1 ...7 8 9 11 12 13 ...17 Murrend rückte Großvater Schellnack nur um ein Weniges, kaum so viel, daß Paul mit Mühe seinen Stuhl an den Stammtisch quetschen konnte. Neben Lietzow fand der Engländer Platz; gegen ihn war man höflicher.
Hahnemann vom Hahnenhof, ein schwerer Bauer, der sich sonst nicht um Tod und Teufel scherte, unterließ das auf die Diele Spucken und paffte weniger qualmende Wolken aus seiner stinkenden Tabakspfeife. Es konnte doch immerhin möglich sein, daß der Engländer noch mehr Land aufkaufte. Wer weiß, was seine Gesellschaft noch vor hatte: vielleicht Fabrikanlagen? Oder Rennbahnen großen Stils? Es waren früher immer die Rennen hier auf dem Felde geritten worden, nach Lankwitz zu, bis sie verlegt worden waren nach Hoppegarten.
Hahnemann stieß mit dem Fremden an. Eigentlich wäre das zuerst dem Amtmann Schellnack zugekommen, aber der hielt sich noch zurück. Sein frisches, rundes Bauerngesicht, dem das Grete Badekows sprechend ähnlich sah, hatte etwas Verlegenes. Wenn sein Vater zugegen war, hielt er sich stets zurück. Der alte Schellnack führte noch immer das Regiment im eigenen Hause – der Amtmann wohnte bei ihm zur Miete – und ebenso im Wirtshaus; da führte er für die Familie das Wort, der Sohn brauchte nur beipflichtend zu nicken. Und er hielt streng darauf, sein Sohn mußte „Sie“ zu ihm sagen, die Schwiegertochter, eine Kiekebusch, auch; er selber sprach, wenn er ungnädig war: „Will Er wohl!“ oder „Sie hat gar nichts zu sagen!“
Großvater Schellnack schoß aus seinen, hinter der knochigen Stirn ganz versunkenen Augen einen scharfen Blick auf die Neuangekommenen: der Paul war ein dummer Junge, aber der Engländer hörte das Gras wachsen! „Wat will Er hier?“ knurrte er diesen an.
Mister Brown sprach geläufig Deutsch, und er sprach viel.
„’n jewandter Mensch“, flüsterte Gottfried seinem Schwager Johann zu.
Sie waren alle eingenommen von dem Fremden. Mister Brown sagte Angenehmes: Tempelhof gefiele ihm außerordentlich, die Lage zur Großstadt glänzend, dabei eine ungeheure Entwicklungsmöglichkeit! Diese Felder! Soviel Platz! Bis zu den Sandbergen vorm Stadttor hin eine einzige Fläche, ideales Bauland!
Sie horchten alle hoch auf: würde er nun etwas sagen?! Jeder von ihnen hatte da irgendwo sein Schmerzenskind, einen oder mehrere Äcker, die nicht viel einbrachten; der Boden war gering, eigentlich nur zu gebrauchen, um die Schafherden darauf zu weiden. Aber das brauchte man ja nicht zu sagen. Schon als der Fiskus damals angekauft hatte fürs Militärgelände, hatte man sich vorgesehen: Acker war Acker und mußte auch danach bezahlt werden.
Aber der Engländer sprang ab. Er lobte nur noch die Luft Tempelhofs, seine schönen Bäume, und dann erzählte er von England. Das interessierte keinen Menschen. Um das Gähnen zu verbergen, sagte man einmal über das andere „Prost!“ Aus Langeweile trank man ein Seidel nach dem andern. Wie eine vor dem Mauseloch vergeblich lauernde Katze zuletzt müde blinzelt und nicht mehr recht aufpaßt, so druselten die Besitzer über ihren Gläsern. Sie wurden erst wieder aufmerksam, als der Engländer die große Zahlungsfähigkeit seiner Gesellschaft rühmte. Jetzt, würde er jetzt etwas sagen? I was, man mußte ihn kommen lassen, dann war man in der Hinterhand und folglich im Vorteil!
„Warum erzählt Er uns det allens?“ fragte plötzlich der alte Schellnack, stemmte beide Ellbogen auf den Tisch, den Kopf zwischen die Hände und sah den Fremden mit seinen versunkenen Augen starr an. „Hat Er denn ieberhaupt ’nen Ton zu sagen dabei? Wenn ’n jroßet Haus wat holen will, kommt et ooch nich selber, et schickt den Hausknecht. Un zu sagen hat der jar nischt!“
Gottfried prustete laut heraus: der Alte war unbezahlbar! Er kniff seinen Schwager vor heimlichem Vergnügen.
Aber Johann Badekow hielt sich ernst, er hatte nicht den Sinn fürs Komische.
