden hinaufgekrochen, um droben seinen Rausch auszuschlafen, da war er heruntergefallen, das Genick hatte er sich gebrochen; aber das hatte sie niemandem gesagt. Der arme Längnick, ein Schlaganfall hatte ihn getroffen auf der Leiter, gerade als er Heu herunterholen wollte fürs Vieh! Er war ja immer so fleißig gewesen! Der Längnick Augen zwinkerten auch heute nicht. Sie beobachtete ganz genau jeden einzelnen in der Kirche, und keines der gaffenden Gesichter entging ihr. Nun freute sie sich doch: sie sah, die Braut wurde sehr bewundert. Ihr scharfes Ohr fing jedes entzückte „Ah!“ auf. Ja, das war nun ihre Schwiegertochter, die Frau von ihrem Paul! – – –
Das Hochzeitsmahl fand nicht wie bei den Badekows im eigenen Hause statt; es war da Paul nicht hübsch genug. Mister Brown hatte Hiller Unter den Linden in Berlin vorgeschlagen, aber dagegen wehrte sich Rieke energisch, und auch der Bräutigam wollte nicht außerhalb von Tempelhof feiern. Man einigte sich auf Kiekebusch. Dort war ein Saal, und der war nun hergerichtet worden von einem Dekorateur. Man hatte die angeräucherten Wände mit rotem Stoff drapiert, Girlanden gewunden und an der Decke bunte Lampions aufgehängt. Die Tafel war mit künstlichen Blumensträußen geziert, und es gab viel zu essen und zu trinken.
Aber es war doch ein etwas einsames Fest. In dem großen Saal verloren sich die Teilnehmer. Die Längnickschen Verwandten aus Britz und Mariendorf waren gekommen; auch wie bei Badekows die Schellnacks, die Lüdeckes und die Hahnemanns. Von der Badekowschen Sippe aber war nur Gottfried Lietzow geladen. „Er ist immer so lustig!“ sagte Paul. Nicht, daß sich Hanne und Rieke böse gewesen wären – man schickte vom Hochzeitskuchen hinüber und herüber – aber man empfand es doch wie eine Erleichterung, daß man dadurch, daß die beiden Hochzeiten so nahe zusammenlagen, von vornherein sagen konnte: „Ich lade dich nicht ein, weil du ja selber Hochzeit gibst.“
Lene Lietzow hatte auch nicht zusagen wollen, aber Gottfried stimmte dafür, hinzugehen: „Weißte, ick denke mir, dem Paule ist mies vor seine eigene Verwandtschaft; wir wollen man zusagen!“ So trug denn Lene ihr Smaragdgrünes auch bei dieser Hochzeit. Sie hatte noch ein ekliges Kopfweh von der vorgestrigen her, und nun ging die Trinkerei schon wieder los. Aber das war man in Tempelhof gewöhnt, das wäre ja auch gar keine richtige Hochzeit gewesen, die man nicht noch ein paar Tage gespürt hätte.
Die Längnicks, langsam und steif, waren nicht Leute von vielen Worten, aber von vielen Gläsern. Gottfried sagte heimlich zu seiner Frau: „Leneken, halte mir man bei’m Nachhausejehen. Ick habe schonst jetzt mehr wie jenug!“
Und das Fest war noch lange nicht an seinem Ende. Die Längnick wachte mit strengen Augen darüber, daß zu jedem Gang ein anderer Wein geschenkt wurde; zum Schluß gab’s Likör, dann Bowle und Bier.
Der Brautvater war sehr vergnügt, mit Lietzow hatte er sich angefreundet; je betrunkener er wurde, desto vertraulicher wurde er. Die beiden saßen zusammen in einer Ecke, Arm in Arm, dicht Wange an Wange.
„Sehen Se, wissen Se – du mußt nämlich wissen, mein Sohn“ – der Engländer sprach auf einmal Berlinisch –, „ick bin ja man bloß Sekretär bei Mister Henry Daniel Davis. Der is der Macher von’s Janze. Aber der kann nich jut Deutsch, darum bin ick hier. Merkste was?!“ Das Lachen und der Schlucken stießen ihn. „Ick bin ja vom Spittelmarcht. Ick war auch schon früher mal hier“ – er zwinkerte mit den Augen –, „ja, hier auf ’m Feld bin ich geritten – neunzig Pfund schwer. Rot mit Blau und Weiß – englischer Jockei, hahahaha! Ja, ich habe Karriere gemacht. Nu bin ich fein raus mit dem reichen Schwiegersohn, was?!“
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