„Mein Paule!“ Sie haschte nach seinen drohend emporgehobenen Fäusten und drückte sie ihm herunter. „Du wirst doch nich jejen deine Mutter anjehn, Paule?“
Er sah sie starr an. Der Atem ging ihm keuchend, in heftigen Stößen arbeitete seine Brust. Jetzt kam ein Zwinkern in seinen starren Blick, er hielt sich die Hände vor die Augen, als wolle er nichts mehr sehen, und flüsterte heiser: „Ich kann es mir nich mehr gefallen lassen. Ich weiß ganz genau, was ich will. Ich bin alt genug. Ich will die Ethel Brown heiraten. Du mußt das nich sagen, du mußt das nich sagen!“
„Wat soll ick denn nich mehr sagen? Ick sage ja jar nischt, mein Paule!
„Ich weiß nich“, murmelte er. Und dann seufzte er auf: „Ich kann es nun mal nich vertragen. Mir is es ganz schlecht.“
„Denn jeh doch zu Bett. Leg dir hin, mein Sohn! Wieviel haste denn heut jetrunken? Jeh, jeh! Ick komme noch zu dir. Ick setze mir ’n bißken bei dir hin!“
Sie bückte sich und fing an, die Kartoffeln aufzulesen; er bückte sich auch ganz mechanisch und half ihr dabei. Und dann ging er aus dem Zimmer, aber sein Gang war wie der eines Betrunkenen, er schwankte.
Sie sah ihm kopfschüttelnd nach; ein Ausdruck von Besorgnis erweichte ihr Gesicht: was war das mit dem Paul? Als Kind war er oftmals blau geworden vor Wut, und wenn er nicht haben sollte, was er haben wollte, hatte er dagelegen, starr wie im Krampf. Aber nun war das doch lange nicht mehr vorgekommen.
Mit Händen, die nicht so ruhig waren wie sonst, zündete die Längnick das Lämpchen an, und dann rutschte sie auf allen Vieren herum im nur notdürftig erhellten Flur und las die Kartoffeln aus allen Winkeln. Lange hockte sie so in kauernder Stellung auf den feuchtkalten Ziegeln, eine Kartoffel noch in der Hand, sich ganz vergessend in ihren Gedanken. Wenn man ihm den Willen tun müßte?! Es schmeckte ihr bitter auf der Zunge. Dann war’s nichts mit der Millionenwitwe!
Die Lampe schwalchte, sie merkte es nicht. Die Luft wurde dampfig im niedrigen Flur, die Lampe schwalchte und schwalchte, der rötliche Rauch stieg zum Zylinder heraus; es roch förmlich nach Brand.
Da stand Rieke Längnick auf, ihr Gesicht war ganz fahl: ja, sie mußte zu ihm ans Bette gehen, mußte ihm gut zureden. Und wer weiß – na, wenn der Engländer erst angebissen hatte, na, dann würde man ja sehen, wie es mit der Tochter wurde!
Sie hatten gut zu Mittag gespeist. Die Längnick hatte etwas springen lassen; es war wie ein Brautessen. Was sie in der Eile nicht selber mehr hatte herrichten können, das hatte sie von einem reitenden Boten holen lassen aus dem ersten Delikateß-geschäft Berlins. Die Austern fehlten nicht, und auch nicht eine Flasche Champagner. Sie lachte breit: so aß man in Tempelhof!
Paul war erst ganz verdutzt darüber, dann aber freute er sich. Seine Augen bekamen einen tieferen Glanz, und wenn er das Mädchen, das ihm gegenüber am runden Tisch der guten Stube saß, über seinen gehäuften Teller weg ansah, strahlten sie förmlich.
Man konnte der Längnick nicht anmerken, daß sie dieses Strahlen mit Schmerzen sah – ach, wenn da die Marianne gesessen hätte, die komplette Frau, die Frau mit den Millionen, anstatt dieses schmächtigen, spillrigen Dinges! Sie begriff nicht, wie Paul dieses Mädchen schön finden konnte. Ein Gesicht, so schmal, mit der Hand zuzudecken, eine Figur wie die eines halbwüchsigen Kindes! Nur die Augen fand selbst Rieke Längnick hübsch; die waren groß und sanft, von Farbe veilchenblau, und dunkle Wimpern hingen lang darüber.
Himmel, war der Junge verschossen! Er wußte ja gar nicht, was er aß und trank, er schlang nur alles in sich hinein und sah dabei immer das englische Mädchen an. Es wollte in Rieke aufkochen, aber sie bezwang sich: Ruhe, Geduld! Arm waren ja die Fremden auch gerade nicht, die Kleine hatte viel Schmuck an sich hängen, sie trug Brillantknöpfe in den Ohren!