Amtmann Schellnack war peinlich berührt. Er sagte leise zu seinem Vater etwas; dieser hielt ihm auch das Ohr hin, aber als er gehört hatte, was sein Sohn tuschelte, sagte er: „Ick verstehe Ihn nicht. Red Er doch laut!“ Da schwieg der-Amtmann verlegen.
Der Engländer aber wurde gar nicht verlegen. Lächelnd drehte er den Kopf nach der Seite, wo Paul Längnick saß: sein junger Freund da konnte ja am besten sagen, was für eine Stellung er hatte. Auf ihn – er rieb sich die Hände –, ganz allein auf ihn kam es an! Was die Gesellschaft ankaufte, brachte er in Vorschlag. Darum sah er sich ja hier so um. „Herr Längnick weiß es!“ Er nickte Paul aufmunternd zu. „Nicht wahr, so ist es?“
Paul hatte mit ganz verlorenem Ausdruck dagesessen und starr in sein Glas gesehen. Jetzt fuhr er auf. „So ist es“, sprach er nach. Ganz willenlos. Was ging ihn das Gerede hier an?! Er dachte an das, Mädchen, das er liebte.
Also der Paul wußte es?! Eine Bewegung ging um den Stammtisch. Weiß Kuckuck, die Längnick hatte am Ende schon verkauft! Wieviel? Und zu welchem Preis?!
Der grobe Hahnemann räusperte sich und spuckte dann auf die Diele: „So’n Aas!“
Amtmann Schellnack erbleichte, er hätte auch gern verkauft.
Johann Badekow wurde dunkelrot: ein solches Geschäft wäre auch für ihn zu machen!
Sie ärgerten sich alle, nur Gottfried Lietzow lachte. Gutmütig klopfte er den jungen Längnick auf die Schulter: „Na, Paule, mein Sohn, deine Mutter hat wohl mal wieder ihr Schäfchen jeschoren?“ Und dann lachte er hell, die verblüfften Gesichter waren zu komisch.
Es war dann ein paar Augenblicke ganz still, bis Großvater Schellnack ingrimmig murmelte – aber jetzt verstand man ihn doch ganz gut: „Se is nich umsonst ’ne Längnick. Wat ihre Schwiegermutter war, det war ooch ’ne Längnick. Vier Hufen hatten se zu Anfang man bloß – un nu? Die Olle, det war erst eene!“
„Na, erzähl man schon, Schellnack“, sagte Hahnemann und lachte breit, „det der Paule die Jeschichte von Jroßmuttern ooch zu hören kriegt!“ Ein allgemeines Gelächter dröhnte, Paul lachte mit. Er hatte das, was früher in den Spinnstuben herumgemunkelt wurde und sich lebendig erhalten hatte bis auf den heutigen Tag, oft gehört, aber er hatte es nie geglaubt; er glaubte es auch jetzt nicht.
Der alte Schellnack lächelte grimmig. Er schluckte ein paar Mal; wenn er diese Geschichte erzählen konnte, lief ihm das Wasser im Munde zusammen. Eifersüchtig wachte er darüber, daß nicht etwa Hahnemann oder Kiekebusch, die ums Jahr 1823 doch auch schon in Hosen gelaufen waren, sie ihm wegschnappten. Er war damals hier Schulze gewesen, er wußte alles am allerbesten.
Es war ein warmer Tag, ein recht schöner Frühlingstag, da war wieder einmal in Tempelhof Feuer ausgekommen. Auf dem Ende der Dorfstraße nach Rixdorf zu. Ob es angelegt worden war? „Na, man will ja nischt sagen“, murmelte, der Alte und schluckte wieder. Als ob er etwas Köstliches äße, bewegte sich sein zahnloser Mund; er genoß seine fette Geschichte.
„Bei Längnicks fing dat mit’m Feuer an, als allens schlief. Die olle Mine Längnick muß aber noch ufjewesen sind – wie hätte se sich denn sonst so schnell retten können? Sie rannte nu immer unter den Linden rum, schmiß die Hände übern Kopp und schrie: ‚Wir sind rujeniert!‘ Un dem Kossäten Tunichtgut sein fette Sau rannte ooch unter den Linden rum; an der einen Seite brannte der Schmer ihr lichterloh, und die Ferkels wuselten quietschend hinter ihr drein. Man hätte et der Mine fast jlooben können, so hatte se sich. Et war en fürchterlicher Brand, keener von allen war je so schlimm. Unter die Linden war’t hell von die Flammen, der Himmel war brandig rot; bis in Berlin konnten se’t sehen. Un en Rauch und en Dampf war, un en Stunk, man kriegte keenen Mund voll richtje Luft mehr. Von Turm läuteten se in einem fort, un der Nachtwächter tutete – ja woll, so rasch jing det damals noch nicht mit die Feuerwehr! ‚Wasser! Eimer von Hand zu Hand!‘ Wir stellten uns alle Mann mang die Reihen, ich vorneweg–wat konnten wir schaffen bei so’n Feuer!“
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