Aber ganz traute die Längnick doch nicht, mochte der Engländer noch so viel reden von seinen Unternehmungen, von seinen Reisen – überall war er gewesen – und von seinen Pferden. Er hatte jetzt seinen Rennstall aufgegeben, weil er nicht selber mehr danach sehen konnte. Ob er nicht aufschnitt? Aber als er auf seine Tempelhofer Pläne kam, wurde der Bäuerin scharfsichtiger Blick kurzsichtig. Sie sah nicht weiter als bis zu ihrem Acker.
Es ließ ihr länger keine Ruhe mehr; da er nicht anfing, mußte sie davon anfangen. Sie hob ihr Glas gegen ihn: „Herr Mister Braun, det et Ihnen wohl bei uns jefallen möchte un“ – sie warf einen freundlich sein sollenden Blick nach dem stillen Mädchen – „un Ihrer Tochter ooch!“ Die Gläser stießen aneinander, es gab keinen rechten Klang; es war ja auch nicht Kristall, man hatte nur einfaches Glas im Hause. Aber es schien Mister Brown auch so zu schmecken.
Und die Längnick fuhr fort, ganz mit demselben schmeichelnden Ton, der ihrer trockenen Stimme merkwürdig anstand: „Na, wie is et denn mit unserm Jeschäft?“ Sie wartete gar keine Antwort ab. „Ick denke, Sie werden mir doch ooch wat abkoofen?“ Sie lauerte.
Er stocherte sich in den Zähnen. „Hm“, sagte er dann und wiegte den Kopf.
Nun wußte sie nicht: wollte er kaufen, oder war’s nichts damit. Die Ungeduld stieß sie. Sollte denn alles umsonst sein, das noble Essen, der teure Champagner?! „Hören Se, Sie ziehen mir an der Nase rum“, platzte sie heraus. Die Leidenschaft der Gier überstieg ihre Schlauheit, mit lodernden Blicken sah sie ihn an: „Alles kucken Se sich an, stecken die Nase überall rin, Paule muß Ihnen überall rumführen, un denn koofen Se doch nich. Wollen Se nu noch mehr Land koofen oder nich?“ Es sollte fragend klingen, aber es klang drohend.
„Warum nicht“, sagte er gelassen.
„So – na, denn kommen Se nach ’m Essen mal mit raus, ick wer Ihnen nochmal hinführen. Ick selber. Und denn sollen Se mir sagen, ob Se wo noch jelegenere Parzellen finden in Tempelhof. Dicht ans Terrain von’s Ritterjut, wat Ihnen ja schon jehört, un dicht an die Chaussee, die von Mariendorf in jerader Linie dran vorbei bis nach Berlin führt. Ick lasse et Ihnen billig – weil Sie et sind“, schloß sie bittersüß, die Stimme sinken lassend, und dann mit seiner Tochter anstoßend: „Prost, Fräuleinchen!“
Er tat sehr interessiert: was, diese Äcker wollte sie wirklich verkaufen? Das hatte er gar nicht für Ernst gehalten. Nun freilich, sie lagen jetzt stark separiert; wenn erst gebaut wurde von der Gesellschaft, direkt eingeklemmt zwischen Fabriken und Chaussee. Sie waren nicht mehr viel wert.
„Wat, nich mehr ville wert?!“ Rieke fuhr auf. Sie wollte wütend werden – dieser schlaue Halunke! – aber sie biß sich auf die Lippen. Ihre Finger umschlossen das Glas fest und stießen es dann derb auf den Tisch nieder. „Mir liegt im Jrunde nischt dran, ob Sie se koofen oder ’n anderer. Ick dachte mir bloß, et bleibt dann in der Fami–“ Sie sprach nicht aus, aber sie blinzelte nach dem Pärchen hin, das jetzt vom Tische aufgestanden war.
Die junge Engländerin war ans niedrige Fenster getreten, mit dem Rücken stand sie nach der Stube und schien angelegentlich hinaus auf die stille Dorfstraße zu sehen. Ihr zierlicher Kopf mit der Fülle braungoldenen Haares hob sich licht ab von der in der Stube herrschenden Dämmerung. Paul stand dicht hinter ihr, er war ganz versunken in das Weiß ihres Halses. Sein Kopf schien noch dicker, heiß und rot standen die Ohren ihm ab.
Noch pfiffiger blinzelte Rieke; sie sah das alles wohl. Auch Mister Brown sah es, und auch er lächelte pfiffig. Seine nervige Hand offen vor sich auf den Tisch legend, raunte er lächelnd: „All right, Mistreß Längnick. Ich sehe, wir werden einig!“
„So dicht an die jroße Straße, in bester Lage, et kann en Millionenjewinn for Ihnen werden“, versicherte sie eifrig.
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